Gedanken aus dem Schützenverein

Debatte Alexander Dobrindt fordert eine „konservative Revolution der Bürger“ gegen den linken Mainstream. Es ist aber nur der Extremismus der Mitte, der aus ihm spricht
Alexander Dobrindt, Extremist der Mitte
Alexander Dobrindt, Extremist der Mitte

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Alexander Dobrindt war nicht nur kaufmännischer Leiter einer Gerätebaufirma, bevor er Berufspolitiker wurde. Er ist auch Diplom-Soziologe. Als Intellektueller ist er bisher dennoch nicht aufgefallen. Nun aber veröffentlichte er in der Welt ein Plädoyer "Für eine bürgerliche Wende", das auf die "geistig-moralische Wende" anspielt, mit der Helmut Kohl 1982 seine Kanzlerschaft angetreten hatte. Kohl, der oft unterschätzte Historiker, hätte allerdings nicht formuliert, was Dobrindt mal eben als Gegenwartsdiagnostiker hinschreibt: "Auf die linke Revolution der Eliten folgt die konservative Revolution der Bürger".

Die konservative Revolution also. Das ist ein historischer Begriff. Und war tatsächlich das 'Projekt' einer (kleinen) Elite. Was Oswald Spengler, Carl Schmitt, Ernst Jünger, Arthur Möller van den Bruck und wie sie alle heißen, verband, war nicht nur die nicht ganz unerhebliche Tatsache, dass es sich durchweg um Männer handelt, sie stammten auch fast alle aus dem Kleinbürgertum, waren voller Aufstiegshoffnung und zugleich voller Existenzängste. Sie neigten zu Gewaltfantasien und Apokalyptik, die Moderne und mit ihr die "Zivilisation" galten ihnen als Grundübel, der Antisemitismus war mindestens latent. Mehr dazu im Standardwerk Die konservative Revolution von Stefan Breuer, auch er ein Soziologe.

Das ist brachial liberal

Nun muss man sagen: Das alles meint Dobrindt gar nicht. Die Moderne abzulehnen hieße ja zum Beispiel auf eine Überwindung der modernen Fortbewegungsmittel hinzuwirken, was nicht nur aus dem Mund des ehemaligen Bundesministers "für Verkehr und digitale Infrastruktur" komisch klänge. Es deutet an, auf welch verlorenem Posten antimoderne Ideologien stehen. Und tatsächlich schreibt Dobrindt Sätze wie "wer nicht komplett digitalisiert, verliert", die einem radikanen Antimodernisten wie Botho Strauß zwar die Haare zu Berge stehen lassen, aber sonst auf breite Zustimmung bauen können.

Nein, das ist nicht konservativ-revolutionär, sondern brachial liberal. Auch seine Gedanken zur Bewahrung der Schöpfung, zur Keimzelle der Familie und zu "Trachten und Brauchtum" sind so wenig konservativ-revolutionär, wie es sein Bekenntnis zum "Abendland" ist. Das alles ist wiederum einfach nur konservativ. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn es sich nicht verbände mit einem rabulistischen Gestus gegen die "68er", die als die großen Zerstörer dastehen. "Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus" hatten ihre Zeit, schreibt Dobrindt, der auch Mitglied in einem Schützenverein ist. Das nun ist in der Tat der Sound der konservativen Revolutionäre, die in ihrem labilen Selbstbewusstein auf ein aggressiv gepflegtes Feindbild angewiesen waren.

Konservative Revolution trifft es also nicht. Für den Geist, der aus Dobrindts Traktat spricht, gibt es allerdings einen guten Begriff: Extremismus der Mitte. Er meint historisch, dass das republikanische, demokratische Bewusstsein im Bürgertum das Ende der Weimarer Republik nicht stark genug ausgebildet war, um gegen die populistische Verführung immun zu sein. Was dann kam, wissen wir. Was der neue Extremismus der Mitte am Ende angerichtet haben wird, ist dagegen noch unklar.

Kommentar des Tages

In einem neuen Format kommentieren wir auf freitag.de seit dem 2. Januar 2018 montags bis freitags täglich aktuelle Ereignisse und Themen

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden