Political Correcntss, Cancel Cuture: Die Freiheit der Forschung sei in Gefahr, argumentiert das neue gegründete Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Man dürfe an der Uni nicht alles sagen, wenn der Preis dafür Rassismus sei. So der Tenor einer Stellungnahme der Forschungsstelle für Interkulturelle Studien (FiSt) der Universität zu Köln, mitinitiiert von der Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges. Solche Interventionen verfolgten das Ziel, unliebsame Forschung zu verdrängen, kritisierte die Migrationsforscherin Sandra Kostner in der FAZ. Grund genug, die beiden zum Streitgespräch einzuladen.
der Freitag: Frau Hentges, eine afrodeutsche Studentin fühlte sich in einem Seminar rassistisch angegangen. Die Studentin richtete nun eine Petition an die Landesregierung mit dem Ziel, „institutionellen Rassismus“ zu „dekonstruieren“. Sie haben diese Petition unterschrieben. Was ist für Sie institutioneller Rassismus?
Gudrun Hentges: Vorab: Ich finde es sehr mutig, dass die Kölner Studentin ihre Erfahrungen geteilt und in die politische Debatte interveniert hat. Zu Ihrer Frage: Ich meine, man kann Rassismus nicht auf individuelle Vorurteile reduzieren, er ist ein strukturelles Problem. Rassismus ist eine Ideologie, eine Struktur und ein Prozess, so die britische Wissenschaftlerin Philomena Essed. Soziale Gruppen werden als „Rassen“, Ethnien oder Kulturen konstruiert. Ihnen wird unterstellt, sie wären wesensmäßig anders oder gar minderwertig. Mitglieder dieser Gruppen werden vom Zugang zu materiellen oder nicht materiellen Ressourcen ausgeschlossen. Auch, aber nicht nur, im Bildungssystem.
Sandra Kostner: Nun hörte ich in unserem Vorgespräch von diesem Fall zum ersten Mal. Es fehlt mir die Sicht des Dozenten und von Kommilitonen, um die Situation einordnen zu können. Daher nur dieses: Die Szene hat sich im Rahmen eines Seminars für interkulturelle Kompetenz abgespielt. Bis vor ungefähr zehn Jahren wurde in diesen Trainings vermittelt, dass man die Frage nach der Herkunft stellen soll, weil das ein Zeichen der Höflichkeit sei, Interesse signalisiere. Inzwischen wird diese Frage vor allem im identitätslinken Milieu als Absprechen der Zugehörigkeit oder sogar als Zeichen des Rassismus gedeutet. Das ist zu simpel, weil es darauf ankommt, wie und mit welcher Absicht die Frage gestellt wird. Aus Interesse? Um ein Gespräch einzuleiten? Oder weil jemand signalisieren will, dass er nicht dazugehört?
Hentges: Letzteres ist eben nicht selten. Ich finde die Kritik an der Frage „Woher kommst du?“ berechtigt. Allzu häufig machen Menschen aufgrund ihrer äußeren oder anderer Merkmale die Erfahrung, penetrant nach der „eigentlichen Herkunft“ gefragt zu werden, vor allem People of Color. Ihnen wird implizit abgesprochen, Teil der bundesdeutschen Bevölkerung zu sein, und diese Erfahrung stärkt das Gefühl von Ausschluss.
In dem Online-Seminar saßen offenbar viele StudentInnen aus anderen Herkunftsländern, das Thema war Corona in diesen Ländern. Da scheint mir eine eingangs gestellte Frage nach der Herkunft nicht gerade bösartig.
Hentges: Aber was dann folgte, war eben nicht okay. „Sie sehen exotisch aus, aber an Ihrem Akzent merkt man, Sie sind in Deutschland aufgewachsen“, soll der Dozent gesagt haben. Ich finde das höchst problematisch, da schwingt eine Exotisierung mit. Vor einem Seminar zu interkulturellen Kompetenzen kann man doch erwarten, dass sich die Dozierenden am „state of the art“ orientieren.
Richtig ist, dass die Studentin die Frage zu ihrer Herkunft als abwertend empfand. Hatte sie da nicht das Recht, sich Gehör in der Öffentlichkeit zu verschaffen, Frau Kostner?
Kostner: Natürlich hat jeder das Recht, sich Gehör zu verschaffen. Hier geht es aber um die Verhältnismäßigkeit, sie scheint mir nicht gewahrt. Das war kein Austausch auf Augenhöhe. Im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass eine Situation, die direkt mit dem Dozenten hätte geklärt werden sollen, sofort in skandalträchtiger Manier öffentlich gemacht wurde. Ich frage mich: Warum macht man das?
Warum also?
Kostner: Ich vermute, weil die Studentin wusste, dass sie in den sozialen Medien schnell Unterstützung findet. Darauf lassen die 54.000 Klicks auf ihren Instagram-Post schließen. Plus die Unterstützung von Wissenschaftlerinnen wie Frau Hentges. Schließlich eine Petition bei der Landesregierung: Auf mich wirkt das Ganze so, als hätten die Studentin und ihre Unterstützer die Äußerung des Dozenten zum willkommenen Anlass genommen, um Universität und Landesregierung moralisch unter Druck zu setzen, um ihre partikularen Ideen von Antirassismus durchsetzen zu können.
Wie würden Sie Ihre Motive beschreiben, Frau Hentges?
Hentges: Frau Kostner, Sie sagen, es handele sich nicht um einen Austausch auf Augenhöhe. Das finde ich auch nicht entscheidend, sondern dass wir uns mit dem strukturellen Rassismus beschäftigen. Welche Mechanismen von Ein- und Ausschluss gibt es? Welche Formen von Exotisierung? Was die Studentin uns doch sagen will: Wir sind Teil der bundesdeutschen Gesellschaft und werden in Alltagssituationen immer wieder zurückgeworfen auf unsere Hautfarbe, auf stereotypische Merkmale. Das müssen wir ernst nehmen, deshalb die Petition.
Kostner: Aber wie wirkt sich dieses Vorgehen auf die Freiheit der Lehre aus? Werden Lehrende mit einer Schere im Kopf agieren, um nicht zur Zielscheibe von Aktivisten zu werden? Vor allem, um das Thema Rassismus aufzugreifen: Wie frei können Lehrende unterschiedliche wissenschaftliche Konzepte von Rassismus behandeln, wenn die Gefühle von Studierenden das Maß aller Dinge sind?
Konkret, was wäre eine Aussage, die im akademischen Zusammenhang inakzeptabel ist, weil rassistisch, Frau Hentges?
Hentges: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Oder die Rede von kriminellen Ausländern, von kriminellen Flüchtlingen. Die Frage nach der Gewalttätigkeit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ... Generell die Reproduktion von Stereotypen.
Ist „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ eine wissenschaftliche Hypothese?
Hentges: Der Anlass war in diesem Fall, dass ein Student in einer Veranstaltung einer Kollegin gebetsmühlenartig vorgetragen hat, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Daraufhin fragten dann die Studierenden: Gehören wir also auch nicht zu Deutschland? Sie fühlten sich angegriffen.
Um was ging es in dem Seminar?
Hentges: Um postkoloniale Theorie und um die Kölner Silvesternacht.
Was hat die Kölner Silvesternacht in diesem Kontext zu suchen?
Hentges: Die Kölner Silvesternacht ist mittlerweile Gegenstand zahlreicher Studien zum antimuslimsichen Rassismus respektive der Feindlichkeit gegenüber Musilmen und somit Gegenstand der universitären Lehre . Wenn man in einer wissenschaftlichen Veranstaltung eine Position vertritt wie die, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sollte man das anhand von Studien belegen können. Das hat die Dozentin dem Studenten klargemacht.
Kostner: Nicht jede Aussage, über die man an Universitäten diskutiert, kann oder muss durch Studien belegbar sein. Universitäten gelten ja nicht umsonst als der Marktplatz der Ideen. Zumal es unterschiedliche Studien gibt. Nehmen wir den Satz: „Der Islam gehört bzw. gehört nicht zu Deutschland.“ Wer sich einfach daran orientiert, welche Religionsgemeinschaften in Deutschland vorkommen, wird die Frage natürlich mit „ja“ beantworten. Wer hingegen historisch forscht, um aufzuzeigen, wie prägend der Islam für die Entwicklungen in Deutschland war, wird sich schwertun, den Islam als prägende Kraft auszumachen. Und wer sich der Frage widmet, welche Werte für unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen konstitutiv sind, wird die Frage, ob der Islam zu dieser Wertebasis gehört, kaum mit „Ja“ beantworten können. Ich war nun nicht bei dem Seminar dabei, ich kann mich aber an einen Artikel aus Sicht des Studenten erinnern, der nahelegte, dass sich der Student ausgegrenzt fühlte. Es gibt diverse Formen der Ausgrenzung.
Hentges: Weder wurde die Person ausgegrenzt noch die Position. Der Student wurde tatsächlich aufgefordert, sich wissenschaftlich zu informieren. Es gibt ja ganz viel Forschung zum Islam, zu den Muslimen, es gibt eine Sinus-Studie zu türkischen Migranten ... Der Student hat dann auch bis zur letzten Sitzung an dem Seminar teilgenommen. Und meinte sogar, dass er viel gelernt hat.
Zu den Personen
Sandra Kostner studierte Geschichte und Soziologie, Promotion in Sydney. Sie arbeitet als Migrationsforscherin an der PH Schwäbisch Gmünd. Zuletzt erschien: Identitätslinke Läuterungsagenda. Eine Debatte zu ihren Folgen für Migrationsgesellschaften (Ibidem 2019)

Foto: Imago Images
Gudrun Hentges ist Professorin für Politikwissenschaft, Bildungspolitik und politische Bildung an der Universität Köln. Sie ist Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) und Vertrauensdozentin der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln
Also, ich möchte gerade nicht Dozent in kulturwissenschaftlichen Seminaren sein ... Ausgrenzung hier, Freiheit der Lehre da …
Hentges: Es ist in der Tat ein schmaler Grat, auf dem ich mich als Dozentin bewege. Ja, Universitäten sind der Ort, an dem Studierende etwas auszuprobieren können und im wissenschaftlichen Rahmen auch mal steile Thesen formulieren dürfen. Zugleich habe ich aber auch die Verantwortung, vulnerable Gruppen zu schützen.
Sind vulnerable Gruppen das, was man früher als Minderheiten bezeichnet hätte?
Hentges: Der Begriff der Minderheiten ist unspezifisch. „Vulnerable Gruppen“ verweist auf deren Verletzbarkeit. Gemeint sind von Rassismus betroffene Menschen, die verbalen oder körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. Geflüchtete sind aufgrund ihrer traumatischen Erfahrung im Herkunftsland und auf der Flucht eine besonders vulnerable Gruppe. Es gibt auch Mehrfachdiskriminierung, sodass Rassismus und LGBTIQ gemeinsam diskutiert werden müssen.
Ist es denn keine gute Sache, Diskriminierungen zu bekämpfen, Frau Kostner?
