Fakten und Verdacht

Aufklärung Der anwachsende Verschwörungsglaube brütet viel Unsinn aus. Was aber, wenn er hier und dort auch ein bisschen recht hat?
Ausgabe 22/2020

Klar kann beunruhigen, wer sich so alles auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung tummelt, und doch hat es etwas Komisches, wenn Claus Kleber im heute journal von den „Verschwörungstheoretikern“ so spricht, als handele sich um eine befremdliche Mischung aus Statikern und Versicherungsbetrügern. Die zwischenzeitlich eher subkulturelle Verschwörungstheorie ist in diesen Tagen wieder dort angekommen, wo sie vor dem Zweiten Weltkrieg schon einmal war: fast in der Mitte der Gesellschaft.

Nicht, dass es hier von dieser Spezies wimmeln würde, aber ich habe in den letzten Tagen öfter Gespräche geführt, die mein Gegenüber mit der Wendung „ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber ...“ eingeleitet hat. Darin steckt die Erkenntnis, dass man zwar weder das Weltbild dieser Menschen teilt noch deren politische Forderungen, aber leider auf der „richtigen“ Seite auch kein sicheres Wissen herrscht. Ja, man spürt deutlich, dass die aggressive Abwehr des „Verschwörungstheoretikers“ nicht zuletzt eigene Zweifel übertönt, etwa über Annahmen, wie ansteckend Kinder sind, und damit über die herrschende Schulpolitik. Somit wird der Verschwörungstheoretiker selbst zu dem, was seine Theorie liefern soll: einem Sündenbock.

Aufklärung wollen ja alle

Diese verbreitete ambivalente Haltung zu den Verschwörungstheoretikern scheint schwer in ein publizistisches Projekt übersetzbar. In den seriösen Medien hat sich die Linie durchgesetzt, dass man den „Verschwörungstheorien“ nur mit „Faktenchecks“ entgegenwirken muss, und alles wird gut, wobei man die Vorannahme trifft, dass ein „Faktencheck“ die Theorie dann schon widerlege. Wer sich aber einmal die Mühe macht, den langatmigen Check des SWR zu den Behauptungen des berüchtigten Mainzer Virologen Sucharit Bhakdi (der darin lose den Verschwörungstheoretikern zugeordnet wird) zu überprüfen, wird sehen:

Der Faktencheck gibt ihm in vielen Teilannahmen recht und rettet sich in Material fürs Stickkissen: „Die Maßnahmen der Bundesregierung sind nicht folgenfrei und können wohl in mancherlei Hinsicht auch gefährlich werden. Völlig sinnfrei oder wirkungslos sind sie aber offenbar nicht. Es bleibt eine Herausforderung, hier die Verhältnismäßigkeit mit guten Experten und möglichst validen Daten ständig zu überprüfen.“ Wer mag da noch widersprechen.

Dennoch steht der Faktenchecker als Lichtgestalt gegen den finsteren Verschwörungstheoretiker, der sich in seinem vermeintlichen Wissen um die wahren Zusammenhänge ja auch als „Checker“ sieht, um sich dieses Wortspiel zu erlauben. Jedenfalls kehrt mit den Verschwörungstheorien das alte Spiel von Aufklärung und Gegenaufklärung zurück in die Öffentlichkeit. Die Ken Jebsens und Attila Hildmanns unserer Tage haben ihre Vorgänger und es fehlt eigentlich nur noch Hans-Georg Maaßen auf dem Corona-Schlachtfeld, um die Brücke zu General Erich Ludendorff zu schlagen, der nach dem traumatisch verlorenen Ersten Weltkrieg die „Dolchstoßlegende“ kolportierte und zahlreiche Bücher gegen die „überstaatlichen Mächte“ mit so sprechenden Titeln wie Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse schrieb; finstere Mächte, denen er das Verhängnis seines persönlichen Schicksals und das seines Volkes zuschrieb.

