In Jens Liens Film Sons of Norway, der gerade in den Kinos läuft, wird der 14-jährige Nikolaj mit einer Schallplatte beschenkt, die ihn zum Punk machen wird. Die siebziger Jahre gehen langsam zu Ende, Nikolaj lebt in einem wahr gewordenen Architektentraum bei Oslo, sein Vater Magnus ist ein grundgütiger Hippie und Antiautoritärer, der dann selbst für Never mind the Bollocks. Here‘s the Sex Pistols und diesen „herrlichen Johnny Ratten“ schwärmen wird. Ratten ist natürlich Rotten, Johnny Rotten. Magnus hält ihn für den legitimen Nachfahren der Dadaisten.
Das hätte Malcolm McLaren, dem Manager der Sex Pistols, gefallen. McLaren hatte die Band 1975 aus dem Geist der künstlerischen, anarchischen Avantgarde geschaffen, Rotten hatte er in Vivien Westwoods Boutique „Sex“ entdeckt; der Kerl konnte so schön böse starren (er war schon damals stark kurzsichtig).
McLaren ist tot und Rotten trägt schon lange wieder den Namen, auf den er als Sohn irischer Gastarbeiter in London getauft wurde: John Lydon. Er hat Sons of Norway mitproduziert und ist in einer kleinen Rolle selbst zu sehen. Nikolaj dreht durch, landet lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus. John Lydon erscheint ihm als guter Geist auf dem Balkon. Füllig ist er geworden und wenn er spricht, entblößt er eine riesige Zahnlücke, die Frisur könnte man als verwelkten Stachelschnitt bezeichnen. Anders als damals, als nur das Klischee des Punk es so wollte, sieht er nun wirklich ziemlich hässlich aus.
Da steht also dieser alte Punk, zeigt in die kalte nordische Nacht und erklärt dem jungen Punk die Welt. Sagt, dass sie aus lauter winzigen Teilchen von Exkrementen bestehe, sagt, dass sie wunderbar sei, und kommt zu seinem Credo: “Freedom is crap. Crap is freedom. But once you understand that, everything is possible.” Muss man es übersetzen? Nun gut: Freiheit ist Scheiße, Scheiße ist Freiheit. Aber wenn du das kapiert hast, ist alles möglich.
Ist das nun ziemlich weise oder doch ein rechter Schmarren, fragt man sich. Spricht hier im Grunde immer noch ein junges Großmaul namens Johnny Rotten, oder ist es das Credo eines Mannes, der langsam auf die Sechzig zugeht und zu einem heiteren Nihilismus gefunden hat? Man weiß nicht so recht. Aber das ist eigentlich immer so, wenn John Lydon in der Öffentlichkeit den Mund aufmacht. Stets kommt er als Mischung aus Priester, Zyniker, Ewig-Pupertierendem und, dies vor allem, geläutertem Menschenfreund rüber. John Lydon hat in den letzten Jahren viele Interviews gegeben. Auch über Sons of Norway hat er gesprochen. Wie wunderbar er Åsmund Høeg findet, der Nikolaj spielt. Und wie seine Eltern zwar keine Hippies waren, aber auch sein Vater sich unter Nudisten frei fühlte und die Mutter für Captain Beefhart schwärmte, wie also auch er das Problem hatte, gegen tolerante Eltern rebellieren zu müssen. Die Mutter von Nikolaj wird von einem Auto überfahren. Die Mutter von Lydon starb an Krebs, er hat sie bis zuletzt zu den Konzerten seiner Band Public Image Ltd. (PiL) mitgenommen.
Wenn Lydon erzählt, geht es menschlich zu. Als er ein Interview gab und gerade Donna Summer gestorben war, war er nicht willens, über etwas anders als die Größe von Donna Summer und seine Trauer zu sprechen, Geht es um Occupy Wall Street, lobt er die antimaterialistische Haltung, die ihn beeindruckt habe. Selbst für Polizisten hat er ein paar nette Worte übrig. Nun muss man wissen, dass Johnny Rotten damals Donna Summer bestimmt nicht cool gefunden hätte, dass die Leute von Occupy Wall Street für ihn dröge Hippies gewesen wären, und Polizisten, nun ja.
Aber was will man? Sogar im Urteil über das britische Königshaus läßt er ja eine gewisse Milde walten. Dabei hatte in strenger Gegnerschaft zu den royals alles begonnen. Im Sommer 1977 traten die Sex Pistols in einem Boot auf der Themse auf, um auf ihre Art das silberne Jubiläum der Queen zu begehen, der Auftritt wurde zum Fanal für den Punkrock. Nur für die katholische Kirche hat er heute wie damals kein gutes Wort übrig. Die Religion ist der Hauptfeind seines Humanismus‘.
Wie bei anderen alternden Punkhelden, bei Campino oder beim verstorbenen Joe Strummer von The Clash, kann man auch bei Lydon beobachten, wie arrogantes Posertum und dezidiertes Schlechtfinden von fast allem in ein Gutfindenwollen und Umarmenmüssen umgeschlagen ist; kaum noch Wut, dafür viel Regression. Während Strummer aber doch zu viel Haltung hatte, um sich an jede weiche Brust zu schmeißen, rettet Lydon die Selbstironie davor, dass die Veronkelungstendenzen überhand nehmen. Schaut her, wie ich euch die Welt erkläre, aber nehmt das um Gottes willen nicht so ernst, scheint er zu sagen, wenn er seine Rede mit einem immer noch lausbübischen Lachen beendet. In diesem Moment ist einfach auch nur schön zu sehen, dass es ihn noch gibt (er hat leider auch seine Stieftocher Ariane von den Slits überlebt).
Nach dem Ende von Punk und Postpunk hat man seine Karriere in Deutschland natürlich eher punktuell verfolgt. Vor einigen Jahren war zu lesen, dass er in einer Staffel der englischen Version des Dschungelcamps mitmacht. 2010 kam er in die Medien, weil er sich einem Israel-Boykott diverser britischer Künstler nicht angeschlossen hatte und mit PiL in Tel Aviv auftrat. Von PiL war seit zehn Jahren keine neue Platte mehr erschienen, angeblich wegen eines Rechtstreits mit der Plattenfirma. Als der Verfasser dieser Zeilen aber in diesem Frühjahr das Radio anmachte und bald darauf hörte, wie einer „we came from chaos/you cannot change us“ mehr sprach als sang, dachte er sich: Die Stimme kennst du doch. (Es handelte sich um den Song „One Drop“ von der gleichnamigen EP. Mittlerweilen ist auch die LP This is PiL auf dem Markt.)
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