Guttenberg, di Lorenzo oben, Redakteure unten

Medientagebuch Was darf eigentlich Realsatire? Eine kurze Rekapitulation der Guttenberg-"Zeit"-Farce mit einem Ausblick und einer Moral der Geschichte

In der Berichterstattung um Karl-Theodor zu Guttenbergs Rückkehr in die deutsche Öffentlichkeit spielte auch die Leipziger Volkszeitung einen Part. Die LVZ war es, die beim Oberstaatsanwalt Reiner Laib in Erfahrung bringen konnte, dass das Ermittlungsverfahren gegen Guttenberg vor dem Abschluss stehe und es zu keiner An­klage komme. Vielmehr sollen die Verstöße gegen das Urheberrecht mit einer Spende an eine gemeinnützige Organisation abgegolten werden. Sollte sich der Bericht der LVZ bewahrheiten, schlussfolgerte die Zeit in ihrer Online-Ausgabe vom 14. Oktober, „wäre der Weg frei für ein Politik-Comeback“. Mag sein. Aber erst einmal wurde durch die von der Hofer Staatsanwaltschaft am 23. November vermeldete Einstellung des Verfahrens der Weg frei für die Veröffentlichung eines Gesprächs, das der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mit Guttenberg geführt hatte.

Realsatire

Dieser müsse eben schon länger ­geahnt haben, wie das Verfahren ­ausgehen würde, schreibt Alard von Kittlitz in derFAS, und hatte so alle Zeit der Welt, „die übrigen Schritte ­einzuleiten“ – bis zu jenem Gespräch in Buchform, das laut Herder-Verlag „um den 20. Oktober stattgefunden“ hat und in Auszügen in der Zeit einen Tag nach Bekanntgabe der Einstellung des Verfahrens veröffentlicht wurde. Ein beigestellter Text informierte über den Rahmen: Drei Tage lang hatte Guttenberg in einem „Londoner Hotel“ Rede und Antwort gestanden, „die meiste Zeit ohne ein Lächeln, oft mit verschränkten Armen. In sein Gesicht hat sich ein harter Zug eingegraben.“ Solche Nahbeobachtungen zeichnen ein Bild der Seriosität, aber noch seriöser wäre es vielleicht gewesen zu erwähnen, wann das Gespräch geführt und unter welcher Conditio sine qua non es nun veröffentlicht wurde.

Nicht wenige Leser der Zeit sind ja Akademiker, und die hätten da, wo von harten Gesichtszügen die Rede ist, bestimmt auch ein paar harte Fakten ertragen. Die Zeit tut ja erfreulich viel für den akademischen Nachwuchs, da wundert es schon, dass sie einem akademischen Hochstapler und Schwindler ein Forum gibt, denn ein solcher bleibt Guttenberg auch nach dem eingestellten Verfahren, bei dem einfach kein „wirtschaftlichen Schaden der Urheber“ feststellt werden konnte (was ist eigentlich mit dem ­‚ideellen Schaden‘ an der Wissenschaft? Wer bilanziert den?). Nicht nur Jürgen Kaube konnte sich – im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur – gut vorstellen, dass die „Wissenschaftsredaktion oder die Hochschulredakteure“ der Zeit über dieses Interview erbost waren.

Damit genug, zu der Geschichte scheint alles gesagt. Man darf gespannt sein auf die Guttenberg-Satire, die Filmproduzent Nico Hofmann angekündigt hat, aber eigentlich sind die 80 Disketten und vier Computer, auf denen der Unselige laut Gespräch seine Doktorarbeit gespeichert und zusammenmontiert haben will, kaum zu toppen. Fragt sich nur: Was darf eigentlich Realsatire? Auch ­alles?

Vorerst nicht gescheitert

Die Leipziger Volkszeitung ist ­übrigens gerade wieder in den Nachrichten. Dieser Tage wurde bekannt, dass die Madsack-Mediengruppe bei ­ihren Lokalzeitungen einen gemein­samen Mantel in Berlin anstrebt. In der Folge sollen 53 Stellen bei der LVZ ­abgebaut werden, davon 20 bis 30 in der Redak­tion. Natürlich soll es sozialverträglich zugehen, notfalls aber sollen auch betriebsbedingte Kündigungen vor­genommen werden. Und noch eine Nachricht erreichte uns, sie betrifft das Buch, in dem das Gespräch zwischen di Lorenzo und zu Guttenberg vollständig gelesen werden kann: Die Start­auflage von Vorerst Gescheitert sei so gut wie ausverkauft. Fällt einem halt wieder einmal nur ABBA ein: The Winner takes it all. The loser is standing small.

PS: Gestern (27.11) vermeldete Zeit online mit Bezug auf die FAS, Guttenberg habe "die zeitliche Nähe zwischen der Einstellung des Plagiatsverfahrens und der Veröffentlichung seines Buches möglicherweise selbst bestimmt". Und: "Nach Informationen des 'Focus' arbeitet Guttenberg seit geraumer Zeit intensiv an einem politischen Comeback". Nach "Informationen des 'Focus'". Freunde! Warum nicht einfach im eigenen Haus nachfragen, da gibt es doch einen, der das ganz genau wissen müsste?

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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