Kostner: Doch, aber es ist mir hier einfach zu paternalistisch gedacht. Wenn ich Gruppen als vulnerabel bezeichne und ihnen deshalb nicht zutraue, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, die sie als verletzend empfinden könnten, dann verhalte ich mich wie eine Helikoptermutter, die genau zu wissen meint, was das Beste für das unmündige Kind ist. Stattdessen sollte doch die Resilienz von Studierenden gestärkt werden, damit sie nicht jedes Argument, das ihnen missfällt, gleich als Angriff auf ihre Person sehen.
Hentges: Ja, es ist wichtig, Individuen zu stärken, Resilienzen zu entwickeln. Das passiert ja auch in zahlreichen Workshops, Gesprächen, Trainings. Stichwort Empowerment. Es soll Menschen in Situationen, in denen sie diskriminiert, ausgegrenzt oder verletzt werden, handlungsfähig zu machen. Ungeachtet dessen halte ich es für richtig, vulnerable Gruppen so zu schützen, dass ihnen bestimmte Erfahrungen von Retraumatisierung schlicht erspart werden.
Wie sieht das konkret aus?
Hentges: Zum Beispiel durch Trigger-Warnungen, die Sie, Frau Kosnter, in Ihren Publikationen kritisch betrachten. Häufig ist es etwa gar nicht erforderlich, bestimmte Bilder zu zeigen. Muss man Lynchmorde, die sich in den Südstaaten der USA ereignet haben, zeigen, um deutlich zu machen, was Sklaverei bedeutet? Ich glaube nicht. Und doch geschieht es. Mit der Konsequenz, dass sich im Hörsaal Personen befinden, die schockiert sind oder schlimmstenfalls retraumatisiert werden.
Kostner: Von Retraumatisierung zu sprechen, finde ich problematisch. Hier wird ein klinischer Begriff, der ein selbst erlebtes Trauma voraussetzt, einfach auf jede emotionale Betroffenheit angewendet, um der Forderung nach Schutz Nachdruck zu verleihen.
Frau Hentges, ich möchte bei Ihnen in Köln ein Seminar anbieten zur „Ästhetik des Schreckens im Film“. Da werden grauenhafte Bilder gezeigt. Was raten Sie mir?
Hentges: Also, „Ästhetik des Schreckens im Film“ ist ja keine verpflichtende Veranstaltung, dann werden sich nur diejenigen anmelden, die damit keine Probleme haben. Natürlich ist es oft eine Gratwanderung. Denken Sie an die Auseinandersetzung mit der Shoah. Was kann man, was muss man zeigen? Die Antwort liegt in der Verantwortung eines jeden und einer jeden Lehrenden.
Wenn ich an mein Studium denke, war Betroffenheit nichts, was uns geprägt hätte. Man fühlte sich eher Denkschulen verbunden, hat entsprechende Kurse besucht und andere gemieden.
Hentges: Das deckt sich mit meinen Erinnerungen. Aber auch wenn Betroffenheit nicht im Vordergrund stand, so habe ich mich doch in vielen Veranstaltungen gefragt, wo denn eigentlich die Frauenperspektive bleibt? Also haben wir dafür gekämpft, diese Perspektive zu stärken. Mit Erfolg. Dagegen waren Rassismuskritik und Dekolonialisierung kaum ein Thema. Diese Debatten begannen erst Anfang der 1990er Jahre, recht zaghaft, mit Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen.
Und richtig groß wurde die Debatte erst jetzt.
Hentges: Ja, unsere Beispiele stammen aus den letzten drei Semestern. Insofern möchte ich vermeiden, dass wir das überbewerten. Es ist ja keineswegs so, dass Rassismus in allen Lehrveranstaltungen in jeder Woche ein Thema und ein Problem ist. Vielmehr ist der Regelfall eine offene, kontroverse Lehre, wo man auch mal „advocata diabola“ spielen wird.
Da würden Sie jetzt nicht widersprechen wollen, Frau Kostner?
Kostner: Nein, ich finde diesen offenen Diskursraum sehr wichtig. Er muss immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Der Grund ist, dass Menschen dazu neigen, sich in intellektuellen und emotionalen Komfortzonen einzurichten. Unsere Aufgabe als Lehrende ist auch, Studierende aus diesen Komfortzonen zu holen, sie mit unangenehmen Positionen zu konfrontieren.
Aber Ihre eigene Haltung sollte dabei klar sein, oder?
Kostner: Was für eine Haltung soll das denn sein? Ich illustriere das mal an einem Beispiel aus meinem Lehralltag. Am Semesterende sagten Studierende vor einiger Zeit zu mir: „Normalerweise weiß man bei Dozenten, woran man ist. Bei Ihnen nicht. Das ist zwar irgendwo befreiend, aber eben auch verunsichernd.“ Das war für mich ein Lob. Lob, weil ich ganz bewusst versuche, Lehrinhalte neutral aufzubereiten, um Studierende nicht zu manipulieren ....
Hentges: ... Das ist sicherlich gut, aber im Begriff der Neutralität lauert auch eine Gefahr. Ja, wir als Lehrende sollten Studierende nicht indoktrinieren und sie nicht überwältigen. Aber das bedeutet nicht, dass wir zu Neutralität verpflichtet sind. Das ist AfD-Jargon. Siehe deren Meldeplattform „Neutrale Schule Hamburg“. Und Sie interpretieren den Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr ’76 ...
… der die politischen Prinzipien des Unterrichts festlegte …
Hentges: ... dahingehend falsch, dass Sie behaupten, Lehrkräfte seien zur politischen Neutralität verpflichtet. Das Gegenteil ist richtig. Wer einen Blick ins Beamtengesetz wirft, kann lesen, dass Beamtinnen und Beamte, und demnach auch Hochschullehrerinnen, verpflichtet sind, für Werte im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzutreten. Für Menschenrechte, für Bürgerrechte, für Rechtsstaatlichkeit, für religiöse Toleranz, gegen Rassismus, gegen Diskriminierung.
Kostner: Ich habe auch nicht gesagt, dass Lehrende zur Neutralität verpflichtet sind, sondern dass ich versuche, Inhalte neutral zu vermitteln, das ist ein Unterschied!
Angenommen, ich möchte mich mit einer Arbeit in Politikwissenschaft promovieren, die darlegt, dass Diktaturen besser mit einer Pandemie umgehen können als eine Demokratie. Darf ich das?
Hentges: Selbstverständlich.
Aber meine Arbeit wird zu dem Schluss kommen, dass Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit bei der Bewältigung der Krise womöglich hinderlich sind.
Kostner: Das ist durch die Wissenschaftsfreiheit gedeckt.
Hentges: Es ist ja eine ganz präzise formulierte Frage. Welche Staatsform ist effizienter hinsichtlich der Bekämpfung einer Pandemie? Das sagt nichts Prinzipielles aus über Gewaltenteilung, nichts Prinzipielles aus über die Versammlungsfreiheit, über Gleichberechtigung der Geschlechter …
Aber konform ist dieser Ansatz nicht. Ich hänge noch ein wenig an dem Begriff des Konformismusdrucks. Ist ein solcher Druck nicht fatal für freies Forschen?
Hentges: „Freies Forschen“ selbst ist eine Illusion, würde Pierre Bourdieu sagen. Die Wissenschaft ist durchdrungen von Macht- und Herrschaftsstrukturen. Erst daraus lässt sich ableiten, was überhaupt als ein „Forschungsthema“ und Problem anerkannt wird.
Gibt es so gesehen gar keinen Konformitätsdruck? Weder der Mehrheit auf die Minderheit noch der Minderheiten auf eine Mehrheit?
Hentges: Konformitätsdruck ist für mich der falsche Ausdruck. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive würde ich eher von ungleicher Diskursgewalt sprechen. Im Übrigen stehen sich hier keineswegs Mehrheiten und Minderheiten als starre Blöcke gegenüber. Wichtig wäre in einer postkolonialen Perspektive, zu erkennen, dass Minderheiten nur aufgrund von Macht- und Verteilungskämpfen in spezifischen Kontexten zu Minderheiten geworden sind.
Kostner: Wenn wir von einem von einer Mehrheit erzeugten Konformitätsdruck sprechen, dann geht es um die dominierende Sichtweise und davon abweichende Sichtweisen. Ob eine Sichtweise zur dominanten wird, hängt von der Zusammensetzung der Personen ab, die im Seminarraum eine Diskursgemeinschaft bilden. Menschen nehmen ja nicht aufgrund eines demografischen Mehrheits- oder Minderheitenmerkmals eine bestimmte Sichtweise ein. Ansonsten müssten ja alle Menschen mit einem bestimmten Merkmal die gleiche Sichtweise haben. Dass es dominante Sichtweisen gibt, ist kein Problem. Worauf es ankommt, ist, dass wir offen mit abweichenden Sichtweisen umgehen. Leider ist dies keine Selbstverständlichkeit. Und dafür sind in den vergangenen Jahren zunehmend Aktivisten verantwortlich, die sich selbst vulnerablen demografischen Gruppen zurechnen oder als deren Fürsprecher agieren. Sie versuchen, ihre Sichtweise gegenüber Mehrheiten durchzusetzen, indem sie einen Konformitätsdruck erzeugen. Also jeden als Rassisten, Sexisten, Islamophoben usw. bezeichnen, der ihre Sichtweise nicht teilt.
Aber dass es Rassisten, Sexisten und Islamophobe gibt, würden auch Sie nicht in Abrede stellen?
Kostner: Nein, natürlich nicht. Natürlich gibt es Rassisten und Sexisten und auch Muslimfeindlichkeit.
Kommentare 50
Aus dem Buch: '7.8 Milliarden Wege, sich als Opfer zu fühlen.'
Ich bin ein dezidierter Anhänger der Sichtweise, dass es ungenügend ist, im Leben einfach zu überleben. Kultur, Hochkultur, Kunst sind keine netten Beigaben und in meiner Welt darf man das bis in feinste Verästelungen treiben.
Was ich mich nur manchmal frage, ist, wenn man es dann zum veritablen Opfer gebracht hat, wie viel Raum bleibt dann im Selbsterleben eigentlich noch für andere Menschen und ihre Lebensentwürfe? Ich meine nicht nur solche, die ebenso wie ich unter dieser Rücksichtslosigkeit leiden. Und was hat das eigentlich für Konsequenzen für die allgemeine Forderung nach größerer Sensibilität und Empathie, wenn die Grenze stets mein eigene Empfindsamkeit ist?
Nach dem Lesen des Interviews bleiben bei mir viele Fragen. Hätte Martin Luther King mit solchen Mädchen seine Proteste beginnen können? Geschweige denn fortsetzen nachdem die ersten Schüsse fielen? Was wird den jungen Frauen beigebracht, außer in den sozialen Netzwerken billige Kampangnen zu starten und nach Mutti zu rufen? Sollte es in einem Rechtsstaat nicht andere Mittel geben? Könnte frau es im Seminar nicht einfach mit Rede und Gegenrede, gern auch mal mit vertauschten Rollen probieren. Argumentieren ist schließlich eine Fertigkeit, die man sich nicht aneignet, wenn man mit einer entsprechenden Anleitung unter dem Kopfkissen schläft. Was erwartet das Mädchen eigentlich im Studium zu lernen?
Eine Frage noch an die hier Lesenden. Die Wirksamkeit von Kampagnen in sozialen Netztwerken hängt auch heute noch davon ab, wie sie in "konventionellen" Medien reflektiert werden. War das Interview wirklich notwendig? Hätte das Thema wirklich aufgegriffen werden müssen? Und ist es adäquat behandelt worden? Also, wer wird damit wie beeinflusst?
