Es ist leider so, dass von den Unmengen an Büchern, die dem Redakteur zugeschickt werden, die meisten samt Schutzfolie sofort in den Schrank wandern, wo sie vergebens auf Erlösung warten. Und es ist leider auch so, dass man in den Auswahlkriterien schamlos ist, sich an bekannten Autoren, Verlagen, Titeln und sogar an Autorenfotos orientiert.
Ganz schlechte Karten haben, ich gestehe es, books on demand. Neulich landete wieder so ein book on demand auf meinem Tisch. Beigelegt war ein Schreiben, das einen sehr persönlichen Eindruck machte („Geschätzter Michael Angele!“), gleichzeitig aber mit PRESSEMITTEILUNG überschrieben war. Es vermittelte dem Leser also das Grundgefühl eines Kafka-Romans, allgemeinsten Gesetzen ausgeliefert und zugleich als Einziger gemeint zu sein. „Der Autor und seine Auflage würden sich natürlich sehr freuen, wenn dieses Buch, in einem ihrer bemerkenswerten Beiträge, einen Platz fände.“
Wer wäre da nicht geschmeichelt? Man findet diese etwas barocke, aber sehr liebenswerte Ironie nicht mehr oft, vielleicht so selten, wie es im Profibetrieb noch „Straßenfußballer“ gibt. Das Thema klang schon einmal gut. Die Erzählung bringe die „Poesie des Münchner Nachtlebens verschwundener Tage“ ans Licht, hieß es in dem Anschreiben. Sehr bald nachdem ich im Buch selbst angefangen hatte zu lesen, hatte der Autor mich gewonnen; klar deutete sich sowohl die Poesie an als auch jene ferne Zeit, welche sie hervortrieb.
DER Schlüsselroman, DIE Abrechnung
Ein bemerkenswertes Foto des Autors zeugte von intimer Kenntnis seines Gegenstandes (siehe oben). Dieses Buch muss in die Zeitung! Auf unserer wöchentlichen Blattkonferenz, in der berechtigterweise nach Relevanz und Notwendigkeit eines zu druckenden Textes gefragt wird, würde ich sagen: Münchner Feigheit von W.A. Riegerhof ist DER Schlüsselroman über das Münchner Nachtleben der achtziger Jahre, DIE schonungslose Abrechnung mit Kokainmissbrauch in der Szene (dass es zentral um Koks geht, verdeutlichte das Cover), DAS Porträt eines jungen Mannes, der aus der Provinz in die große Stadt zieht und es dort schaffen will.
Nachdem ich dann die Münchner Feigheit zu Ende gelesen hatte, dachte ich, dass man auch einfach das Epigramm an seinem Ende vortragen könnte: „Sie alle sollten sich nie wieder begegnen. / Das Tageslicht gab ihnen Alltäglichkeit und / nahm ihnen die verwundbare Nähe der Nacht; / Figuren, wie aus der Zeit gefallen.“ Das müsste nun wirklich jeder toll finden, und ähnelte es nicht dem letzten Satz, den, so vermute ich, so viele jetzt noch verhinderte Romanschreiber für ein im Alter zu schreibendes Werk schon mal vornotiert haben („das ist nun so lange her, sie sind alle tot und nichts erinnert mehr an ihre Zeit“)? Wann erlebt man schon eine solche Epiphanie, zumal bei einem book on demand?
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