Der Jargon der Genderforschung

Sprachkritik Körpermetaphermaterie: Mit ihrem Schwurbelsprech tun die neuen Humanwissenschaften nur sich selbst einen Gefallen
„Es gibt keine Postmoderne, sondern nur eine moderne Post“, sagte Niklas Luhmann einmal
„Es gibt keine Postmoderne, sondern nur eine moderne Post“, sagte Niklas Luhmann einmal

Fotos: Stan Honda/AFP/Getty Images, Post

Diese Woche beginnt an der HU-Berlin eine Ringvorlesung, die vom Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ organisiert wird. Die Veranstaltung trägt den Titel „Geschlecht in Wissenskulturen: Verkörperungen von Wissen – Körperwissen und Wissenskörper.“ Solche etwas alberne Lyrizismen gab es schon, als ich noch studierte, und sie waren auch in den traditionelleren geisteswissenschaftlichen Disziplinen beliebt. Wetten, dass irgend ein Germanist seinen Text mit „Traumtexte – Textträume“ überschrieben hat? Bingo.

Chiasmus als Attraktor für Wissenschaftsprosa; schnell war er zur Hand, wenn es galt, eine Arbeit noch interessanter zu machen, als sie schon war. Im Gedächtnis geblieben ist mir besonders auch die Parodie. „Es gibt keine Postmoderne, sondern nur eine moderne Post“, sagte Niklas Luhmann einmal lapidar.

Mit den Jahren nimmt man die Gespreiztheiten der akademischen Welt gelassener, der Titel der Veranstaltung alleine ist es nicht, der mich abstößt. Es sind Sätze wie diese:

- Wie wird der vergeschlechtlichte Körper (Materie oder Metapher) durch historische/gegenwärtige, wirtschaftliche und soziokulturelle Bedingungen begrifflich gedacht?

- Auf welche Weise beziehen sich jeweilige kulturelle-normative Körperkonzepte in unterschiedlichen historischen Kontexten auf anatomische Bedingtheiten?

- Wer wird durch diese Bezugnahmen inkludiert und exkludiert, und wie bedingt dieser Prozess die Möglichkeiten für widerständisches und/oder politisches Handeln?

Diese Sätze sind nicht etwa irgendwelchen Sitzungsprotokollen entnommen, sondern dem Hochglanz-Flyer, der für die Ringvorlesung werben soll. Notabene für eine Vorlesung, die sich für „ein breiteres Publikum“ eigne, wie selbstbewusst behauptet wird. Um nicht falsch verstanden zu werden: diese Fragen könnten vermutlich auch­ für die Öffentlichkeit wichtig sein. Sie werden nur leider in einer unsäglichen Sprache gestellt. Die nächste Frage allerdings ist mehr als das:

- Wie wird der Körper durch Geschlechter- und Sexualpolitiken mobilisiert, etwa in Bezug auf Fortpflanzung oder Sexismen?“

Man ahnt irgendwie, was gemeint sein könnte. Wenn man die Frage auf ein anschauliches Niveau herunterbricht, wird es allerdings komisch. Könnte gemeint sein, dass seine Schritte beschleunigt, wer auf der Straße blöd angemacht wird?

Parodien

Natürlich ist der wissenschaftlich verbrämte Jargon keine Erfindung der Genderforschung. Man erinnere sich an die Sprache der Frankfurter Schule, etwa an das typische Nachstellen des Relativpronomens "sich" ("die Disziplin muss disziplinieren sich") die von der zweiten Frankfurter Schule, besonders von Eckhard Henscheid, so lange genüsslich parodiert wurde, bis auch der kritischste kritische Theoretiker das Sich wieder an seinen angestammten Platz gestellt hatte.

Ich bin mir nun aber nicht sicher, wie es um die Sensibilität für Jargon in den neuen Disziplinen steht. Eine Parodie ist mir nicht bekannt, aber vielleicht kenne ich sie nur einfach nicht. Ich denke, dass der Jargon auch hier bewirkt, was er immer bewirkt hat und wovon oben die Rede ist: er "inkludiert und exkludiert". Bei mir jedenfalls hat er als Ausschlussmechanismus gewirkt. Ich werde die Ringvorlesung nicht besuchen.

Man wird es verkraften können, besser gesagt: Frau wird es, denn von den acht Vortragenden der Ringvorlesung sind sieben dem Namen nach Frauen. Das widerspiegelt das Geschlechterverhältnis im Kolleg. Zwar gibt dort, fast ist man versucht zu sagen: pro forma, einen weiblichen und einen männlichen Sprecher. Aber die tragenden und assoziierten Wissenschaftler des Kollegs sind 30 Frauen und drei Männer. Schon klar, dass es in solchen wissenschaftlichen Zusammenschlüssen auch heute noch sehr oft genau umgekehrt ausschaut. Und natürlich ist dieses Verhältnis nicht „gewollt“, es ist ja nie gewollt. Aber es entsteht eben. Nicht zuletzt durch die Sprache, die in einem solchen Verbund herrscht.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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