Debatte Das Netz bietet großartige Möglichkeiten zu debattieren, aber dem klassischen Intellektuellen stellt es eine echte Herausforderung dar: Was kommt nach der Ära Habermas?
Nein, einen so großartigen Intellektuellen wie Jürgen Habermas hat das Internet bislang nicht hervorgebracht. Auch wenn zu meinen sogenannten „Freunden“ auf der Plattform Facebook, nun ja, ein „Jürgen Habermas“ gehört. Aber es hilft nichts, den Jürgen anzustupsen oder dem Jürgen eine Nachricht zu senden, wie Facebook vorschlägt. Jürgen antwortet nicht, mir nicht und keinem anderen. Ein Witz, dass ausgerechnet der große Theoretiker des kommunikativen Handelns beharrlich schweigt. Vielleicht ist sich der User, der hinter dem Profil von Habermas (samt Photo) steckt, der Symbolik seiner Tat bewusst. Vielleicht weiß er sogar, dass er mit dieser dadaistischen Geste einen bestimmten Typus von Intellektuellen zur Farce macht
n zur Farce macht. Aber vielleicht ist er auch nur ein Scherzbold. Im Netz ist das manchmal schwer zu beurteilen.Das Internet bietet zweifellos großartige Möglichkeiten sich zu verbreiten und zu debattieren, aber für den klassischen Intellektuellen stellt es eine echte Herausforderung dar. Sie hat damit zu tun, dass ein Intellektueller nicht einfach publiziert. Ob er sich engagieren soll oder skeptisch blieben muss, ob er die Wahrheit auszusprechen oder im Gegenteil verdächtige „Wahrheiten“ zu hinterfragen hat: gemein ist den Vorstellungen vom Intellektuellen, dass er für das einsteht, was er sagt. Mit seinem Namen, mit seiner Integrität und machmal sogar mit seinem Leben.Diese Kriterien sind im Web ziemlich obsolet. Hinter dem Pseudonym „Jürgen Habermas“ kann jedermann stecken. Jedermann braucht keinen Mut, eine Ansicht zu vertreten, aber Mut ist die herausragende Tugend des Intellektuellen, wie wir ihn kennen, und wie er vielleicht Geschichte wird. Man kann diesen gefährdeten Typus den heroischen Intellektuellen nennen.Ironiefreies InternetMut allein reicht allerdings nicht. „Der Intellektuelle beherrscht und betreibt die Kunst des öffentlichen Wortergreifens im Namen einer universellen Verantwortung oder der Rechte des Menschen“ formulierte der Dekonstruktivist Jacques Derrida. Eine Kunst muss man erlernen, und es gelingt nicht jedem, der guten Willens ist. Derrida selbst beherrschte diese Kunst des öffentlichen Wortergreifens besonders virtuos, indem er deren Fragwürdigkeiten bei seinen Einlassungen gleich mitthematisierte: Was ermächtigt mich, in diesem Namen zu sprechen? Im Netz fände sein schillernder Stil vermutlich wenig Aufmerksamkeit.Nein, Subtilitäten sind noch nicht die Stärken dieses Mediums. Ironie wird kaum goutiert, was kompliziert scheint, wird ignoriert. In einem viel diskutierten Beitrag hat der Zeit-Autor Adam Soboczynski diese, sagen wir ruhig, Dummheit des Netzes in drastischen Worten beklagt. Er erinnerte an das heroische Bild, das José Ortega y Gasset vom Intellektuellen gezeichnet hatte: „Auf den ersten Blick scheint er ein Zerstörer, man sieht ihn, einem Metzger vergleichbar, stets die Hände voll von Eingeweiden der Dinge. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Intellektuelle kann nicht, auch wenn er es wollte, im Hinblick auf die Dinge Egoist sein. Er macht aus ihnen ein Problem. Das ist das höchste Kennzeichen der Liebe.