Blatter im Durcheinandertal

FIFA-Skandal Es gibt diskrete Schurken. Und es gibt die schillernden Gestalten. Ein solcher ist Sepp Blatter - noch in seinem Rücktritt. Friedrich Dürrenmatt hätte ihn geliebt
Ausgabe 23/2015
Sepp Blatter ab
Sepp Blatter ab

Foto: Valeriano di Domenico/AFP/Getty Images

Klar, man kann seine delikaten Geschäfte auch ganz diskret verrichten, das Symbol dafür ist der Schweizer Banker. Was hat sich Jean Ziegler nicht an ihm abgearbeitet: Die Schweiz wäscht weißer. Ein Stoff für Sachbücher, wichtiger Stoff, literarisch leider todlangweilig. Dieser Typus fährt mit der Straßenbahn zur Arbeit, in seiner Restfreizeit ist er bemüht, seinen enormen Reichtum zu verstecken, und eine Geliebte oder einen Geliebten hat er nur mit Billigung des Ehepartners.

Dann gibt es die schillernde Form des unsauberen Geschäfts. Das Symbol dafür ist der Mafioso, ein Typus, der bisher nicht mit der Schweiz assoziiert wurde. Mit Sepp Blatter hat sich die Lage dramatisch verändert, in Deutschland galt er bis zu seinem gestrigen Rücktritt jedenfalls als „Mafia-Pate“. Das ist natürlich nicht besonders präzise, darüber kann man sich als guter Schweizer aufregen, und wie der Journalist Roger Köppel von einer „Vorverurteilung“ durch die deutschen Medien sprechen . Andere gute Schweizer sind sauer auf Blatter selbst. „Er macht unser Image kaputt“, sagte einer dem Focus. Ja, welches Image denn, wenn nicht das des Biedermanns? Weg damit!

Direkter Draht

Für solche Imagekorrekturen war früher Friedrich Dürrenmatt zuständig. Was hätte Dürrenmatt (der leider acht Jahre, bevor Blatter zum FIFA-Präsidenten gewählt wurde, starb) an diesem Machtmenschen und Filou für eine Freude gehabt! Welch ein Stoff für eine Tragikomödie. Und erinnern Blatter und seine FIFA nicht an Dürrenmatts letzten Roman Durcheinandertal, an Moses Melker und seine „Swiss Society of Morality“? Wie Blatter hat auch Melker einen direkten Draht zum Herrn. Melkers Mission: Die Superreichen mit einer „Theologie der Armut“ glücklich machen, dazu lockt er sie in den Sommerferien in sein Kurhotel, wo sie einfachste Arbeiten verrichten, dann geht’s geläutert zurück in den Reichtum, den Rest erledigt die Gnadenlehre. Im Winter wird das Hotel an Verbrechersyndikate vermietet.

Blatters Mission: „Make the world a better place“. Tatsächlich ist Blatter eine Mischung aus Pate und Befreiungstheologe. Die UEFA-Funktionäre hassten ihn, weil er dem Eurozentrismus im Weltfußball entgegenarbeitet hat. Dafür liebte man ihn in Afrika. Aber Blatter ist nicht der Typ, der nach Kenia fährt, sich verliebt, um dann „schmerzhaft“ zu begreifen, wie „fremd“ ihm die dortigen Sitten sind. Also keine Weiße Massai, deren Autorin ja auch aus der Schweiz kommt. Nein, eher der Typ, dem gewisse Sitten und Bräuche, und vielleicht nicht die demokratischsten, ganz gut gefallen. Allerdings, die Korruption in der FIFA, die keiner bestreitet, am allerwenigsten Blatter, bekämpft man am besten durch die FIFA selbst: siehe seine Kommission für „good governance“. Aber ihr Werk ist nicht vollendet.

Und das hat der Blatter, Sepp nun erkannt. Noch besser kann er die Korruption bekämpfen, wenn er nicht mehr Präsident ist. Und also trat er zurück und verkündete selbige Botschaft in einer großen Rede.

Blatter, man kann es nicht genug betonen, kommt aus dem Wallis. Geografisch zählt der Kanton schon zur Alpensüdseite, die Bevölkerung ist zu 80 Prozent katholisch und viele Jahrhunderte war die puristische Nordschweiz sehr weit weg. Der Präsident des größten Fußballvereins im Wallis, des FC Sion, hat in 16 Jahren sage und schreibe 56 Trainer verbraucht. Dieser Christian Constantin bekäme bei Dürrenmatt genauso seinen Auftritt wie Walter De Gregorio. Als Sportjournalist schrieb De Gregorio brillante Kolumnen, ein bisschen geschwätzig vielleicht. Als Pressechef der FIFA musst er dann vor allem eines: schweigen. Ein Durcheinandertal eben. Melkers Herrschaft lässt der Moralist Dürrenmatt in einem Flammenmeer enden – wo Blatter noch enden wird, wird sich weisen.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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