Gartentherapie: Auf Sinnsuche

Natur Selbstverständlich übertreiben wir es mit der Sinnsuche, wenn wir uns einen Garten zulegen. Aber gut tut er dennoch
Ausgabe 19/2019
Gartentherapie: Auf Sinnsuche

Illustration: der Freitag

Lieber F., ich habe gehört, es geht dir nicht so gut. Frau weg, Job so lala, die Stadt macht dich nervös, und überhaupt fehlt dir irgendwie der Sinn. Ich denke, es ist an der Zeit, dich um einen Garten zu kümmern. Das bringt in deinem Fall vermutlich mehr als eine Psychotherapie, oder wenigstens solltest du neben der Psychotherapie auch eine Gartentherapie beginnen. Klar, du lässt dir kein X für ein U vormachen, deshalb sage ich gleich: Garten ist ein Modethema. Ich muss sogar sagen, wäre Garten kein Modethema, hätte ich selbst wohl keinen. Natürlich macht mich diese Einsicht nicht stolz; ganz viele, die einen Garten haben, haben ihn, weil schon die Eltern einen hatten oder weil sie irgendwie zu einem gekommen sind. So wie Professor S., der seit vielen Jahren eine kleinen Garten zweieinhalb Autostunden nördlich von Berlin hat, was ihn einfach zu einem Abwesenden machte, wenn er dort war, viel mehr interessierte uns nicht.

Als wir ihn aber an einem milden Sommerabend in seinem Garten besuchen durften, ging uns sofort das Herz auf. Sein Garten war eigentlich gar nicht besonders, Gemüsebeete hier, Blumenbeete dort, aber ich dachte sofort: „Ein Paradies.“ Aber auch, „das macht viel Arbeit“. Später ging mir auf, dass man diese beiden, sich scheinbar widersprechenden Sätze fast in jedem Diskurs über den Garten findet, sei es in Gartenbüchern oder einfach im Sprechen über Gärten. Oder in Filmen. Im Film Sommerhäuser zum Beispiel. Davon später mehr. Dass ein Garten ein Paradies ist und viel Arbeit macht, widerspricht sich ja nur scheinbar, denn es sagt einfach: Ein Paradies, in dem man nichts zu tun hat, ist sterbenslangweilig. Oder anders gesagt: Gartenarbeit ist erfüllende Tätigkeit.

Allerdings kann sie Rückenschmerzen verursachen, denn der Gärtner arbeitet meistens gebückt. Die gebückte Haltung symbolisiert indessen nicht Knechtschaft, sondern Demut vor dem, was uns überragt (Natur, Kosmos, Gott) und überlebt (der Garten). Es sind einfache, elementare Arbeiten: Jäten, Rupfen, Zupfen, Säen, Gießen, Ernten, die wir Stadtmenschen als besonders sinnvoll erfahren. Endlich glauben wir uns etwas weniger entfremdet, und dann schreiben wir Artikel wie diesen, oder Gartenbücher oder machen Filme, oder tun gleich beides, wie Lola Randl, von der du hier ein Interview lesen kannst; Tätigkeiten, die wir vermutlich für noch sinnvoller halten als das Gartenarbeiten selbst. Aber lass dich von diesem leichten Spott nicht täuschen, sobald du im Freien bist, denkst du nicht mehr daran, du denkst dann überhaupt etwas weniger (jedenfalls gegen Abend, wenn du es in den Gliedern spürst).

Das erste Gartenbuch, das ich nach der Pacht unseres Gartens gelesen habe, war auch so eins von einem Sinnsucher. Der Garten als Dschungel. Verfasst hatte es Helmut Salzinger, der sich als Kritiker und Walter-Benjamin-Experte einen Namen gemacht hatte. Anfang der 1980er Jahre zog sich Salzinger auf ein Gehöft in Niedersachsen zurück und dichtete und gärnerte. Sein Ziel war es, der Natur möglichst ihre Art zu lassen und sich als Mensch zurückzuziehen, also paradoxerweise so wenig zu gärtnern wie nur möglich. Es ist eigentlich ein Anti-Gärtnerbuch. Ausdrücklich will es keine Ratschläge erteilen. Das ist natürlich eine schwierige Wahl, wenn man selbst gerade einen Kleingarten gepachtet hat. Einen etwas heruntergekommen zumal, der einen Eindruck davon vermittelt, was es konkret bedeutet, wenn der Mensch der Natur zu ihrem Recht im Garten verhelfen will: Es herrscht der Giersch, der sein Reich nicht nur im Sichtbaren hat, sondern seine Macht durch ein riesiges unterirdisches Wurzelwerk festigt.

