Deutschland AG wird Schland LPG

Hegelplatz 1 Auf das richtige Framing kommt es an. Dann klappt's auch mit dem Bio-Supermarkt
Ausgabe 26/2018
„Mensch, der Chai Latte schmeckt heute aber besonders gut. Ist das Soja-Milch?“
„Mensch, der Chai Latte schmeckt heute aber besonders gut. Ist das Soja-Milch?“

Foto: Ulrich Hassler/Imago

Komme eben aus dem Café Meyerbeer, wo ich in Ruhe den Tagesspiegel lesen wollte. Zwei junge Amerikaner störten mich beim Lesen. Sie waren laut, aber doch nicht so laut, dass man sie hätte bitten können, leiser zu sprechen. Ich fixierte mich auf die beiden – und ärgerte mich über meine Fixierung, allein, es war nichts zu machen. „Is like“ – ständig dieser Ausdruck, und warum so laut? Takt, Zurückhaltung, Diskretion – aus dem „Wörterbuch für Alteuropa“, Neuauflage nicht geplant. Meine Gedanken waren hart an der Grenze zum „Rassismus“, im erweiterten Sinn des Wortes, wie er heute gebräuchlich ist. Es sind Gedanken eines Zugezogenen und delegitimieren sich so gleich doppelt. Und doch: Die hässlichen Gefühle sind da, ich kann sie nicht leugnen. Ich muss ihnen auf den Grund gehen. Bin ich nicht selber oft laut und rücksichtslos? Erkenne ich mich in den beiden? Liegt der Grund der hässlichen Gefühle also in mir? Tut er, aber doch nicht nur. Es kommt auch auf den Rahmen des Ganzen an, neudeutsch: Framing. Das zeigt ein einfacher Vergleich.

Im Zuge meiner ökologischen Konversion meide ich nicht länger Bio-Supermärkte. Unser Supermarkt heißt LPG. LPG, wie früher die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft in der DDR. Es gibt acht Filialen in Berlin. Wir frequentieren die am Senefelder Platz. Das Publikum dort besteht aus einem einzigen Vorurteil über die Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg. Es kaufen biodeutsche (!) Frauen und Männer ein, die entweder eine überbezahlte Referentenstelle in einem Ministerium bekleiden oder im weitesten Sinn was mit Medien machen. Man hört Englisch, Französisch, Spanisch, es ist nicht ganz klar, was diese schönen Menschen hier machen, in einem Ministerium werden sie nicht arbeiten, Influencer vielleicht. Was LPG mal bedeutet hat, werden sie nicht wissen. Sagte man es ihnen, fänden sie es „cool“.

Aber das stört mich nicht. Die hässlichen Gefühle sind wie weggeblasen. Wir bewegen uns lächelnd durch unsere LPG. Wir sind natürlich Mitglied. Die Mitgliedschaft erwirbt man sich aparterweise in der Kosmetikabteilung im ersten Stock, die von einer, sag ich mal, Durschnittsberlinerin geführt wird, die einer aufgeregten Irin schon mal geduldig erklärt, dass ohne deutsches Bankkonto leider keine Mitgliedschaft möglich ist. Auch an der Kasse sitzt normales Volk mit kräftigem Dialekt, es mutet an wie ein geschickter Schachzug dieses Unternehmens. Solange das Projekt so geerdet sind, kann nichts passieren.

Die LPG ist ein Modell, das zeigt, wie es klappen könnte. Unter dem Dach einer großen Idee, der Ökologie, verbinden wir uns, die anderen nerven nicht mehr. Die große Gereiztheit ist weg, alles easy. Die Politik wäre gut beraten, aus der sogenannten Deutschland AG eine Deutschland LPG zu machen.

Hegelplatz 1. Unter dieser Adresse können Sie den Freitag in Berlin erreichen – und ab sofort wir Sie. An dieser Stelle schreiben wöchentlich Michael Angele und Jakob Augstein im Wechsel. Worüber? Lesen Sie selbst

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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