Ein Krampf

Tabu Wie gefährlich ist Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“?
Ausgabe 01/2016

Wir stehen am Ende einer Welt, die zutiefst vom Buch geprägt ist. „Gutenberg-Galaxis“ hat der Medienphilosoph Marshall McLuhan diese Welt einmal genannt. In ihr ist ein Buch nicht einfach ein Träger von Schriftzeichen, sondern mehr, nicht selten ein Fetisch. Und umgekehrt ein gefährlicher Gegenstand, den man konkret oder auch nur in Gedanken besser nicht „berührt“. Adolf Hitlers Buch Mein Kampf wurde nach dem Ende der Nazidiktatur mit einem solchen Tabu belegt. Im Land der Täter war zwar nicht der Besitz, aber der Nachdruck verboten, was mit dem Urheberrecht begründet und aus nachvollziehbaren Gründen von den Opfern begrüßt wurde.

Dieses Recht endete nun gut 70 Jahre nach dem Tod des Autors Adolf Hitler. Gleichwohl soll auch künftig ein Nachdruck verboten werden, begründet wird das Verbot jetzt aber mit der Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda und Volksverhetzung. Und so kommt diese Woche erst einmal eine kommentierte Ausgabe des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in den Handel. Wir werden berichten.

Es gibt allerdings längst eine „subversive“ Erzählung zu diesem Verbot, sie lautet: Wer will, kann Mein Kampf im Internet auf Deutsch lesen. Aber wer wollte das bisher überhaupt? Etwas grob gesagt: Wissenschaftler und Neonazis. Während die Wissenschaft ihrem Geschäft nachging, ist von einer Wirkung des Buchs auf die rechtsextreme Szene nichts bekannt. Wie auch? Es ist so wenig eine Bombe wie irgendeines, sondern besonders öde, wenngleich es diese Art von Büchern, halb Autobiografie, halb Weltanschauungstraktat, tausendfach gab. Es hat einzig durch die schreckliche Karriere seines Autors eine Bedeutung erlangt. Aber diese Karriere wäre ohne das Buch nicht anders verlaufen.

Bis heute ist noch nicht einmal ganz klar, warum Hitler es während seiner Haft 1924 überhaupt geschrieben hat, nicht der geringste Grund war wohl: Geldnot. Hitler selbst sah sich jedenfalls als Redner, nicht als Schriftsteller, einer, der dem geschriebenen Wort im Unterschied zum gesprochenen nur eine geringe Wirkung auf die Massen zutraute; darin kannte er sich aus, bis heute sind die einzig interessanten Stellen in seinem Buch jene, die von der Propaganda handeln. Dennoch wirkt Mein Kampf im kollektiven Bewusstsein als gefährliches Buch weiter. Bedroht wird ein solcher Nimbus durch die Parodie.

Das gefährlichste Buch am Beginn der Gutenberg-Galaxis ist darum nur scheinbar paradoxerweise ein Buch, das einen das Lachen lehren soll: der zweite Teil von Aristoteles’ Poetik, der von der Komödie handeln soll. Wer es lesen will, bezahlt mit dem Tod. Jedenfalls im Namen der Rose ist das so. Umberto Ecos historischen Krimi hat man im Unterschied zu Mein Kampf verschlungen, das zwar in der Nazizeit nicht ungelesen blieb, aber millionenfach nur angelesen wurde.

Daran wird sich nichts ändern. Aber man kann auf ein spannendes Buch verweisen, das die Lektüre des öden ersetzt: „Mein Kampf“. Die Karriere eines deutschen Buches von Sven Kellerhoff, letztes Jahr zu früh erschienen. Es hat seine massenhafte Lektüre verdient. Nicht nur erspart es durch eine genaue Nacherzählung des Inhalts den Direktkontakt mit dem Original. Es erzählt auch seine Schicksale. Unter anderem war schon um 1930 herum eine Parodie geplant. Der Titel verstand sich von selbst: Mein Krampf. Dieses Buch von Hans Reimann ist nie erschienen.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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