Ich denke ähnlich wie Frau Kostner, dass man den Fall unter vier Augen oder auch im Rahmen des stattfindenden Seminars beziehungsweise der stattfindenden Vorlesung hätte klären können. Der Satz des Dozenten ist sicherlich ein Ausrutscher. Sicherlich kann man in ihn auch ein von rassistischen Klischees beeinflusstes Weltbild hineininterpretieren – nichtsdestotrotz bleibt der Vorfall eine Bagatelle, bei der man nach allen vorliegenden Informationen davon ausgehen kann, dass sich der Dozent nichts Schlimmes gedacht hat und schon gar nichts Schlimmes tun wollte.
Die Sichtweise bezüglich des in manchen Milieus anzutreffenden Wettbewerbs »wer ist das größte Opfer?«, den der Vorredner bereits formuliert hat, sehe ich ähnlich. Ob der Vorfall beziehungsweise seine Social-Media-Skandalisierung zu einem echten Skandal gerät, bin ich skeptisch. – Letzte Anmerkung: Besagte Überempfindlichkeit ist in dem Denkumfeld der Cultural Studies wohl bereits mit eingebaut. Beleg: der stetige Hang zu Übertheoretisierung und Überproblematisierung, welcher auch in den Antworten der zwei Gesprächspartnerinnen zutage tritt.
Drittens muß man bei der in der Kampagne zum Tragen gekommenen Form von Ideologie mit einpreisen, dass dem Dozenten auch das Gegenteil seines tatsächlichen Verhaltens hätte zum Vorwurf gemacht werden können. Hätte er nichts gesagt, wäre der Vorwurf möglich gewesen, er übersehe die Studentin oder ignoriere sie, weil sie Punkt Punkt Punkt. Wo aber JEGLICHE Handlung – inklusive Nichthandlung, die ja auch irgendeine Form von Handlung ist – zu dem intendierten Vorwurf führt, scheint es mir mit der Begründungsgrundlage respektive dem dahinterstehenden Konzept nicht weit her zu sein.
Das ist mal wirklich ein Streitgespräch. Gut herausgefragt. Mit ziemlich Gefälle bei der Stichhaltigkeit der Äußerungen von Hentges zu Kostner.
Wenn sich die Sache, die hier den Anlass zu den weiteren Entwicklungen und schließlich zu diesem Streitgespräch gab, so zugetragen hat, kann ich nur zu gut verstehen, dass die betroffenen Studentin einfach mal die Faxen dicke hatte. "Sie sehen exotisch aus...", der Typ muss'n Knall haben. Die betroffene Studentin ist von einem Hinnehmen alltäglicher persönlicher Demütigungen zu einem rationalen Angriff gegen den sog. strukturellen Rassismus übergegangen. Kann man durchaus als Versuch einer Versachlichung verstehen. Das als Akt einer Aufmerksamkeitssucht zu interpretieren, wie Kostner hier, ist willkürlich und i.G. eine erneute Demütigung dieser Studentin.
Es ist empörend, finde ich, dass seit einiger Zeit in den auch hier beschworenen "Diskursräumen" die Gefahr von "Konformitätsdruck" (Leute, Konformitätsdruck ist unser Alltag - in jeder Hinsicht! - Geht mal, wie ich gerade der Kälte und des Schnees wegen mit usbekischer Lammfell-Papacha und ledergestiefelt auf die Straße...:-)) in z.B. rassismuskritischen Diskussionen mit mehr Vehemenz kritisiert wird als der Rassismus selbst. Das trifft ja auch auf andere Formen der Diskriminierung von Menschen zu, die nach äußerlichen Merkmalen wie Geschlecht, Hautfarbe, religiöser Zugehörigkeit oder regionaler Herkunft einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden. Dieses Argument ist nichts als eine demagogische Abwehrstrategie, die tatsächlich genau das praktiziert, was der anderen Seite vorgeworfen wird. Der Vorwurf, dass die bösen "Identitätslinken" "...jeden als Rassisten, Sexisten, Islamophoben usw. bezeichnen, der ihre Sichtweise nicht teilt", ist eine extreme Pauschalisierung und nicht im Ansatz eine Argumentation. Damit setzt man gegen die andere Seite ebenfalls nur einen Konformitätsdruck, um es freundlich auszudrücken.
Natürlich muss man nicht einverstanden sein, wenn etwa bestimmte feministische Personen wie J. K. Rowling oder die Ex-Guardian-Journalistin Suzanne Moore als sog. TERFs bezeichnet werden, weil sie kontraproduktive Reibungspunkte zwischen LGBT- und klassischen Feminismus-Programmatiken sehen. Aber man kann entsprechend argumentieren - z.B. in Bezug auf das jeweils geäußerte Verständnis davon, wie im jeweiligen Gender-Konzept der Zusammenhang von Biologie und Sozialität sich vorgestellt wird. Das übliche, die wollen uns ja nur unter Konformitätsdruck bringen, ist argumentationsfrei und bestätigt im Grunde den Vorwurf der Gegenseite. Noch zu dem Beispiel: Judith Butler, die sich ebenfalls gegen die angeblichen TERFs positioniert, tut dies allerdings mit bedenkenswerten Argumenten. Lustig finde ich, dass wiederum Butler-Gedanken aus ihren früheren Publikationen kritisch gegen die Vorwürfe gegen Suzanne Moore z.B. angeführt werden könnten. Das wären spannende Diskussionen. Diese Meta-Ebenen - alles nur Konformitätsdruck, Corona-Diktatur, ja oder nein, usw. - nerven doch nur noch.
"Der Vorwurf, dass die bösen "Identitätslinken" "...jeden als Rassisten, Sexisten, Islamophoben usw. bezeichnen, der ihre Sichtweise nicht teilt", ist eine extreme Pauschalisierung und nicht im Ansatz eine Argumentation."
Fast hatte ich die verrückte Idee in meiner Äußerung sei ein Argument zu erkennen. Oder muss ich mich diskriminiert fühlen, weil das nicht hinreichend gewürdigt wurde?
Was mir nicht klar ist, ist wo genau Rassismus beginnt. Ich werte doch jemanden nicht automatisch dadurch ab, indem ich nachfrage, woher er/sie kommt. Und ist die Schere im Kopf, nur diese Frage nicht zu stellen, wirklich das was uns weiter bringt?
In Gesprächen mit PoC sagen diese oft, die Frage würde sie nicht stören, sie sollte nur nicht gleich an erster Stelle kommen. Wenn man dann innerlich an den Fingern abzählt, was man schon gefragt hat, kommt mir das auch komisch vor.
Sollte einen das gar nicht interessieren dürfen? Warum nicht? Also meiden wir in Zukunft Fragen danach, warum jemand im Rollstuhl sitzt, nach seiner Herkunft, aber nur wenn jemand aussieht, als sei er nicht 'von hier'? Nach der sexuellen Orientierung und nach Geld und der politischen Einstellung sowieso.
Wir sollen uns also wieder für andere intressieren, ohne dabei persönlich zu werden? Normalerweise würde ich sagen, dass das eine Frage des Gespürs ist, aber natürlich kann man auch sozial darauf dressiert werden bestimmte Fragen nicht mehr zu stellen, in bestimmten Situationen weg zu schauen. Der Aufruf bei und unter sich zu bleiben, hat ja ganz gut geklappt. Aber verschärft das nicht eigentlich das Problem?
Ich verstehe nicht ganz, warum du das an mich richtest. Mein Kommentar war nicht auf dich bezogen. Ich zitierte einen Satz aus dem Gespräch.
Was du dann noch zum Thema Ansprache, Nachfrage und Interesse am Gegenüber schreibst, sind Selbstverständlichkeiten, die von den Gesprächsbeteiligten kurz thematisiert und auch von Hentges nicht pauschal negiert werden. (Klar, es gibt alle denkbaren Reaktionen auf die Frage, woher man käme. Z.B. auch die des Angenervtseins vom Insistieren, woher man "eigentlich" käme.)
Der Stein des Anstoßes, der zu oben diskutierter "Affäre" führte, war eine deutlich andere Art von Ansprache, wie ja zu lesen steht.
Souveränes zwischenmenschliches, empathisches Agieren ist heute etwas anders als vor Jahr(zehnt)en, wie heute fast alles anders ist. Nüscht bleibt wie es ist. Manches wird nicht besser, anderes doch. Und das ist heute besser: Ich muss nicht einfach sofort nach der Wahrnehmung "Sieht nicht autochthon europäisch aus..." nach der Herkunft fragen. (Diese spontane Regung, allein auf ein einziges äußeres Anscheinsmerkmal hin jemanden als nicht von "hier" zu sehen, ist definitiv prä-rassistisch.) Ich kann heute ganz empathisch und geduldig den Menschen vor mir durch Gespräch und weitere Wahrnehmungen etwas besser kennenlernen - und muss dann meist gar nicht mehr fragen. Und wenn es doch mal wirklich wichtig ist, dann frage ich eben. Fertig.
Dieses Greinen, was man alles nicht mehr darf, ist einfach bloß noch albern. Die Entpersönlichung, Entfremdung usw. usf., das hat ganz andere Hintergründe. Und ich habe den Eindruck, dass diejenigen, die immer reflexartig einen Verlust an individueller zwischenmenschlicher Handlungsfreiheit beklagen, selber zu solcher eher nur nach fremdgegebenen Erlaubnissen fähig sind. Dabei kannst du immer noch frei entscheiden, einem Menschen respektvoll-empathisch, gedankenlos oder gar nicht zu begegnen. Schieb die Schuld für deine Entscheidung aber bitte nicht auf andere.
Pardon, sollte an dich gerichtet sein.
„Und das ist heute besser: Ich muss nicht einfach sofort nach der Wahrnehmung "Sieht nicht autochthon europäisch aus..." nach der Herkunft fragen.“
Klar. Aber ich habe die verlockende Möglichkeit daraus einen Skandal zu machen.
„Dieses Greinen, was man alles nicht mehr darf, ist einfach bloß noch albern.“
Wo liegen nun die Überempfindlichkeiten, das ist die Frage. Dem einen werden sie zu-, anderen abgesprochen.
„Dabei kannst du immer noch frei entscheiden, einem Menschen respektvoll-empathisch, gedankenlos oder gar nicht zu begegnen. Schieb die Schuld für deine Entscheidung aber bitte nicht auf andere.“
Das sehe ich anders. Es gibt genügend Situationen in denen man heute keineswegs frei agieren kann, sondern, wenn man denn Kontakt will, einem bestimmten Kodex unterliegt, der freilich auch nur in bestimmten sozialen Schichten gilt. Grob gesagt, je gebildeter, desto empfindlicher, von mit auch auch empfindsamer, was ja auch okay, ist, weil da vielleicht bestimmte Sensibilitäten geschärft wurden und der Kampf dort sicher auch eine Vorbildfunktion hat, die dann in andere Gesellschaftsbereiche ausstrahlt.
