Noch bis 2021 wird Klaus Dörr die nach dem Ende der Ära Castorf durchgeschüttelte Volksbühne leiten. Dann wird René Pollesch folgen, der zurzeit noch im „Exil“ am Deutschen Theater arbeitet. Auf einer Bank davor fand das folgende Gespräch statt.
der Freitag: Herr Pollesch, es gibt einen Rollenwechsel bei Ihnen. Vom Autor und Regisseur zum Intendanten. Sie müssen nun auch repräsentieren, ein Kollektiv anleiten.
René Pollesch: Team, Kollektiv, das sind Begriffe, die wir vermeiden. Wir sind eher zwei, drei, vier oder mehr Leute, die zusammenarbeiten, die Erfahrungen miteinander gesammelt haben.
Dann lassen wir doch den Teambegriff. Es geht um Arbeit.
Als ich abgelehnt habe, Schauspielleiter unter dem vorletzten Intendanten Chris Dercon zu werden, habe ich dem damaligen Kultursenator Tim Renner vorgeschlagen, gebt dem Bert Neumann und mir doch den Prater. Da hat er mich ganz verwirrt angeschaut. Sind die ein Paar? Leuten, die eher nicht so viel Ahnung von Theaterarbeit haben, ist nicht klar, dass der Regisseur einem Bühnenbildner nicht unbedingt Anweisungen gibt.
Man kann gemeinsam eine Idee entwickeln. Aber am Ende muss einer oder eine entscheiden. Das heißt Chef sein.
Nicht auf unseren Proben. Es wird da auch nicht abgestimmt. Auf Proben tritt für alle sichtbar zutage, was gut ist und was nicht. Das ist eine andere Arbeit.
Das erinnert mich an Sekten.
Okay, da kann man jetzt sagen, die sind alle nach dem Master orientiert. Es gibt aber verschiedene Temperamente bei den RegisseurInnen. Es gibt die Papas und Mamas, die meist nicht so starke Persönlichkeiten um sich scharen, weil es einfacher ist. Ich arbeite mit Martin Wuttke zusammen, mit Sophie Rois, Fabian Hinrichs.
Das sind ja nicht gerade schwache Persönlichkeiten. Aber die gibt es auch in sektenartigen charismatischen Künstlerzusammenschlüssen wie dem George-Kreis.
Der Volksbühne hat man immer schon Sektiererei vorgeworfen. Das trifft aber unsere spezielle Arbeitsweise nicht.
Einer Ihrer Kritiker beschreibt Sie als einen „antiautoritären Autoritären“. Das fand ich treffend.
Auch das hat nichts mit unserer Arbeitspraxis zu tun.
Der Kritiker sagt auch: Ich bin sehr für das postdramatische Theater. Aber gerade weil ich das bin, habe ich Angst, dass sich der Intendant Pollesch anderen, neueren Tendenzen verschließt.
Mein Intendant-Sein wird nicht bedeuten, dass ich bestimmte KünstlerInnen mit meinem Geschmack adle. Die RegisseurInnen werden bei uns von den SchauspielerInnen ausgewählt. Wir, die Dramaturgin Anna Heesen, Ida Müller und ich, sehen uns Stücke an. Aber: Ein Martin Wuttke hat sich noch nie für eine „Regiehandschrift“ interessiert. Er fragt sich eher: Kann da was entstehen, wo man seine Autonomie behält? So geht es doch auch mir. Die SpielerInnen sagen mir, dieser Text ist nicht interessant, weg damit, lass uns was anderes versuchen! Davon profitiere ich also Autor und Regisseur. Und davon will ich auch als Intendant profitieren.
Klingt sympathisch.
Das passiert nicht aus Freundlichkeit, sondern weil wir ein Theater machen, das Kraft hat. Die ZuschauerInnen reagieren ja auf eine Kraft, die wir haben. Das wiederum liegt daran, dass die SchauspielerInnen keine Texte sagen, die sie nicht interessieren. Das gibt es anderswo nicht.
