Für ein besseres Leben

Sachbuch Spezial Da ist ein Ex-68er mal nicht verliebt ins Scheitern der alten Ideen. Über Gero von Randows Buch zum Wesen der Revolution
Ausgabe 12/2017

Stimmt schon, ein Buch, das von der Revolution handelt, passt zur momentanen Stimmungslage ungefähr so gut wie ein Artikel über die Erderwärmung, wenn draußen Dauerfrost herrscht. Trumpismus, Erdoğanismus oder Putinismus, all das, was uns den Schlaf raubt, scheint sehr weit von dem entfernt zu sein, was Gero von Randow unter der Pathosformel „Wenn das Volk sich erhebt und Geschichte macht“ versteht. Irgendwie erhebt sich „das Volk“ schon, aber mehr noch wird es von Eliten, die keine sein wollen, zum Schein erhoben, der souveräne Akt liegt ganz bei den Herrschern. Was wir im Moment erleben, sind „Revolutionen von oben“, die aber sind ausdrücklich nicht Gegenstand des Buches.

Auch wer eine steile These – etwa bezüglich der Rolle des Populismus für eine Revolution – erwartet, wird von seiner Lektüre enttäuscht sein. Das angenehm unprätentiös geschriebene Buch quält sich auch nicht lange mit den Spitzfindigkeiten aus der Geschichte des revolutionären Denkens (wann kommt eine Revolution zum Stehen, wann tritt also der legendäre „Thermidor“ ein?) und es bleibt ein wenig unterbelichtet in dem, was es doch im Untertitel verspricht: Schönheit und Schrecken einer Revolution, ihre ästhetische Dimension also, zu ergründen. Nicht einmal der Begriff des Erhabenen fällt. Und noch einen Disclaimer muss man anfügen. Es fremdelt etwas mit den neuen Theoretikern der Revolution, mit Hardt und Negri, mit Badiou, obwohl es deren Thesen (es gibt kein revolutionäres Subjekt mehr, die Revolution ist ein Ereignis) zu teilen scheint.

Nein, dieses Buch hat andere, große Qualitäten. Zwei Ereignisse sind es, die sich wie ein roter Faden durchziehen: der Pariser Mai 1968 sowie Tunis, 14. Januar 2011. Während der Mai 68 vermutlich dann doch keine echte Revolution war, die Eigentumsverhältnisse blieben ja unangetastet, und in seiner Folge nur die Mentalitäten revolutioniert hat, ist der Arabische Frühling ja tatsächlich noch nicht so lange her, wie er gefühlt scheint. Bei beiden Ereignissen war Gero von Randow dabei, in Tunesien als Berichterstatter für die Zeit, während der Studentenbewegung als Aktivist, später dann Mitglied der KPD und auf dem Sprung zum „Berufsrevolutionär“.

In den vielen Jahren, die dazwischenliegen, hat auch von Randow sich verändert. Von der Idee, sich Lech Wałęsa dadurch zu erklären, dass es 1980 in Polen „nicht zu viel, sondern zu wenig Sozialismus gegeben“ habe, bis zur Einsicht, dass die „Wende in der DDR tatsächlich eine Revolution“ war, ist es in der Tat ein langer Marsch. Und doch schreibt hier kein Renegat, sondern ein milde ernüchterter Intellektueller, der das Grundmotiv einer Revolution nicht diskreditiert haben will: „Freiheit und Würde. Auch für Sklaven. Für alle eben.“ Wichtig ist gerade der letzte Satz, die Revolutionen, die von Randow meint, sind kosmopolitisch, nicht völkisch.

In der Pariser Kommune

Dabei ist ihm klar, dass diese Revolutionen ihre edlen Motive zuverlässig an die Gier verraten haben. Aber anders als viele aus seiner Generation, die als Journalist, Schriftsteller oder Professor Karriere gemacht haben, ist er weder verliebt ins Scheitern der revolutionären Idee, noch kann er der ironischen Geste, mit der sich etwa ein FAZ-Herausgeber eine Lenin-Büste auf den Schreibtisch gestellt hat, wirklich etwas abgewinnen. Dem Spott zieht er die Melancholie vor. Ja, Stalin, Mao, Marat stehen auch bei ihm emblematisch für den Schrecken der Revolution. Vieles ist natürlich bekannt, aber es werden immer wieder Figuren beleuchtet, die nicht so ins kollektive Gedächtnis gerückt sind, die französische Anarchosozialistin Louise Michel etwa, für die die Pariser Kommune das „Ereignis ihres Lebens“ wird.

Es geht in seiner Darstellung um beides: den Typus des Revolutionärs und die Massen (oder das „Volk“), und darum, wie beide in der Revolution zusammenkommen und sich wieder entfremden. Die Revolutionäre von heute sind die Despoten von morgen, stimmt schon, aber es gilt eben nicht für alle. Von Randows Herz schlägt für schräge Vögel wie Ridha Ben Aissa, einen Apotheker, Kung-Fu-Meister und Projektemacher aus Tunis, der mit dem Handy in der Hand von der bevorstehenden großen Arabellion schwärmte und 2015 starb, ohne dass sein Traum in Erfüllung ging.

Von Randow will etwas von diesem Pathos der Revolution bewahren, auch dort, wo man es nicht vermutet, sodass sich zum Ende des Buches dann doch noch eine überraschende These einstellt. Der Flüchtlingstreck, der sich im September 2015 von Budapest nach Wien bewegte, trug er nicht auch die Züge einer Revolution? „Ich musste sofort an die Bilder unserer Revolution von 1848 denken“, sagte ihm ein junger Ungar. Zugegeben, die Bilder von schwarz vermummten Dschihadisten scheinen die neuen Revolutionen gerade kräftiger zu zeichnen als Männer mit Zylinder und Federhut, umso verdienstvoller ist es, an diese Traditionen zu erinnern, und an Menschen, in denen sie noch wirksam sind.

Info

Wenn das Volk sich erhebt. Schönheit und Schrecken der Revolution Gero von Randow Kiepenheuer & Witsch 2017, 320 S., 22 €

Die Bilder des Spezials

Nadine Kolodziey, Jahrgang 1988, zählt zu Deutschlands talentiertesten Illustratorinnen. Ihre Perspektive ist laut, grell und rätselhaft: „Ich mag es, wenn meine Arbeiten einen schmutzigen, leicht punkigen Stil haben“, sagte die Grafikdesignerin dem Magazin Page. Für Salto Magazine bereist Kolodziey in jeder Ausgabe eine neue Stadt und dokumentiert ihre Beobachtungen grafisch und mit Texten. Dabei legt sie nicht nur die Zeichnung in vielen Ebenen übereinander – auch der Text der Kurzgeschichten ist zur Hälfte in Deutsch, zur Hälfte in Englisch gehalten und kann einzeln wie zusammen gelesen werden. Erschienen, in limitierter Auflage, sind: Salto #1 Berlin und Salto #2 Tokyo. Für das kommende Salto #3 ging es nach Osaka. Mehr Informationen auf nadinekolodziey.com

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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