Aber wo mehr Verstand und Empathie ist und eingefordert wird, kann man dies auch auf Seiten von Menschen mit Mirgationshintergrund Augenmaß erwarten und muss dies sogar. Denn im Dschungel all dessen, was man falsch machen kann, weil es ja auch positiven Rassismus gibt und Sonderbehandlungen, die dann auf ihre Art auch wieder diskriminierend sein sollen, weil man ja nur 'ganz normal' behandelt werden möchte, was aber andererseits ja auch nicht gut ist, weil das heteronormativ cis-gegenderte etc. pp halt auch so seine Tücken hat, können sich auch Gutwillige schon mal verirren.
Sollte der Dozent durch notorische Sticheleien oder dergleichen aufgefallen sein, okay, dann kann man ihn meinetwegen über seine eigene Borniertheit stolpern lassen, ansonsten empfinde ich es auch als Tugend, den möglichen Skandal mal nicht loszutreten, auch um der gesellschaftlichen Verantwortung willen. Aber wenn das Recht aufs chronische Beleidigtsein zum Grundrecht erklärt wird, wird das wohl so schnell nichts. Abwägungssache, immer wieder und auf allen Seiten. Ich kann ja mal anfangen dem anderen nicht gleich das Schlechteste zu unterstellen.
"im Rahmen eines Seminars für interkulturelle Kompetenz" sollte die herkunftsfrage bzgl. der teilnehmer u. des lehrkörpers sowieso vorab formalisiert/institutionell geklärt sein, so dass sich die - eh von fragwürdiger wertigkeit - "aus der hüfte/lameng" erfolgten nebenbei-aufwerfungen diesbzgl. komplett erübrigen: mig.-hintergründe, auch innereuropäisch/binnenstaatlich, zeitliche u. familiäre einordnungen, selbsteinschätzung der KULTURELLEN präge-grade etc. sind für welt- u. lebensnähe der veranstaltung unabdingbare wissensvoraussetzungen. für das übliche, abstrakte geschwafel in diesem feld natürlich nicht, - aber da hat dann eine solche, höchst pauschal-unkonkrete frage auch nichts zu suchen, - auch weil dann - m.o.w. "bewußt" bis epistemisch impliziert - von personen u. persönlichkeiten abstrahiert wird.
https://www.youtube.com/watch?v=tAdyJe13Hmc
Ca. 12 Jahre her! Damals war der Grat noch wesentlich breiter. Die Zustimmung seiner Fans ist m.E. allerdings doch etwas zu jubelnd-fröhlich. Wahrscheinlich würde Schmidt heute umgehend aus dem Sender fliegen.
Wiki:"Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen besuchte eine Delegation des Zentralrates am 2. November 1992 die Stadt. Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Karlheinz Schmidt fragte Bubis: „Sie sind deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Ihre Heimat ist Israel. Ist das richtig so?“ worauf Bubis entgegnete „Sie wollen mit anderen Worten wissen, was ich hier eigentlich zu suchen habe?“ – Karlheinz Schmidt musste später zurücktreten..."
Nun ist auch hier der Zusammenhang nicht erkenntlich. Und Bubis hat mit seinen Gründen seine Sicht daraus gemacht. Hätte er sicherlich auch anders gekonnt. Und was hatte andererseits diesen Abgeordneten zu einer solchen Frage getrieben? Liest sich heute wie eine sehr frühe "AfD-Frage".
Was, wenn diese Studentin nun ihren Dozenten, dem sie ja sicher noch in vielen, vielen anderen als diesem einen Moment begegnet sein dürfte, mit etwas mehr Selbstbewusstsein erwidert hätte? Z.B.:So exotisch wie Sie bin ich schon seit meiner Geburt. o.ä.? Und gut ist. Sicher das ist dann immer diese (zu)späte "Schlagfertigkeit". Das ist ja des öfteren ein Problem, dass man erstmal überrascht und nicht so recht reaktionsfähig ist. Was sagt einer von SICH, wenn er redet?
Kann man nicht wirklich vergleichen, aber mir hat in meiner oft schwierigen Armeezeit immer mal der letzte Satz aus Anna Seghers "Das siebte Kreuz" geholfen:"Wir fühlten alle, wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, dass es im Innersten etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar." Sicher, ist oft ein elend langer Weg bis zu diesem Punkt, aber ein sehr lohnenswerter.
Kommt mir noch meine nunmehr 30jährige "Exotisierung" als einigermaßen alter, weißer und zu allem Überfluss auch noch ostdeutscher Mann in den Sinn. "Ach, Sie kommen aus dem Osten?" Auch so eine Frage, aus der sich in D dann umgehend manches machen ließe. In Polen noch ganz anderes als in Moskau.
Nochmal Schmidt:
https://www.youtube.com/watch?v=byNz7IeBrYI
ab 5:50 bis etwa 7:00
Ist denn eigentlich heute "schwarze Studentin" noch üblich?
Selten habe ich soviel wahnhaftes über rassismus gelesen ohne jeden sinn!
Da ich selbst "betroffener" bin - mit einer asiatischen mutter und einem europäischen vater - erlaube ich mir hier festzustellen, dass banale fragen nach der herkunft oder nach dem warum, mensch etwas anders aussieht und trotzdem so spricht wie die mehreitsbevölkerung, nichts, aber auch gar nichts mit rassimus zu tun haben.
Wer sich wegen ganz normaler konversation derartig (über)ereifern kann, hat wahrscheinlich wirklichen rassismus noch nie erlebt - und auch sonst keine wirklichen probleme...
"Aber ich habe die verlockende Möglichkeit daraus einen Skandal zu machen." - Ehrlich deine Sicht? Dann scheinst du die meisten deiner Mitmenschen für ziemliche Idioten zu halten. Wer findet es schon wirklich "verlockend", ohne Not Skandal zu machen? Ein paar Skandal-Nudeln, sicher... Es gibt immer Menschen, die etwas zu kompensieren haben, denen du in die Quere kommen kannst. Isso.
Du scheinst der Studentin, die in der Geschichte hier vorkommt, einfach mal zu unterstellen, dass sie so einen gwohnheitsmäßigen, jede Abwägung vermissen lassenden Willen zur Skandalisierung hat. Das ist anmaßend. Du weißt nichts von ihr. Aber eine Wahrscheinlichkeitsrechnung kann man durchaus anstellen: Was denkst du, wie sich im Alltagserleben einer jungen, farbigen Frau in dieser Zeit, in diesem Land das Verhältnis von Erlebnissen des Respekts, der Anerkennung, Achtung und des Wohlwollens zu den Erlebnissen der Geringschätzung (Studentin, Frau, jung), der sexuellen Objektivierung (Frau, jung, Beute), der rassistischen Stigmatisierung (farbig, fremd, nicht hierher gehörig) ist? Wie wahrscheinlich ist es, dass sie beides im selben Verhältnis wie du erlebt?
Wenn mich jemand anmacht, weil ich gerade mit usbekischem Lammfell auf dem Kopf rumläufe, dann kann ich das abgleiten lassen. Dergleichen passiert mir ja nur äußerst selten. Andern Menschen ein paar Meter weiter geht es ganz anders. Das ist eine Tatsache und das ist Scheiße. Und wenn jemand wie du oder ich mal tatsächlich ungerecht behandelt wird, dann sind diese allgemeinen Umstände die Ursache dafür, nicht die Strategien derer, die viel schlimmer von ihnen betroffen sind.
naja, die "warscheinlichkeitsrechnung" zeigt natürlich AUCH auf allg. veropferungstendenzen - auch bis in den freitag, dfc, community-hausmeisterei usw., - ganz jenseits individ. neigungen zur skandal-nudel o. ä.
wer sich als student/in in den müll einschreibt, kann/darf/soll/muss wissen, was er/sie da tut: "drum prüfe, wer sich länger bindet, ob sich nicht noch was besseres findet". dass die sache in der beschwerde sowie den beantwortungen eben NICHT AUCH epistemisch gewendet wird, ausschließlich die persönliche betroffenheitsdimension behandelt wird, zeigt auch den unernst des konfliktes an.
"Ich werte doch jemanden nicht automatisch dadurch ab, indem ich nachfrage, woher er/sie kommt. "
Es kommt darauf an, wann, in welchem Kontext und wie die Frage gestellt wird. Steht sie ziemlich am Beginn eines Gesprächs, dann würde ich das für problematisch halten. Und das mit dem exotischen Aussehen geht schon mal gar nicht.
Vor ein paar Jahren habe ich mal für ein Staatsunternehmen in Bonn gearbeitet, wo ich auch mit einem Mitarbeiter zu tun hatte, der offensichtlich seine Wurzeln im Maghreb oder im nahen Osten hatte. Erst nach einem Jahr, als wir mal über die Flüchtlingsproblematik und über die Kölner Silvesternacht sprachen, habe ich ihn nach seiner geografischen Herkunft gefragt. Es stellte sich heraus, dass er gebürtiger Marokkaner ist, und hernach hat er dann ordentlich auf die Berber geschimpft.
Ich denke, man kann es grundsätzlich so halten, dass die Herkunftsfrage, wenn sie den überhaupt gestellt wird, nicht als DIE Frage gestellt wird, sondern sich besser irgendwie im Gespräch ergibt. So halte ich es auch bei meinen aktuellen KollegInnen in einem in alle Richtungen ziemlich diversen Berliner Unternehmen.
Nein, das zeigt doch nur, dass sich die Definition dessen, was all Rassismus gilt, verschoben haben.
Ob die Frage "warum, mensch etwas anders aussieht und trotzdem so spricht wie die mehreitsbevölkerung" einen rassistischen Unterton hat, hängt eben davon ab, mit welcher Absicht sie gestellt wird, und das ist für den Befragten nicht immer so eindeutig klar.
verschoben hat.
Eine weitere Art, die Gesellschaft zu spalten.
In die, die das Richtige sagen und die, die das Falsche sagen.
Man stellt so eine Meinungshegemonie her und das ist eine Folge davon Politik
nur als Konsensmaschine zu verstehen.
“kann ich nur zu gut verstehen, dass die betroffenen Studentin einfach mal die Faxen dicke hatte. "Sie sehen exotisch aus...", der Typ muss'n Knall haben.“
Weißt Du, was sich tatsächlich zugetragen hat? Ist es nicht möglich, dass der Dozent gerade etwas exemplifizieren wollte? Etwa den Reflex des Erstaunens über die Kombi dunkle Haut + gutes Deutsch, der so formuliert wohl tatsächlich fast allen weißen Deutschen im Kopf umhergeistert aber freilich nicht von allen ausgesprochen wird. Und dass, wenn er ausgesprochen wird, er u. U. blöd beim Gegenüber ankommt. Ich weiß es freilich auch nicht, halte eine solche Seminarsituation aber für sehr wahrscheinlich.
Dazu: Wie will ich über interkulturelle Kommunikation/Kompetenz sprechen, wenn das jeweils Andere gar nicht vorkommen darf? In den Neunzigern und 2000ern hieß es noch “Multikulti“, das darf heute wahrscheinlich auch nicht mehr ausgesprochen werden. Es ist Unsinn, dass nach der Herkunft bzw. derer der Eltern, Großeltern ... nicht gefragt werden darf. Es kommt darauf an, wie und zu welchen Gelegenheiten gefragt wird.