“Mit „Hass“ werde dieser Intellektuelle im Internet verfolgt. Man fühlt sich an die Zeit von Ortega erinnert, an Hitler und Stalin und ihren Hass auf die „zersetzende Intelligenz“. Ein Hass, der für viele tödlich endete, aber geschenkt, Idiosynkrasien zieren den heroischen Intellektuellen wie die community cloud einen Blogger, so dass sich der Autor in guter Gesellschaft befindet.Die Intellektuellen bildeten immer schon eine beargwöhnte Elite, man mag sie Geistesaristokratie oder einfach nur Reflexionselite nennen. Dagegen steht – in den Worten Soboczynskis – die „heraufziehende Laienkultur“ im Netz, stehen die „Amateure“, die der „Neid“ eint. Wer will bestreiten, dass der Neid in einer Welt, die zwischen A-Blogger und B-Blogger unterscheidet, eine wichtige Rolle spielt? Aber richtet er sich wirklich gegen „den Intellektuellen“? Wird er als solcher überhaupt noch wahrgenommen? Gilt der Hass nicht einfach dem Besserwisser, dem primus inter pares quasi?Anregungen gebenHier lässt sich eine Verbindung zur Kritik am heroischen Intellektuellen ziehen, wie sie von konservativer Seite, etwa vom Philosophen Odo Marquard, formuliert wurde. Zugespitzt lautet sie: Der Intellektuelle spricht von Dingen, von denen er keine Ahnung hat. Er ist der Amateur oder Dilettant, der sich für einen Experten hält. Was befähigt einen Günter Grass, sich über Wirtschaftsfragen zu äußern? Was einen Peter Sloterdijk, zu Fragen der Humangenetik Stellung zu beziehen? Aus dieser Sicht wirkt die Penetranz oft größer als der Mut.Abgesehen davon, dass der Bedeutungsverlust des Intellektuellen auch damit zu tun haben könnte, dass Politiker lieber auf selbsternannte Experten ominöser „Institute“ hören: Ein echter Experte ist der Intellektuelle so gesehen wohl nur auf wenigen Gebieten, man kann die von Derrida genannten Menschenrechte dazu zählen, die Sprache, vielleicht auch den schwer zu fassenden Begriff der Macht und die Verantwortlichkeit, die sich daraus ableitet.Es ist ja nicht schlimm, ein Dilettant zu sein, man muss es nur wissen. Ursprünglich verstand man darunter den Liebhaber, der Muße hatte, sich einer Sache intensiv zu widmen, weil er keinem Beruf nachgehen musste. Früher war er meist ein Adeliger. Heute ist nicht nur der Intellektuelle, sondern jeder Blogger streng genommen ein Dilettant, wenn er nicht als Jurist oder Berufspolitiker oder Biologe zu Themen seines Metiers schreibt. In den Foren und Communities unterhalten sich Laien während oder nach der Arbeit, viele sind Rentiers oder Studenten.Was bleibt, über den mehr oder weniger gepflegten Austauch von Meinungen hinaus? Die Kunst, Fragen zu stellen, Anregungen zu geben, Gewissheiten zu zerstören, auf subversive Distanz zu gehen – gerade auch gegenüber dem Medium, im dem er sich artikuliert. Das, vielleicht, wäre der „Netz-Intellektuelle“.Aber wird er auch gehört? Die Aufmerksamkeit im Internet ist gut verteilt und flüchtig. “In diesem Medium verlieren die Beiträge von Intellektuellen die Kraft, einen Fokus zu bilden“, klagte Habermas vor drei Jahren über das Internet. Einen Fokus bilden, die Aufmerksamkeit bündeln, mit anderen Worten, die Öffentlichkeit wachrütteln, darin eben bestand die Kunst des heroischen Intellektuellen. Im Netz existieren unzählige Gemeinschaften, aber kann es darin auch eine Öffentlichkeit geben?Wir leben in einer Übergangszeit, die vor allem Fragen stellt. Noch gibt es ja die klassischen Medien, noch lesen wir den Kulturteil der Zeit, in dem sich ein kluger Autor eine ganze Seite lang über die Dummheit des Netzes aufregen kann, und damit auch in anderen Zeitschriften Gehör findet. Und wenn wir mit all den Zeitschriften fertig sind, stürzen wir uns ins Getümmel des Netzes, in dem dann allerdings, um ein Bild von Michel Foucault zu variieren, der heroische Intellektuelle verschwindet wie ein Gesicht im Sand am Meeresufer.
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