Dass Ludendorff dabei die „Hintergründe dieser okkulten Gebilde mit dem unbarmherzigen Scheinwerfer seiner Aufklärung ab(leuchtete)“, wie einer seiner Anhänger schrieb, zeigt, wie sich der Verschwörungstheoretiker als besonders radikaler Aufklärer sieht, einer, der durch unerschrockenes Hinsehen jenes Licht in die Dunkelheit bringt, das der Mainstream bloß verspricht. Das macht zweifellos seine Attraktivität für viele bis heute aus. Aber sein Habitus ist umgekehrt auch der Grund, dass er auf andere abstoßend wirkt: „Da steckt ganz viel Egoismus und Narzissmus drin“, meinte die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl zu den Corona-Demonstranten.

Pamphlete

Damit zu deren Lieblingsfeind Bill Gates, der in den Augen der vermutlich ziemlich großen antisemitischen Fraktion der Verschwörungstheoretiker nur den Nachteil hat, dass er nun einmal kein Jude, sondern ein Protestant ist, aber ansonsten alle Qualifikationsmerkmale einer echt sinistren Figur mit sich bringt.

Man verdächtigt ihn, der die WHO über seine Bill & Melinda Gates Foundation nach Angaben eines Sprechers mit rund 250 Millionen Dollar jährlich unterstützt, das Drehbuch dieser Pandemie quasi im Alleingang zu schreiben: von der Aufzucht der Sars-CoV-2-Viren über die Finanzierung der Virologen, die die Bundesregierung beraten, bis zur Zwangsimpfung, um den eigenen Impfstoff zu verkaufen, und der Implementierung eines Mikrochips (schließlich ist der Mann ja Informatiker und nicht Virologe!), um die Bevölkerung zu kontrollieren.

So ähnlich konnte man das schon vor hundert Jahren in Pamphleten wie den Protokollen der Weisen von Zion lesen, und man könnte es mit der Einsicht über Verschwörungstheorien bewenden lassen, dass solche Geschichten eben für Leute sind, denen gerade die Kontrolle über ihr Leben entgleitet, und die nichts anderes tun können, als der Komplexität moderner Prozesse und dem Werk des Zufalls eine „böse“, identifizierbare Gestalt zu geben.

Ja, man könnte es dabei belassen, wenn nicht noch in jedem „Faktencheck“ zu Bill Gates konzediert würde, was auch in dem erhellenden Interview zu lesen war, das meine Kollegin Elsa Koester für den Freitag mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty geführt hat: „Konstruiert? Bill Gates hat ja nun tatsächlich großen Einfluss“, gibt Koester zu bedenken, und Lamberty antwortet: „Es gibt häufig Überlappungen mit realen Machtverhältnissen, aber nicht immer. Juden, die häufigste zum Feindbild konstruierte soziale Gruppe, sind nicht mächtiger als der Rest der Welt.“

Gates, Geld, Drosten

Auf den Hinweis nach einem großen Einfluss von Bill Gates wird ausweichend geantwortet. Diese Verlegenheit ist nicht fehlendem Scharfsinn geschuldet, sondern der Sache selbst: Einfluss ist da, und er wird im Fall eines Mannes mit einem geschätzten Vermögen von 110 Milliarden Dollar nicht eben klein sein, aber wie lässt er sich beschreiben, von messen ganz zu schweigen? Zudem ist Einfluss mit einer komplexen Handlungsstruktur verbunden.

Es gibt hier nicht einfach Handlungsanweisungen; Macht und Einfluss sind soziologisch ähnlich, aber nicht deckungsgleich. „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Max Webers berühmte formale Definition zieht hier nur bedingt, oder sagen wir so: Wer unter Einfluss steht, wird für sein „Widerstreben“ meist gut belohnt.