Unsere Welt verblödet u.a. auch vor lauter versuchter Abschirmung und Korrektheitswahn immer mehr. Es fällt nur niemandem von diesen Aposteln auf, dass die Welt keinen Deut besser wird. Vielleicht setzt man doch die falschen Prioritäten? Oh, nein, sag' das nicht, das ist so furchtbar verletzend.
Nein. Da hat sich nicht irgendetwas irgendwie ganz zufällig "verschoben". Das zu glauben ist naiv. Hier werden gezielt pseudoauseinandersetzungen herbeifantasiert, um von den wirklichen problemen dieser gesellschaft - die zunehmende ungleichheit und damit der lebenschancen - abzulenken.
Ob jemand eine gute bildung erlangen kann, hängt doch nicht von seiner/ihrer hautfarbe oder exotischem aussehen ab, sondern wie reich und vernetzt seine/ihre eltern sind. Wir haben wirklich andere probleme als überall rassismus zu vermuten.
Solange über Rassen gestritten wird, wird nicht über Klassen gestritten.
"Weißt Du, was sich tatsächlich zugetragen hat?"
Das vollständige Zitat lautet: "Wenn sich die Sache, die hier den Anlass zu den weiteren Entwicklungen und schließlich zu diesem Streitgespräch gab, so zugetragen hat, kann ich nur zu gut verstehen, dass die betroffenen Studentin einfach mal die Faxen dicke hatte. >Sie sehen exotisch aus...<, der Typ muss'n Knall haben."
Du hältst es also für "sehr wahrscheinlich", dass der gute Prof nicht rassistisch sprach, sondern nur zu Lehrzwecken demonstrieren wollte, wie Rassismus geht? Dann scheint für dich ebenso wahrscheinlich zu sein, dass die Studentin zu blöd ist, den Unterschied zu erkennen, oder böswillig genug oder eben sendungsbewusster "Apostel", um das absichtlich misszuverstehen?
"Unsere Welt verblödet..." - Was für ein Pensionierter-Studienrat-Spruch. Wer ist das "wir", welche "Welt" ist "unsere"? Und "blöd", was'n dit?
Na ja, den einen oder anderen Menschen in meiner Umgebung, darunter nicht wenige Gebildete, würde ich auch "blöd" nennen. Aber ich kenne auch ziemlich viele junge Leute, die sind zum Niederknieen (ich verkneif's mir) klug sind. Wenn ich so dran denke, wie ich in dem Alter war... Mit denen zu streiten, macht so einen Spaß. Und, perdauz, es sind mehrheitlich Frauen. Aber das kann individueller Zufall sein.
„"Aber ich habe die verlockende Möglichkeit daraus einen Skandal zu machen." - Ehrlich deine Sicht? Dann scheinst du die meisten deiner Mitmenschen für ziemliche Idioten zu halten. Wer findet es schon wirklich "verlockend", ohne Not Skandal zu machen?“
Ich halte meine Mitmenschen nicht für Idioten und lasse mir das auch nur ungern unterstellen. Allerdings halte ich meine Mitmenschen für verführbar im Bezug auf die Droge Aufmerksamkeit. Die gesamten Social Media funktionieren so. Warum posten Menschen ihr Mittagessen und beliebige Teile ihres Alltags? Und da das jeder tut, ist längst der Wettstreit entbrannt. Alle wollen gesehen werden. Die Jungs werden immer krasser, die Mädchen immer nackter und ein Opfer zu sein, ist Welttrend. Und Du hast noch nie etwas davon gehört?
Das tiefer liegende Problem ist allerdings, dass diese Opferidentität einen gefährlichen und wohlbekannten Bumerang-Effekt hat. Die Aufmerksam oder Gratifikationen die jemand erhält, weil er Opfer ist – ich würde versuchen zwischen echten Opfern unterscheiden und solchen, bei denen man eher Mühe hat zu erkennen, was sie daran hindern könnte, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen – haben nicht selten die Tendenz, dass sich bei jemandem an der Situation auch nichts ändert. Denn Gratifikation und Aufmerksamkeit sind eng damit verbunden, dass es mir schlecht geht und das auch so bleibt.
„Du scheinst der Studentin, die in der Geschichte hier vorkommt, einfach mal zu unterstellen, dass sie so einen gwohnheitsmäßigen, jede Abwägung vermissen lassenden Willen zur Skandalisierung hat. Das ist anmaßend. Du weißt nichts von ihr.“
Natürlich nicht. Ebenso wenig weiß ich vom Dozenten. Wie ist er denn so? Ist er ein heimlicher Rassist? Nutzt er seine Macht über die Maßen aus? Ist er etwas linkisch oder schüchtern? Ich kenne die Gesamtsituation gar nicht. Du?
„Aber eine Wahrscheinlichkeitsrechnung kann man durchaus anstellen: Was denkst du, wie sich im Alltagserleben einer jungen, farbigen Frau in dieser Zeit, in diesem Land ... ist? Wie wahrscheinlich ist es, dass sie beides im selben Verhältnis wie du erlebt?“
Das kann ich überhaupt nicht sagen und ist von Mensch zu Mensch und Landstrich zu Landstrich vermutlich anders. Und ich betrachte das Leben vom Menschen ungern als Wahrscheinlichkeitsrechnung, weil ich sehr viele Varianten kenne, in denen das Leben wider alle Wahrscheinlichkeit läuft, mal zum Besseren, mal zum Schlechteren.
„Und wenn jemand wie du oder ich mal tatsächlich ungerecht behandelt wird, dann sind diese allgemeinen Umstände die Ursache dafür, nicht die Strategien derer, die viel schlimmer von ihnen betroffen sind.“
Was weißt Du denn von meinem Leben? Ich ärgere mich auch über dies oder das, aber ich glaube, dass die allgemeinen Umstände eine beliebte Verkürzung sind. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es Herabsetzungen dieser oder jener Art im Übermaß gibt, aber eben in alle nur erdenklichen Richtungen. Verachtet zu werden, weil man ein alter weißer Mann ist, was soll das? Kannst Du mir erklären, wem das hilft? Oder ist das so ein pädagogischer Effekt, damit man auch mal sieht, wie es den anderen immer geht? Das wäre dann aber kein übergriffiger Paternalismus, oder?
Ich meine, ich finde es wirklich auch beeindruckend, dass sich heute glaube ich jeder auf der Welt mit mehr oder weniger guten Gründen als Opfer darstellen kann. Nur war ja meine Frage, dass, wenn die Welt kalt und herzlos ist, weil alle nur auf sich gucken und andere nicht mehr gesehen werden, was dann ausgerechnet die Möglichkeit sich dort einzureihen besser macht.
Als buchstäblich einziger Weisser weit und breit werde ich täglich gefragt, woher ich komme. Oder wie alt ich bin. Ob ich Kinder habe. Wo ich wohne. Ob meine Frau Filipina sei. Undsoweiter. Frauen aller Altersklassen blicken mir nach. Lächeln mich an. „Daddiiieee..“ (aufreizend) oder „I‘m shure, he has a big one!“ oder „Hello handsome, please kiss me!“ Wenn ich auf dem lokalen Markt auftauche, steigen die Preise. Gestern haben mir Bauern im Hochland angeboten, mit ihnen zu essen. Undsoweiter.
Ich lebe noch. Mitten unter dunkelhäutigen Asiat:en.
"Und ich betrachte das Leben vom Menschen ungern als Wahrscheinlichkeitsrechnung, weil ich sehr viele Varianten kenne, in denen das Leben wider alle Wahrscheinlichkeit läuft, mal zum Besseren, mal zum Schlechteren."
"Allerdings halte ich meine Mitmenschen für verführbar im Bezug auf die Droge Aufmerksamkeit. Die gesamten Social Media funktionieren so. Warum posten Menschen ihr Mittagessen und beliebige Teile ihres Alltags? Und da das jeder tut,..."
Alles klar, Alter.
Die freuen sich einfach, dass du keinen Tropenhelm, keine Breeches, keine Stiefel und keine Reitgerte trägst. :-))
„Es kommt darauf an, wann, in welchem Kontext und wie die Frage gestellt wird. Steht sie ziemlich am Beginn eines Gesprächs, dann würde ich das für problematisch halten.“
Das ergibt sich doch aber mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Wenn ich jemanden nach dem Weg frage, dann sage ich doch nicht: „Können Sie mir sagen, wo hier die nächste Tankstelle ist und wo sie geboren sind?“ Ich käme überhaupt nicht auf die Idee.
Höre ich jemanden in astreinem Hochdeutsch (oder derbem bayerischen oder friesischen oder sächsischen Akzent) sprechen, käme ich ebenfalls nicht auf die Idee zu fragen, wo er oder sie geboren ist. Wenn ich jemandem nahe genug bin, dann ist es für mich auch nicht immer interessant, ob er oder sie nun aus Nigeria oder Kamerun stammt, weil das in vielen Fällen außer, dass das irgendein Land in Afrika ist, über das ich in der Regel nichts Näheres weiß, keinen Unterschied macht. Aber ich weiß auch nicht genau, was die Lausitz spezifisch macht.
„Und das mit dem exotischen Aussehen geht schon mal gar nicht.“
Das kann ja unbeholfen gewesen sein, wie gesagt, man müsste den Kontext kennen.
„Erst nach einem Jahr, als wir mal über die Flüchtlingsproblematik und über die Kölner Silvesternacht sprachen, habe ich ihn nach seiner geografischen Herkunft gefragt.“
Ich habe da keine feste Regel und ich glaube, es sollte da auch keine geben, da so etwas immer in der Situation geklärt wird. Ich habe in der Krankenpflege öfter die Situation gehabt, dass ich sozusagen der einzige 'Deutsche' im Team war und das Schöne ist, dass man in diesen Situationen beruhigend feststellt, dass sich die Gespräche nicht um Politik und Co. drehen, sondern um ganz normalen Alltagskrempel und -sorgen. Um den Dienstplan, um Patienten, Kochrezepte, virale Videos auf dem Smartphone oder eben die Bilder aus Urlaub und von den Kindern oder Enkeln. Natürlich kommt es auch zu intensiveren Begegnungen, wenn die Zeit es erlaubt. In der Pflege also eher selten.
„Ich denke, man kann es grundsätzlich so halten, dass die Herkunftsfrage, wenn sie den überhaupt gestellt wird, nicht als DIE Frage gestellt wird, sondern sich besser irgendwie im Gespräch ergibt.“
Ehrlich gesagt, mich interessiert das gar nicht so wahnsinnig, außer, wenn ich wirklich was über das Herkunftsland wissen möchte, oder eine eigene Beziehung dazu habe.
Aha. Liest sich, als wärst Du mit Deinen Urteilen über andere recht schnell fertig. ;-)
Liest niccht "sich" so, sondern liest DU so. Da kann ich nix weiter machen. War schon dumm, das überhaupt mal wieder zu versuchen.
Gut, ja: Dieses Element spielt wahrscheinlich durchaus noch eine Rolle, wenn auch unbewusst. Obwohl diese Zeit eigentlich seit 1899, 1901, 1946 oder 1991 vorbei ist- je nach historischer Betrachtungsweise. Die Intention meines durchaus humorvoll gemeinten Kommentares ist aber schon erkenntlich?
Meiner war doch auch nur ein freundlicher Scherz. War extra 'n Smiley dran.
OK, dann verstehn‘ wir uns ja. Ein Schwank aus dem Leben:
Vor nicht langer Zeit, im Herzen Europas, genauer: In Zürich, döste ich auf einer Holzbank in einem Park während der Mittagspause vor mich hin. Da unterhalten sich plötzlich zwei junge Frauen unweit von mir in astreinem „Züridütsch“. Das ist der zürcher Dialekt, eine Abwandlung vom „Hochdeutschen“ also. Wie alle schweizer Dialekte aus der Deutschschweiz. Das „Hochdeutsche“ wiederum ist das Deutsch der Deutschen. Existiert bei uns nur schriftlich, item. Also diese beiden jungen Frauen sprechen „unseren“ Dialekt in einer Art und Weise wie man ihn nur noch selten zu hören bekommt. Übermalt wurde das „Schweizerdeutsche“ in den letzten Jahren, verunstaltet, würde ich sogar sagen, also die Kids die 50 Cents undso hören, haben ihn modisch in Beschlag genommen und gepimpt. Dagegen nimmt sich der gesprochene Dialekt der beiden jungen Frauen wie eine Konserve aus dem sprachwissenschaftlichen Fundus der Uni Zürich aus. Ich öffne also neugierig die Augen- und es sind zwei schwarze Frauen, die so sprechen! Das freut mich natürlich umso mehr und ich teile ihnen das auch sofort mit, höflich, wie ich nun mal bin. Sie lachen, wir lachen. Sehr schön, wirklich! Natürlich betone ich, dass es mich ganz besonders freut, dass ausgerechnet zwei schwarze Frauen so viel Wert auf die Reinheit des Dialektes legen. Sie nicken selbstbewusst. Ihnen hinge das „Yugodeutsch“ selber langsam zum Hals heraus. Es nerve nur noch. Wir trennen uns und mir folgt kein, ich betone: kein Shitstorm. Ich sehe sie in der Folge öfters wieder. Es ist ein kleines Quartier. Wir nicken uns zu, freundlich lächelnd.
Von zufällig war auch gar nicht die Rede. Den Grund dafür sehe ich eher darin, dass das Phänomen Rassismus nach der Shoah und im Zusammenhang mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung psychologisch, soziologisch und politisch intensiv untersucht wurde.
Es wäre vielleicht besser, da stimme ich zu, nicht immer gleich die Rassismuskeule zu schwingen, sondern erstmal von Diskriminierung, aus welchen Gründen auch immer, zu sprechen.
Die sozial-ökonomischen Verwerfungen gegen den so genannten identitätspolitischen Diskurs in Stellung zu bringen, kann nicht der Weg sein. Dass beides zusammengehen muss, hat doch der Antikolonialismus gezeigt.
"Ehrlich gesagt, mich interessiert das gar nicht so wahnsinnig, außer, wenn ich wirklich was über das Herkunftsland wissen möchte, oder eine eigene Beziehung dazu habe."
Darin sind wir eindeutig einer Meinung.
Die klassenlose Gesellschaft der DDR war genauso rassistisch wie jede andere europäische Gesellschaft auch.
In der Sowjetunion mit ihren vielen Völkerschaften gab es (und in Russland heute auch) einen ausgeprägten Rassismus gegenüber Angehörigen der kaukasischen Ethnien, die wurden tschornije = Schwarze genannt.
"Das [mit dem exotischen Aussehen] kann ja unbeholfen gewesen sein, wie gesagt, man müsste den Kontext kennen."
Ich würde das auch als sexistisch einstufen und übergriffig sowieso.
Vor Jahren wurde ich mal im Beruf und öffentlich wegen wesentlich geringerer verbaler "Vergehen" der sexuellen Übergriffigkeit beschuldigt. Das war übrigens noch vor #metoo.
Ob die DDR eine klassenlose Gesellschaft war oder das nur vorgab, kann ich leider nicht beurteilen! So klassenlos kann sie ja nicht gewesen sein, wenn einige studieren und ausreisen durften(Merkel und Gauck) andere aber nicht (Wagenknecht). Also gab es Privilegien und Diskriminierung, obwohl nicht klar ist, nach welchen Kriterien privilegiert und diskrimiert wurde.
Dieser, Ihrer Aussage würde ich voll zustimmen:
"Es wäre vielleicht besser, da stimme ich zu, nicht immer gleich die Rassismuskeule zu schwingen, sondern erstmal von Diskriminierung, aus welchen Gründen auch immer, zu sprechen."
Es ist nicht immer alles Rassismus, sonden oft auch ganz "normale" Diskriminierung, die wir alle ab und zu erleben!
https://www.youtube.com/watch?v=vYgcwZGJIV0
Gelesen und noch einmal gelesen und gedacht, daß mich manchmal die angenommene und dann auch erlebte politische Korrektheit und der angenommene und erlebte auch rassistische Sprech verunsichert, wütend und auch amüsiert.Je nach Konfliktaustragung und Denkweise und Abstand ist das nicht nur erschwerend im Alltag.Ich habe mich sehr über die Geschichte von Reinkarnation gefreut und mehrmals gelesen. In meiner Arbeitsstätte erlebe ich die deutsche Sprache angewandt im Sprech und im PC als Übergabe von Dienst zu Dienst auch so, daß Personen mit einem deutschsprachigen Hintergrund ihre Sprache so anwenden, daß die Dauer ihrer Sozialisation das krasse Gegenteil sind zur nichtdeutschsprachigen und somit kürzeren Sozialisation im Ausdruck und in der Wortwahl mündlich und schriftlich.Da denke ich - überheblich aber still- wie lange der Schule ferngeblieben oder steckengeblieben? In mir steckt auch ein rassistische Komponente so wie in Jedem von uns. Die Frage nach meiner Herkunft habe ich erst letztens einem Arbeitsschichtkollegen mitgeteilt mit dem Verweis auf Maaz Hans- Joachim.Er hatte verstanden.Komplimente können auch nach hinten losgehen, rassistische Aussagen sind meiner Meinung nach immer im Kontext zusehen.Es ist un d bleibt wichtig, die AfD' linge dingfest zu machen,wenn sie sich auf die Schmollbank verziehen und von Rassismus reden.Klemperer gehört in die Bildung, um genau diesen Sprech zu erkennen.Zum Sprech kommt noch der Klang und Gestik und Mimik und dann habe ich eine Meinung.Rassismus von Afroamerikanern - Jazzmusikern- Weißen- Jazzmusikern -gegenüber sind überliefert.Das hatte auch etwas damit zu tun, daß die Musik wieder weiß werden sollte und die Materie Geld ebenso besetzt werden sollte.Weiße mussten sehr viel tun, um anerkannt zu werden unter afroamerikanischen Musikern der Jazzszene.Das ist ziemlich lange her.Die größte Anerkennung was den Blues betrifft,erhielt Janis Joplin von einem afroamerikanischen Bluesmusiker, er bezweifelte, daß sie wirklich eine Weiße wäre, weil er ihre Stimme und ihre Interpretation eines Liedes hörte.Es ist ein Dialog, zu dem mir noch viel mehr einfallen würde. Ich bin sicher auch rassistisch unterwegs aber ohne es zu wissen oder mit Absicht.
"Du hältst es also für "sehr wahrscheinlich", dass der gute Prof nicht rassistisch sprach, sondern nur zu Lehrzwecken demonstrieren wollte, wie Rassismus geht? Dann scheint für dich ebenso wahrscheinlich zu sein, dass die Studentin zu blöd ist, den Unterschied zu erkennen, oder böswillig genug [...]"
Ja, beides halte ich für wahrscheinlich. Und zwar sehend die "Debatten" um den Themenkreis "Identität", "Rassismus" und "weißes Privileg", wie sie vornehmlich auf social media laufen.
Was nun tatsächlich in dem Seminar der Kölner Uni gelaufen ist, lässt sich ohne eine Überwindung der Bezahlschranke beim Kölner Stadtanzeiger nicht herausfinden. Nur ein Stück über dieses Snippet bei Instagram. Es könnte nun gut immer noch die Frage bleiben, warum es in der Vorstellungsrunde - so viel ist zu erfahren- zu einem Seminar zu "interkulturelle Kompetenz" zu viel ist, zu fragen, "Was ist Dein Background?" und, nach der Antwort durch die Studentin, durch den zweiten der Dozenten kommentiert wird, "Sie sehen exotisch aus, aber an Ihrem Akzent hört man ...". Zumal, das kann man noch lesen, in dem Seminar auch ausländische Studierende zugegen waren. Wie gesagt, wir erfahren zu wenig darüber, wie die Gesprächsführung durch die "zwei weißen Dozierenden" insgesamt war. Aber ich kann mir, wie gesagt, schlecht vorstellen, wie zum benannten Thema gearbeitet werden soll, wenn das Andere nicht benannt werden kann oder darf. Was heißt den "interkulturell"? Die nachher geschaltete Petition stellt allein fest, es sei ein Unding, dass allein "weiße Menschen" ein solches Seminar durchführen, die allein "durch institutionellen Rassismus bevorteilt" dazu kämen und nachher eben "rassistische Aussagen machen".
Es wird zur Zeichnung einer Petition aufgefordert, die Rassismus an der Hochschule im Allgemeinen und den zweier "weißer Männer", der "Dozierenden", im Besonderen unterstellt, ohne auch nur irgendetwas Faktisches zu dokumentieren, geschweige denn zu diskutieren. Das ist das Niveau, auf dem solche zentralen Fragen verhandelt werden und erst dann vielleicht ein Streitgespräch, wie hier zu lesen, provozieren. (Allerdings, kann man einwerfen, auch nur wieder zwischen privilegierten "weißen Menschen", die gut einen sicheren Platz im Betrieb gefunden haben.) Das Gespräch ist nicht schlecht. Aber so richtig zu greifen ist doch eigentlich nicht, worüber überhaupt diskutiert wird. Frau Kostner hat hingegen vollkommen Recht, wenn sie fragt, warum die Studentin die Frage um deplatzierte, gar rassistische konnotierbare Fragestellungen eben nicht am Platz mit den Dozenten versucht zu diskutieren und ggf. zu klären. Zumal ja das betreffende Seminar vermittels seines Themas den bestmöglichen Ort dafür markiert. Ebenso steht richtig im Raum, ob nicht die Uni als Platz der kontroversen Auseinandersetzung im Sinne von Bildungs- und Kompetenzfortschritten in Gefahr sei, wenn "Triggerwarnungen" und quasi Schutzhelme verteilt werden und zwar allein auf die Gefahr hin, es könne jemand zusammenbrechen oder eben auf den Aufschrei im social web spekulieren, wenn ihm/ihr etwas nicht so recht passt.
Ich habe solcherart Befürchtungen - hier ja auch Angele, der nach einem neuen Konformitätsdruck fragt - lange für übertrieben gehalten. So langsam bin ich mir nicht mehr so sicher. Hier ist auch interessant, wie Du die Geschichten um "TERF" und Feminismus ins Spiel bringst.
"Natürlich muss man nicht einverstanden sein, wenn etwa bestimmte feministische Personen wie J. K. Rowling oder die Ex-Guardian-Journalistin Suzanne Moore als sog. TERFs bezeichnet werden, weil sie kontraproduktive Reibungspunkte zwischen LGBT- und klassischen Feminismus-Programmatiken sehen. Aber man kann entsprechend argumentieren [...]"
Dreht das nicht den Sachverhalt um? Von welcher Seite kommen hier denn die Aggressivität, die Shitstorms und sogar Verfolgungen bis in's Private, bis hin zu den Familien? Also ein Verhalten, dass "üblicherweise" von der rechten Seite her bekannt ist? Ja, da argumentier mal ...
Vor einer Weile gab es hier einen Blogbeitrag eines Arztes pakistanischer Herkunft, der die Frage nach eben nach der Herkunft verhandelt hat. Die Frage selbst sei nicht das Problem, schrieb er, sondern wie und wann sie kommt. Schwer sei für ihn ein Erlebnis aus der Jugend gewesen, als er inmitten seiner Freunde im Schwimmbad von einem Herren älteren Semesters angebellt wurde: "Woher kommst'n du? Indien?". Nun, und Du schreibst ja auch davon, wie sich Alltag die Dinge ganz anders regeln oder eben auch nicht. Ich kenne den Hochschulbetrieb durch meinen Beruf und Job einigermaßen und ich sehe die "Debatten", die man so nicht nennen kann, in den Medien. Hier werden die Probleme selten bis gar nicht wirklich durchdrungen. Das fängt auf der administrativen Ebene an - der größte Teil der Mitarbeiter kann nicht nachvollziehen, worum es geht, es sollen aber Gendersternchen o.ä. gesetzt werden, weil man das halt als öffentliche Institution jetzt so machen soll - und setzt sich im inhaltlichen/wissenschaftlichen Betrieb fort, wo es sich in Begriffsungetümen und Floskeln ausdrückt, die jede wirkliche strukturelle Änderung nur umwolken. Die eigentliche "Debatte" wandert dagegen zu Twitter und sogar Instagram, wo es genügt, mit ein paar Schlagworten zu triggern und vielleicht sogar mit Floskeln aus dem Uni-Seminar zu garnieren ("dekonstruieren"). Und ich muss an das kürzlich hier zu lesende Interview mit Fleischhauer denken, wo dieser wohl zu Recht feststellte, dass heute "die Linken" nach Boykott und "Ausladen" rufen, wenn sie sich mit der AfD oder anderen Unliebsamen an den Diskussionstisch setzen sollen, während ein Fritz Teufel solche Gelegenheiten niemals verpasst hätte (Freilich verfolgt Fleischhauer damit eine eigene Agenda. Aber der Befund an sich stimmt doch.)
"Unsere Welt verblödet..." - Was für ein Pensionierter-Studienrat-Spruch."
Ja, die Reaktion verstehe ich. Und ich komme mir auch ein bisschen so vor, wenn ich so etwas sage/schreibe. Aber ich habe eben echt auch diese Schwierigkeiten und könnte noch weiter ... hör jetzt aber mal auf.
Vielleicht ist ja mein Blick noch nicht hinreichend dahingehend geschärft, in jeder nur erdenklichen Lebenslage, dem/der/divers anderen erst mal zu unterstellen, dass er/sie/divers mich irgendwie bedrängen, herabsetzen oder infragestellen möchte. Ich weiß auch nicht, ob diese Krampfnummern mit der Schere im Kopf zu einem entspannteren Miteinander führt, wenn man drauf lauert, wie man dem anderen ein Disziplinar- oder Gerichtsverfahren unterjubeln kann.
Paranoide Systeme sind bereits a priori mit Aggressionen vollgepumpt, sie erschaffen das, was sie zu kontrollieren vorgeben. Linke haben das mal rauf und runter seziert. Heute benutzt man vermeintliches Herabgesetztsein als Waffe, das Gefühl regiert über das Argument. Fühlt sich eine Biodeutsche aber unwohl und bemerkt, wenn sie aus der Stadt kommt, sie wolle mal wieder ein deutsches Gesicht sehen, ist das ein klarer Fall vom Rassismus, auf gar keinen Fall, darf das unschuldige Gefühl von eben über das Argument regieren.
Wahrscheinlich ist das aber auch was völlig anderes und zeigt nur, wie wenig ich von dem Thema begriffen habe.
na, anzeichen für einen "klassenkampf" aus den oberen etagen
der DDR gibts doch zuhauf!
Nun ja, ein Grundproblem dieser Gesellschaft scheint wohl darin zu bestehen, dass wir das Anderssein nach außen hin als etwas Positives und Erstrebenswertes deklarieren - jeder ist ein Individuum, jeder ist anders, im Inneren aber gar nicht wollen, dass die Leute wesentlich anders sind als wir selbst.
Auf der anderen Seite bestehen Menschen darauf, anders zu sein - ihr Anderssein soll wahrgenommen und respektiert werden, und trotzdem soll es nicht thematisiert werden, und sie wollen wie alle anderen behandelt werden.
So einem alten weißen Mann und Mehrheitsmenschen wie mir gelingt das nur, wenn ich dieses Anderssein wirklich wahrnehme und es gleichzeitig aus meinen Gedankengängen und vor allem aus meinem Sprechen ausschließe. Das ist dann wohl die besagte Schere. Mit etwas Training gewöhnt man sich aber daran.
Der Soziologe Zygmund Bauman (+) hat Anfang der 1990er Jahre angemerkt, dass die Ideale der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - vom Markt ersetzt wurden durch Freiheit, Verschiedenheit und Toleranz. Freiheit meint die Freiheit zu konsumieren, zur Verschiedenheit schreibt Bauman: "Die Verschiedenheit gedeiht; und der Markt gedeiht mit. Genauer, nur solche Verschiedenheit darf gedeihen, die dem Markt nützt.“ Und die Toleranz wird vom Markt als Indifferenz, mithin als Desinteresse befördert. Zitat: "... die vom Markt geförderte Toleranz führt nicht zur Solidarität: sie fragmentiert, statt zu vereinen. Sie dient der Aufsplitterung der Gemeinschaft und der Reduzierung des gesellschaftlichen Bandes auf einen Schimmer an der Oberfläche." Wie gesagt, geschrieben vor etwa 30 Jahren.
„Nun ja, ein Grundproblem dieser Gesellschaft scheint wohl darin zu bestehen, dass wir das Anderssein nach außen hin als etwas Positives und Erstrebenswertes deklarieren - jeder ist ein Individuum, jeder ist anders, im Inneren aber gar nicht wollen, dass die Leute wesentlich anders sind als wir selbst.“
Klar, das eigene Anderssein gelingt ja dann am besten, wenn man behaupten kann, die anderen verhielten sich alle uniform.
„Auf der anderen Seite bestehen Menschen darauf, anders zu sein - ihr Anderssein soll wahrgenommen und respektiert werden, und trotzdem soll es nicht thematisiert werden, und sie wollen wie alle anderen behandelt werden.“
Sie formulieren in ihrem Wunsch einfach wie alle behandelt zu werden, einen Besonderheitsanspruch. Das ist etwas paradox.
„So einem alten weißen Mann und Mehrheitsmenschen wie mir gelingt das nur, wenn ich dieses Anderssein wirklich wahrnehme und es gleichzeitig aus meinen Gedankengängen und vor allem aus meinem Sprechen ausschließe. Das ist dann wohl die besagte Schere. Mit etwas Training gewöhnt man sich aber daran.“
Exakt das ist es. Man kann also drauf kommen, was da schräg ist.
„zur Verschiedenheit schreibt Bauman: "Die Verschiedenheit gedeiht; und der Markt gedeiht mit. Genauer, nur solche Verschiedenheit darf gedeihen, die dem Markt nützt.““
Das ist gleich die nächste Paradoxie: Zu jeder Art der Verschiedenheit gibt es den passenden Markenartikel.
„Und die Toleranz wird vom Markt als Indifferenz, mithin als Desinteresse befördert. Zitat: "... die vom Markt geförderte Toleranz führt nicht zur Solidarität: sie fragmentiert, statt zu vereinen. Sie dient der Aufsplitterung der Gemeinschaft und der Reduzierung des gesellschaftlichen Bandes auf einen Schimmer an der Oberfläche."“
Völlig richtig. Das Desinteresse am anderen – der machen kann und soll, was er will – wurde als Toleranz verkauft. Eine typische Reaktionsbildung. Ein gesellschaftliche nicht toleriertes Gefühl, dass einem der andere völlig egal ist, wird per Neusprech, als „Ich bin so tolerant“ aufgehübscht. Glänzende Oberflächen, bei nicht vorhandenem Tiefgang. Nicht nur Bauman hat das erkannt.
In Anbetracht dessen, daß zur Zeit ca. 15% der MENSCHEN nicht genug zu essen haben finde ich diese akademische Diskussion einfach nur ärgerlich. Und daß diese Menschen nicht genug zu Essen haben, keinen Zugang zu sauberem Wasser, kein Obdach, keinen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ....... das liegt nicht an irgendwelchen Zuschreibungen, das liegt ganz einfach an unserem Wirtschaftssystem. Und wer darüber nicht reden will, der braucht auch über Rassismus keine Worte verlieren.
Danke, miauxx, für die ausführliche Replik.
Weißt du, ich habe sowas von die Schnauze voll von diesen "Diskussionen", wie sie in den sog. "sozialen" Medien einschließlich solcher Online-Foren wie diesem hier geführt werden. Die letzten Beispiele, die #metoo- und die Fridays-for-Future-Bewegung (wegen der jungen Frau, die sie initiierte) haben gezeigt, wie das läuft: totale Personifizierung des Problems und je parteiische Ab- oder Aufwertung der beteiligten Personen. Du weißt sicher noch, was bei der Gelegenheit so alles an und über Greta T. "erörtert" wurde.
Die damit verglichene eher marginale Geschichte, um die es hier geht, zeigt aber genau die gleichen Muster. Es wird vordergründig persönliches Verhalten durchgehechelt und bewertet. Hier natürlich vor allem das der studierenden jungen Frau. Ist sie überempfindlich, ist sie geltungssüchtig, ist sie persönlich verblendet von irrigen Ideologien? (Der Herr Professor - auch das ist auffällig - muss sich überhaupt keine aufs Persönliche zielenden kritischen Nachfragen gefallen lassen.) Inzwischen wird auch ihr Privatleben thematisiert. Sie modelt nämlich. Also wird sofort unterstellt, dass sie eine noch viel schlimmere Bitch ist als bisher angenommen. Denn sie würde ja einerseits nicht "exotisch" genannt werden wollen, andererseits aber mit ihrer "exotischen" Ausstrahlung Geld verdienen. Die, die das kolportieren, leugnen nicht, sondern bestätigen (ungewollt?) das Prinzip, gegen das sich die junge Frau wehrte: das sexistisch-rassistische "Lesen" von Menschen.
