Günter Grass als Mephisto

Israel Die überwältigende Kritik am Nobelpreisträger und seinem Gedicht zum Atomkonflikt zeigt: Er könnte doch noch zur Kraft werden, die das Gute schafft

Die Zeit ist noch nicht so lange her, da war Grass-Bashing en vogue. Hart angegangen wurde der Schriftsteller nicht nur von der konservativen Seite, die in ihm einen "Gutmenschen" sah, der künstlerische Defizite mit aufdringlichem Moralismus überspielte (Karl Heinz Bohrer), sondern auch von einer aufgeklärten Linken, die in Günter Grass – genau das gleiche erkannte. Ausdruck fand diese Verachtung in dem Buch Literatur als Qual und Gequalle. Über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass. Herausgegeben wurde es 2007 in der edition Tiamat von Klaus Bittermann. Seither kann man Grass relativ risikolos beschimpfen, egal, wo man steht.

Als freier Geist hätte man ihn darum in der aktuellen Lage aufs Äußerste zu verteidigen. Aber es geht nicht, beim besten Willen nicht! Selbst Thomas Steinfeld, der ja in der SZ erklären müsste, warum seine Zeitung das Gedicht abgedruckt hat, kann nur sagen: So ist er halt, der Grass, einen anderen kriegen wir auch nicht mehr.

Grußbotschaft

Aber eines lässt sich zu seiner Verteidigung dann doch sagen: Es geht eine gewisse faustische Tiefe von ihm aus. Mit seinem unsäglichen Gedicht könnte er wie weiland Mephisto "Teil von jener Kraft“ werden, „die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Etwas sehr Gutes ist ja schon geschehen. Überwältigend war die Kritik. Fast alle haben gesagt: So geht das nicht, Grass, man kann nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Nicht Israel bedroht den Iran, sondern der Iran respektive sein Machthaber wollen Israel von der Landkarte tilgen. Tausendfach wurde der Link auf die Website der israelischen Botschaft mit den Worten des Gesandten Nahshon bei Facebook geteilt, vielfach die brillante Interpretation von Frank Schirrmacher kopiert und gelobt. Und das alles soll nur geschehen sein, weil nicht gesagt werden darf, „was gesagt werden muss" (Grass)? Ist doch Quatsch, es ist geschehen, weil die Leute wirklich so empfinden.

Das war auch eine überwältigende Grußbotschaft an Israel. Wirklich faustisch würde die Sache, wenn die Botschaft in Israel und bei seinen Fürsprechern auch ankäme und zu einer Lockerung aus der Angststarre führte. Um hier mal ein wenig auf Probe den Leitartikler zu geben: Wir haben sie doch so satt, diese „Nahost-Debatten“ mit den immer gleichen Frontstellungen, dem immergleichen Entweder – Oder. Nur weil Grass schwer einen am Wickel hat mit seiner Vergangenheit, ist seine Forderung nach einer "Kontrolle/des israelischen atomaren Potentials/und der iranischen Atomanlagen/durch eine internationale Instanz" ja nicht schon per se unvernünftig. Und nur weil Henryk M. Broder zu Grass das Richtige gesagt hat, hätte es ja nicht weniger Eier, wenn ihm auch mal ein kritisches Wort zur Siedlungspolitik über die Lippen käme. Aber genug, sind ja keine Nahostexperten, lassen uns aber das Reden auch nicht verbieten, haben zu lange verschwiegen... Mist, sorry, das war gerade der ganz falsche Text.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden