Vor kurzem moderierte Else Buschheuer (Ruf!Mich!An!) zum ersten Mal den Kulturweltspiegel in der ARD. Die Hoffnung auf einen Hauch von Verruchtheit bescherte der Sendung im Vorfeld eine ungewohnt hohe Medienaufmerksamkeit. Die Presse berichtete ausgiebig vom Einzug von Trash und Glam ins Erste, vielleicht auch der Kulturweltspiegel selbst. Aber das weiß ich nicht, denn bis dato war mir die Kulturberichterstattung im Fernsehen herzlich egal. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Auch unter meinen Freunden - Kinogänger, Bücherleser, Kunstsinnige - gibt es niemand, der Kultursendungen schaut.
Wer zum Teufel guckt sie dann? Sind wir auf den Hund gekommen? Ist es das Format der Sendungen, das uns wahrhaft Kulturinteressierte abschreckt? Zugegebenermaßen aufgeweckt durch den Buschheuer-Auftritt, wollte ich es wissen. Wenigstens, so ein erstes Fazit, war zu sehen, dass Buschheuer nach eigenem Bekunden »auch nur mit Wasser kocht« und dass nicht alle Sendungen fad schmecken. Aber alle haben ein und dasselbe leidlich bekannte Problem: zu wenig Sendezeit. Das ist hier besonders schlimm, denn die Beschäftigung mit Kultur, die ja schon die Reflexion der Realität mit einschließt, braucht nun einmal Zeit.
Nicht alle reagieren in gleicher Weise auf das Handicap. Beim N3 Kultur-Journal wählt man extrem kurze, dafür, so glaubt man, besonders keck moderierte Beiträge. Bemerkenswert, wie dabei der ironische Ton des Sprechers mit zunehmender Belanglosigkeit des Beitrags steigt - und das ist nicht gut so, um das Bonmot des Monats hier einmal zu variieren. Ein anderer Versuch, mit fehlender Zeit umzugehen, liegt im Einsatz von Gemeinplätzen. Sie sind unbeliebt, in Wahrheit aber, sagt die Forschung, können wir ohne sie gar nicht kommunizieren. Es müssen ja nicht so abgedroschene Redeweisen sein wie »zwischen himmlischem Vergnügen und höllischer Qual«. Grundsätzlich sind wir aber bereit, diese Reduktion von Komplexität in Kauf zu nehmen.
Einen anderen Weg bevorzugt man in dem hochgelobten Magazin Kulturzeit auf 3Sat, nämlich die zuspitzende Darstellung. Voraussetzung hierfür ist freilich ein Gegenstand, der ein gewisses Konfliktpotenzial in sich birgt. Ein Beitrag über eine Museumsausstellung oder eine Konzertaufführung enthält primär kein solches. Erst wenn der Intendant oder der Kurator über fehlendes Geld klagt, ist der Konflikt da. »Geld und Gerechtigkeit passen gemeinhin nicht zusammen«, wurde ein Beitrag über die Umstände der Milos?evic´-Auslieferung anmoderiert, der in einem interessanten Gespräch mit einem Völkerrechtler endete. Das Problem bei Kulturzeit ist der Kulturbegriff. Man hätte sich diesen Beitrag nämlich gut auch in einem Politikmagazin vorstellen können. Versöhnlich gestimmt, kann man von gesellschaftspolitisch relevanten Themen sprechen, wie auch beim Beitrag über den Hotelbau auf dem Obersalzberg oder beim Bericht über die Situation der ausländischen Intelligenz in Deutschland.
Umrankt werden solche Beiträge dann von so genannten »Kulturnachrichten«, die in der Regel bereits in allen überregionalen Tageszeitungen gemeldet wurden, bevor sie ihren Weg in die TV-Kulturjournale finden: Beate Uhses Tod, Benjamin von Stuckrad-Barres Streit mit der Titanic - und wenn ich mich vorher dafür interessiert hätte, wäre sicher auch Jürgen Drewermanns Meinung zur Stammzellenforschung aus der Zeitung zu erfahren gewesen. Zugegeben, dass die Zeitschrift Wespennest mit einer neuen Ausgabe auf den Markt kommt, war mir völlig neu. Trotz solcher Zufallstreffer sind Kulturnachrichten meist völlig überflüssig und dienen allein dem Zwecke, über die chaotische Vielfalt der Ereignisse hinweg zu täuschen. Neben der fehlenden Aktualität liegt nämlich ein weiteres Problem in der unendlichen Menge an relevanten Informationen, denn unter Umständen kann jedes Zeichen, jeder Sachverhalt und jedes Ereignis »kulturell« relevant werden.
Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu reagieren. Die effektivste Form liegt in einem hemmungslosen Eklektizismus. Ein Häppchen über Martin Walsers neues Buch hier, ein Bericht über Aborigines-Kunst da. Und dazwischen Passionsspiele in Leuwen. Freilich kommt gerade diese Beliebigkeit den Kulturjunkies im Lande entgegen. Von ihrer Existenz zeugte ein Moderator, der seinen Zuschauern ein »möglichst kulturreiches Wochenende« wünschte. Es muss eine Sucht nach Kultur geben wie es ein Verlangen nach Süßigkeiten gibt. Das Ziel der Kultursendungen ist es, den Zuschauer durch materiell winzige Kulturdrogen in jenen Zustand zu bringen, den die im Studio frei herumschwebenden Würfel symbolisieren sollen, der in Wahrheit aber schwerste Abhängigkeit bedeutet. Vorsicht ist geboten, wenn ein Beitrag mit dem Acid-Jazz Stück Rose Rouge von St. Germain untermalt wird. Für die schlimmsten Suchtfälle werden die Sendungen am nächsten Morgen in aller Frühe wiederholt. Einen gewissen therapeutischen Wert hat hier das Kulturgespräch auf Bayern III, das an den guten alten Internationalen Frühschoppen erinnert, der so manchen Großvater früher vom Gang ins Wirtshaus abgehalten hatte.
Eine weitere Spielart, die unendliche Menge an Information zu begrenzen, ist die Konzentration auf die regionale Kultur. So berichtete der Kulturreport aus Leipzig über Peter Sodanns Sammlung von DDR-Literatur. Aber er berichtete auch über »das Heidi«, natürlich extrem ironisch. Sehr verbreitet ist im übrigen auch die Variante, ganze Bereiche auszublenden. Außer im Kulturweltspiegel kommt das Kino eher am Rande und das Fernsehen selbst gar nicht vor. Dagegen wird die Literatur stets wohl bedacht. Ihre Präsentation bringt jedoch alle Probleme des Formats besonders krass zum Vorschein, die Sperrigkeit dieses komplexen Gegenstandes springt förmlich ins Auge. Naheliegend ist es, die Beiträge über eine neue Veröffentlichung mit O-Tönen und Bildern des Autors oder der Autorin zu untermalen. Der Schriftsteller vor seiner Bücherwand, die Literatur in ihrer Vielfalt und die Kultursendungen in ihrer Not können hier allerdings allesamt nur verlieren. Neurotiker von Natur aus, wird der Dichter mit den Fingern im Gesicht herumfuchteln (wie Martin Walser) und irgendwelchen Stuss von sich geben (wie alle). Denn wer will sein lange gereiftes Werk in zwei Sätzen beschrieben haben? Wer kann es? Else Buschheuer vielleicht?
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