Dabei wäre es spannend, sich diese unsere Menschenabbilder-Kultur genauer anzuschauen, in der es tausende ambitionierte Hobbyfotografen (Männer) gibt, die ihre "Erotik-Kunst" auf diverse Fotocommunity-Websites hochladen, wo sie bewundert und kommentiert werden (von Männern) mit Ausdrücken wie "exotisch" oder "Rassefrau", wenn es sich um PoC-Models handelt. >> Vor längerer Zeit hab ich hier auch mal drüber geschrieben. << Die Frage, warum sich junge (z.B. afro-deutsche) Frauen vor diese Kameras drapieren lassen, und ob sie damit das Recht verwirken, sich gegen Rassismus zu wehren, ist ja wichtig. Aber es muss das System analysiert und kritisiert werden, dass Menschen in solche Lagen bringt oder lockt oder manipuliert oder was auch immer. Nicht das persönliche Verhalten durchgehechelt werden. Die einen sind unterwegs wie Maos Rote Garden mit keinem anderen Ziel, als persönliches Fehlverhalten zu suchen und zu ahnden, die anderen praktizieren Victim Blaming als Gegenmittel. Die einen benutzen zwar gern das Wort "strukturell", schlüssige Analysen bleiben sie schuldig. Die anderen (jedenfalls die etwas eloquenteren) benutzen gern mal die (maoistischen- holla!) Begriffe "Haupt- und Nebenwidersprüche" als Abwehrschlagwörter, die sicherheitshalber auch nicht weiter untersetzt werden.
Das LGBT-vs.-TERF-Beispiel sollte das illustrieren. Deine Antwort darauf zeigt das Muster. Nein, die Sache lässt sich eben nicht einfach auf der Ebene der Beurteilung des Verhaltens der Beteiligten abhandeln. So unsympathisch und unappetitlich das manchmal sein mag, auf beiden Seiten der zugrundeliegenden Auffassungen gibt es Menschen, die nicht entgleisen. Hier müsste man erst das eigentliche Thema finden und es diskutieren. Mir scheint, das sind divergierende Ansichten dazu, wie biologisches und soziales Geschlecht im Zusammenhang stehen. Diese wichtige Diskussion wird nicht weitergeführt, was notwendig wäre, sondern man/frau moralisiert und verurteilt.
Überall dasselbe. So öde.
In Afrika verhungern se und hier sitzen se im Warmen vor'm Compi und hauen Nullkommentare in die Tasten.
Ach, mein Lieber, vielleicht noch was zu Fleischhauer. :-)) Herr Fleischhhauer muss sehr, sehr ernst genommen werden. Als Fleischhauer. Das ist er und nichts anderes. Als Fleischhauer ist sein Geschäft das Fleischhauerstatements-Verkaufen, sein Handwerk das Verfertigen derselben, sein Material die Textbrocken der anderen. Wie alle Bauernschlauen hat er ne tolle Intuition, versteht aber nichts, nicht mal sich selbst.
Und was er nicht ist: Er ist kein Diskursteilnehmer, er hat nichts zu sagen, geht über nichts hinaus, bringt nichts voran, tut nichts hinzu. Lies ihn oder lies ihn nicht - macht keinen Unterschied.
Der Herr Kubitschek in Schnellroda findet ihn süß, aber belächelt ihn auch bloß.
Wir sind ja so weit gar nicht auseinander. Auch ich, und nur das will ich zum Ausdruck bringen, habe "die Schnauze voll" von der Art und Weise, wie die Diskussionen geführt werden. Aber eben von allen Seiten. Natürlich ist das, wenn ich von "Verblödung" spreche, ein Gesamtumschlag und nicht jeder Einzelne ist damit gemeint. Ich möchte auf den konkreten Fall um die Kölner Studentin oder sonstige jetzt nicht mehr näher eingehen. An Personifizierungen beteilige ich mich nie und habe es nicht weniger als Du als verstörend empfunden, was eben zum Beispiel gegen Greta ins Feld geführt wurde und mir die Finger dagegen wund geschrieben sowie ich auch stets bei allem, was sich um Russland dreht, hier zwischen den Stühlen sitze. Sich da nicht für eine Seite zu entscheiden, wird nicht gern gesehen.
Ich möchte aber eben auch - und das unterscheidet uns wohl etwas - ansprechen, was mir je von einer Seite gegen den Strich geht, wenn ich es nicht für geeignet halte, eine Problematik anzugehen. Damit ecke ich auch immer wieder an, wenn es etwa um das Thema "Identität" und auch "Gender" geht. Ich weiß auch nicht, ob ich das mit dem "Haupt- und Nebenwiderspruch" richtig verstehe. Aber ich meine, es gibt dieses Paar. Und zwar insofern, als gewisse gesellschaftliche Umstände eine Priorisierung finden, die damit nur suggeriert, ein zentrales gesellschaftliches Problem zu lösen. Das anzukreiden bedeutet nicht gleich, dass das jeweilige Problem nicht auch wichtig wäre. Jedoch können etwaige Ansprüche in ihrer Priorisierung nicht von dem isoliert werden, was zu einem gesamtgesellschaftlichen Ausgleich beiträgt. Und dazu kann man nicht nur nehmen bzw. in Anspruch nehmen, sondern muss auch geben. Dass dafür unser Gesellschaftssystem nicht geeignet ist, ist eigentlich klar und wird nur in der Regel je nach sozialem Stand anders beurteilt. Dass in der Regel die Kapitalmacht das Entscheidende ist, darüber brauchen wir hier wohl nicht besonders reden. Aber ich verstehe und vollziehe auch den Vorwurf gegen den Liberalismus und eben auch besonders weite Teile der "die Linken" nach, dass identitätspolitische Fragen, die einzelne versprengte Punkte der gesamtgesellschaftlichen Topografie berühren, eine unverhältnismäßige Priorisierung erfahren. Bedenklich ist hierbei eben auch, da es sich dabei zumeist um Gegenstände handelt, die weder in den Vorstandsetagen, noch für die große Politik tatsächlich noch einen Widerstand bedeuten. Im Freitag gab es dazu ja in der letzten Zeit auch einige Beiträge. Einer der Autoren, der Name ist mir jetzt entfallen, hat dazu schon richtig formuliert: Hauptsache, wir schreiben und sagen "HARTZ-IV-Empfänger*innen."
"Das LGBT-vs.-TERF-Beispiel sollte das illustrieren. Deine Antwort darauf zeigt das Muster. Nein, die Sache lässt sich eben nicht einfach auf der Ebene der Beurteilung des Verhaltens der Beteiligten abhandeln."
Wie gesagt, dass eine Personalisierung struktureller Probleme ebenfalls eine zerstörerische "Diskussions"-kultur ist, damit hast Du vollkommen Recht. Aber, so behaupte ich doch, das tue ich auch nicht. Ich kann aber auch nicht von dem, was sich als soziales Phänomen zuträgt, zum fait social wird, nur als abstrakt-strukturelles Phänomen sprechen. Dahin geht bedauerlicherweise der Trend der akademisch sozialwissenschaftlichen Literatur; da scheiterst du als nicht vollkommener Insider heute schon zunehmend an den Buchtiteln oder Klappentexten. Das Phänomen der Auseinandersetzung, das also auch emanzipatorische Gruppen oder Bewegungen aneinandergeraten, die doch eigentlich den gleichen Ursprung teilen, ist das Eine. Das Andere wäre nun tatsächlich auch meine Sicht auf die Dinge, die mich zum einen natürlich auch darüber erschrecken lässt, wie aggressiv eine Seite hier schon agiert und das eben auch, wenn ich sehe, wie verbohrt und wissenschaftsfeindlich dafür eine Rechtfertigung gesucht wird. Der Feminismus lässt sich evident begründen. Das Derivat, welches x beliebige Geschlechter annimmt und den Begriff von Gender verzerrt, indem selbst das biologische Geschlecht als disponibel bzw. sozial konstruiert hingestellt wird, kann doch allenfalls als soziopathologisches Phänomen eingeordnet werden. Was aus dieser Ecke kommt, ist quasi-religiös und reiht sich neben Kreationisten oder Klimawandelleugnern ein. Eben auch im Habitus. Nur unter einem soziologischen Blickwinkel, als gesellschaftliches Phänomen ist es unbedingt ernstzunehmen.
Apropos Fleischhauer:
Haben die Staatsfeinde am Ende recht?
Auszug: "Zur Gesundheitskrise kommt jetzt die Vertrauenskrise. Letztere wird uns noch begleiten, wenn wir die Kontrolle über unser Leben längst zurückerlangt haben. Man macht sich sicherlich keiner Übertreibung schuldig, wenn man voraussagt, dass diese Krise das Land nachhaltiger erschüttern wird als der Kampf gegen das Virus. (…) Es fällt uns ungemein schwer, vom Staatsglauben Abschied zu nehmen. Noch immer sagt die Mehrheit, dass sie die Maßnahmen der Politik für richtig hält. Man kennt das Phänomen aus toxischen Beziehungen: Auch wenn das Opfer weiß, wie ungesund die Beziehung ist, in der es feststeckt, kann es sich aus ihr nur schwer befreien. Lieber leugnet es die Situation oder redet sich ein, dass sich die Dinge mit der Zeit schon bessern werden. Wird es auf sein Unglück angesprochen, gibt es sich selbst die Schuld: Es war zu nachlässig oder zu selbstsüchtig. Ist es nicht genau das, was wir hören? Dass wir uns zu viele Nachlässigkeiten gestattet haben? Dass wir das in uns gesetzte Vertrauen enttäuscht haben, weshalb man nun zu härteren Maßnahmen greifen muss? So steht es auch in den Kommentaren, in denen der Kurs der Regierung als alternativlos bezeichnet wird. Die Paartherapie würde von 'Enablern‘ sprechen. Gemeint sind Menschen, die durch Beschwichtigungen oder Entschuldigungen das Beziehungsdrama verlängern.“
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Corona oder die Angst vor Totalitarismus Klaus-Jürgen Bruder – interviewt von Anneliese Fikentscher
Das zurzeit fast weltweit laufende Corona-Manöver wird immer bedrohlicher und muss deshalb dringend durchleuchtet werden. Eine entscheidende Frage ist eine psychologische: was führt dazu, dass der weit überwiegende Teil der Bevölkerung, darunter erstaunlicherweise Menschen, die sich als "links" definieren, sich in ihr Schicksal fügt statt aufzubegehren? Für die "marxistische" Tageszeitung "junge Welt" war zum Thema Corona ein Interview mit dem Psychologen Klaus-Jürgen Bruder entstanden. Doch es ist nicht erschienen. Warum nicht? Autoritätshörigkeit ist für ihn nicht der richtige Weg. Autoritarismus bedeute, der Parole der Autorität des "Herrn" zu folgen, sie sich derart zu eigen machen, dass man sie für sich übernimmt im Gefühl, selber Herr zu sein. Zu einem derartigen Verhalten ist er selbst dann nicht bereit, wenn er – wie von der "jungen Welt" – zu hören bekommt, er relativiere die Gefahren, die von der "Pandemie" ausgehen. Doch die Gedanken des Vorsitzenden der "Neuen Gesellschaft für Psychologie" sind ein Schlüssel zu wichtigen Einblicken in die Manipulationsmethoden, die von den Strategen und Handlangern des Corona-Manövers eingesetzt werden. Z.B. stellt er die Frage: was soll die Bevölkerung tun, wenn sie sogar von denen im Stich gelassen wird, die sich bisher als Opposition angeboten hatten? Die NRhZ hat nachgefragt.
Es ist sogar noch schlimmer: Diese Art von "Rassismusdebatte" verhindert die Entwicklung von Solidarität, vor allem von Klassensolidarität.