Raus aus der Blase!

Was mit dem Giersch droht, habe ich bei Jakob Augstein gelesen. Drei Jahre hat sein Kampf gegen das sich rhizomatisch verbreitete Unkraut gedauert, erzählt er in Die Tage des Gärtners. Die Versuchung der Monsanto-Gifte war da, am Ende waren es eine Schaufel und der Wille, auch noch das letzte Rhizom zu beseitigen, die den Kampf entschieden. Ja, Kampf – ein Garten entsteht ein gutes Stück weit gegen die Natur, schreibt Augstein, und an anderer Stelle heißt es sogar: „Wir finden Gärten schön, weil sie künstlich sind.“ Tage des Gärtners ist der Gegenentwurf zum Gärtner im Dschungel.

Unser Garten liegt so in der Mitte. Vor allem aber ist er, was sowohl der Ästhet Augstein als auch der Anti-Ästhet Salzinger ablehnen: auch ein Nutzgarten. Erholung ist der eine Zweck, die „Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen“ der andere. Streng genommen hat ein Drittel des Grundstücks Nutzfläche zu sein. Das war bei unserem Garten, als wir ihn vergangenen Herbst pachteten, nicht der Fall.

„Da ist aber noch viel zu tun!“, wurde über den Zaun gerufen. Einen etwas verwahrlosten Kleingarten übernommen zu haben, bedeutet auch, den Mitmenschen als Nachbarn des Kleingärtners kennenzulernen. Es ist dies keine einfache Sache mit dem Menschen als Nachbarn des Kleingärtners. Einerseits neigen wir dazu, ihn als Spießer und Faschisten zu verdammen und die Kleingärtnerei als Hort der sozialen Kontrolle zu entlarven, andererseits idealisieren wir ihn auch, wenn wir uns als Kleingärtner aus der Stadt versichern, dass man nur in der Gartenkolonie aus seiner Blase ausbricht und mit sozialen Schichten in Kontakt kommt, die man als Mieter in der Stadt längst aus den Augen verloren hat.

Von unserem Nachbarn zur Rechten hatten wir zu Beginn des Gartenjahres den Rechen ausgeliehen. Und wir haben vergessen, ihn zurückzugeben. Er ertrug es mit Gleichmut. Neulich erzählte er uns die Geschichte unseres Garten. Wo heute die Kolonie ist, waren früher die Finower Ziegeleien. Der 1976 in Gebrauch genommene Garten wechselte oft den Besitzer (die Datsche kauft man ja). Einmal hatten ihn auch zwei Ingenieure gepachtet, die sich allerdings bald zerstritten, denn der eine erntete am Vormittag, der andere das, was übrig blieb, am Nachmittag. In der Zeitschrift Wohnen im Grünen, Ausgabe 3/81, lese ich: „Solidarität zu üben ist für die Mitglieder des Verbandes der Kleingärtner zur Herzenssache geworden. Vor 15 Jahren spendeten die Mitglieder auf dem 2. Verbandstag des VKSK unter bewegendem Beifall der Delegierten 100.000 Mark für das vietnamesische Volk.“

Unsere Nachbarn zur Linken sind ein pensionierter rotbäckiger Dachdecker und seine Frau, die das Wort führt. Sie haben zu unserer Seite einen hölzernen Sichtschutz hochgezogen, was eigentlich ebenfalls gegen die Gartenordnung verstößt, aber vom Vorstand des „sozialen Friedens“ wegen geduldet wurde. Die Söhne unserer Vorpächterin seien frech geworden, es sei nicht anders gegangen, sagt die Nachbarin. Nun ermahne ich unsere Söhne, besonders nett zu bleiben, denn mir ist viel am sozialen Frieden gelegen.