Um bei Bill Gates zu bleiben, ein scheinbar banales Detail: Es ist überhaupt kein Geheimnis, dass die Berliner Charité und ihr Chefvirologe von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung unterstützt werden, Drosten selbst hatte davon im März berichtet. Geld floss für Forschung an der Pockenimpfung, also, wie es in einem Faktencheck heißt, „zweckgebunden“. Ist damit die Frage nach einem weitergehenden Einfluss erledigt? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Um einen gemeinen Vergleich zu bringen: Wenn der Fifa-Vize bei der WM-Vergabe an Katar mehr als 800.000 Euro erhalten haben soll, dann mag der vordergründige Zweck darin bestanden haben, dass der Fifa-Vize seine Jacht um zehn Meter verlängern kann, aber der eigentliche Zweck lag natürlich darin, seine Delegierten auf Linie für Katar zu bringen.

Arkanpolitik

Das Problem ist, dass Einfluss einen Überschuss an Erwartungen produziert, der sich selten genau dokumentierbar in Handlungen umschlägt, aber den beteiligen Akteuren als stillschweigender Konsens klar ist. Einflüsse bilden so etwas wie eine Macht „hinter“ der Macht: Deshalb kann sich selbst ein so mächtiger Mann wie der amerikanische Präsident gleichzeitig als Opfer eines „Deep State“ fühlen.

An diesem Punkt nun könnte man sich mit der Einsicht begnügen, dass man diese Welt der geheimen Einflüsse mehr oder weniger hinnehmen kann, solange die Dinge ungefähr laufen, wie sie laufen sollen. In vormodernen Zeiten war die „Arkanpolitik“ sogar Voraussetzung für erfolgreiches Regieren. Erst wenn die WM in Katar zum Problem wird, weil man vergessen hat, dass es im Sommer dort einfach zu heiß ist, um Fußball zu spielen, wird die Geheimsphäre zum Problem für viele.

Aber sprechen wir nicht von der WM in Katar, sondern von der Ungleichheit der Welt. Bill Gates ist ja vor allem eines: unermesslich reich und damit ein Symbol für diese skandalöse Ungleichheit. Die Verschwörungstheorien, die sich um ihn ranken, könnte man einfach als den phantasmagorischen Versuch verstehen, diesen Reichtum in eine sinnstiftende „Erzählung“ zu fassen. Es trifft ihn, der vermutlich mit seinem Engagement gegen Pandemien subjektiv die besten Absichten verfolgt, eine um sich greifende Hermeneutik des Verdachts, die auch die Politik betrifft („System Merkel!“), die nüchtern besehen natürlich in hohem Maße unter nicht öffentlichen Einflüssen steht.

Transparenz

Diese Einflusssphäre reicht von unzähligen Lobbyorganisationen bis hin zu allerhöchsten Arkana auch in einer Demokratie wie der deutschen, selbst wenn man nicht unbedingt solche Räuberpistolen erzählen muss: „Die Bundesrepublik war nur eine Marionette der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Deren drei Botschafter hätten jederzeit einen unbotmäßigen Bundeskanzler absetzen und das Grundgesetz in Teilen außer Kraft setzen können. Alle Kanzler hatten bei Amtsantritt eine Unterwerfungserklärung zu unterzeichnen. Die westdeutsche Demokratie war also, zumindest teilweise, ein Fake.“

So der Kolumnist Harald Martenstein, der in diesen Tagen die Finger von Gendertoilette und Drogendealern lässt, und er fügt hinzu: „Das Verrückte: Es war wirklich ungefähr so. Die Existenz der ‚Kanzlerakte‘ wurde 2009 von Egon Bahr in einem Text für die Zeit bestätigt.“

Was wäre geschehen, wäre diese Kanzlerakte früher ans Licht gekommen? Schwer zu sagen. Vielleicht so: Man hätte gesehen, dass die Dinge anders sind, als sie scheinen, und hätte die „finsteren Mächte“ ans Licht gebracht. Und dann hätte man sagen können: Diese Mächte haben auch nur Interessen. Diese Interessen zu benennen und transparent zu machen, ist dann doch der eigentliche Zweck der Aufklärung.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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