Außerdem kann mir meine Nachbarin gute Ratschläge geben, sie kennt meinen eigenen Garten durch jahrelange strikte Obeservanz viel besser als ich selbst. Gestern zeigte sie mir das für mich schwer erkennbare System von Ablegern einer Erle in meinem Rasen. Orales Wissen ist beim Gärtnern wichtig und kann ergänzt werden durch Recherchen im Internet auf dem Handy direkt am Beet. Solcherart leicht zu akkumulierendes Wissen gepaart mit Improvisation – das ist es, was das Gärtnern zu einer niederschwelligen Passion macht. „Probieren Sie es einfach mal aus“, sagte auch meine Nachbarin, als es darum ging, einem etwas kümmerlichen Brombeerstrauch, den die Vorpächterin gepflanzt hatte, eine letzte Chance zu geben. Ich hätte den Strauch überhaupt nicht als Brombeere identifiziert, denn er hat keine Dornen. Nun gibt es aber solche Züchtungen, vor allem die Schweizer Firma Lubera tut sich hier hervor, und ich weiß nicht, ob ich das gut finde, vermutlich gelten ökologisch versierten Gärtner solche Brombeeren als ein No-Go. Als Gärtner ist man natürlich in die großen Debatten der Zeit verwickelt, jetzt gerade etwa das Artenstreben, dem wir mit einem Einsatz von Insektenhäusern, Feldblumensaat und Laubhaufen begegnen. Das Brummen jeder fetten Hummel, sobald die Sonne wärmt, macht glücklich – und es sind nicht wenige Hummeln.

Dilettantismus aushalten

Den Dilettantismus, der für den Kenner aus solchen Sätzen sprechen mag, muss man aushalten. Es scheint ja, als liege er in der Sache selbst. „Das Gärtnern ist ein Feld, in dem Ahnungslosigkeit bestens gedeiht“, schreibt Meike Winnemuth in ihrem Buch Bin im Garten, aktuell Platz 4 der Spiegel-Bestenliste. Es gibt keinen Grund, sich über dieses Buch lustig zu machen, es funktioniert wie jedes gute Buch mit einer einfachen Idee und einer halben dazu: Bekannte Weltreisende wird sesshaft, zieht in einem recht abgelegenen Ort in einen kleinen Bungalow ohne Waschmaschine, aber mit großem Garten, den man auf dem Innenumschlag schematisch abgebildet sieht: hinter dem Haus die Hortensien, vor dem Haus die Hochbeete, hier der Rhododendron, da der Wassertank. Zum Einstieg in ihr Aussteigerleben liest sie die Bibel aller Aussteiger: Walden von Thoreau, dessen Leben Mitte des 19. Jahhunderts natürlich noch viel urwüchsiger war, aber auch Thoreau lies sich jede Woche von seinen Eltern „Leckereien“ aus der Stadt in die Hütte zu liefern. „Man muss es nicht übertreiben mit der Natur“.

Gärtnern, lieber F., ist immer ein Rückzug, ist moderates Aussteigertum. Ein bisschen weniger Entfremdung, ein bisschen mehr Einklang mit der Umwelt. Die Lösung aller Probleme ist es nicht, wie das keine seriöse Therapie sein kann. Wer anders über seinen Garten denkt, dem empfehle ich Sonja Kröners Film Sommerhäuser, in dem sich im heißen Sommer 1976 nach dem Tod der (Ur-)Großmutter drei Generationen in deren Sommerhaus nahe München zusammenfinden. Der Garten, so schön er ist, verstärkt die Probleme nur – nicht zuletzt, weil er verkauft werden soll.

So schön grün hier

Dieser Text ist Teil einer Serie des Freitag zum Thema Garten. In Deutschland allein gibt es eine Million Gärten. In Zeiten von Artensterben und Klimaschutz werden sie zur heimlichen Macht

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zum Geburtstag von F+

Geschrieben von

Michael Angele

Ressort Debatte

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hängte er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fussball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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