Was ist für Sie schwaches Theater?
Ich musste mal ein Stück auf Spanisch sehen. Ich habe kein Wort verstanden. Man hat mir gesagt, es gehe um Pinochet. Ich habe eine ältere Schauspielerin gesehen, die sich ständig die Haare vors Gesicht gemacht hat, und einen älteren Schauspieler, der dauernd den Bauch einzogen hat, und einen sehr jungen Schauspieler, dem man anmerkte, dass er rauskommen wollte. Das waren die Probleme der drei auf der Bühne, die dann aber behaupteten, Pinochet sei das Problem. Und da verorte ich so eine Wirkungslosigkeit von Theater. Theater als Dienstleistung.
Also kein Theater für „authentische Kühe“, um einen Begriff von Ihnen zu zitieren. Sagen Sie noch mal genau, was er bedeutet.
Die authentische Kuh versucht einen radikalen Gedanken auszubremsen und sich in den gesunden Menschenverstand zu retten. Die authentische Kuh meint also eigentlich den „gesunden Menschenverstand“.
Also ist es eine dumme Kuh.
Nein, authentisch. Die Denkleistung ist authentisch. Wenn authentisch dagegen loyal, integer bedeutet, bin ich dabei!
Das dürfte jetzt ja etwas schwieriger werden. Sie müssen Rollenerwartungen erfüllen.
Ich denke nicht daran! Im Moment sitzen Intendanten zu Beginn der neuen Spielzeit auf Pressekonferenzen und pitchen, was sie sich ausgedacht haben. Ich hab mir aber nichts ausgedacht.
Ganz viele Leute wollen nun was von Ihnen. Sie können aber nicht alle glücklich machen. Sie müssen mit Enttäuschungen umgehen können.
Das hatte ich auch schon als Regisseur. Ich mache keine Castings. Es gibt kein Vorsprechen. Das wird von vielen als hermetisch verstanden. Ist es vielleicht auch ein Stück weit. Ich lerne Leute über Gespräche kennen. Und bleibe dann vielleicht auch bei denen. Im Ensemble kann das zu Verstimmungen führen. Dafür können dann meine SpielerInnen sagen, wen sie dazuholen wollen. Selbst bei Harald Schmidt in Stuttgart war das so. Nicht ich habe Schmidt ausgewählt.
Der Vorwurf ist dann aber Intransparenz.
Dauernd SchauspielerInnen antanzen lassen, finde ich jetzt auch nicht so toll. Ich muss auch sagen, wir sind jetzt noch zwei Jahre von der Intendanz entfernt. Wir haben erst entworfen, wie es ausschauen könnte. Es gibt keine Verträge, aber feste Verabredungen mit Florentina Holzinger, Vegard Vinge und Ida Müller.
Es bleiben Erwartungen. Stichwort: das letzte antikapitalistische Bollwerk, der Claim „Ost“ ...
Neu ist, was das Kollektiv, das unter Dercon die Volksbühne besetzt hat, vermisste. Sie sagten: Dercon kann die Orientierung nicht bieten, die die Volksbühne mal geboten hat. Bestimmte politische Kräfte bündeln. Es wurden natürlich auch Themen vermisst ...
… den kritischen Stadtdiskurs …
Wir haben 2001 das Stück gemacht Stadt als Beute. Das beschäftigte sich auch mit der Volksbühne als attraktivem Ort.
Ist die Gentrifizierung denn noch ein Stoff für Stücke?
Angefangen habe ich in Berlin mit dem Stück Heidi Hoh. An anderen Theatern versuchte man damals Franz Xaver Kroetz und die Globalisierung zusammenzubringen, es wurde sogar ein Stück über HeimarbeiterInnen gebracht. Ich fand dagegen das Unscharfe von Orten interessant. Und das verband sich in Heidi Hoh mit der Frage, wie der Arbeitsmarkt unter Frauen und Männern aufgeteilt ist. Was ist emotionale Arbeit? Was ist rationale Arbeit? Das hing mit den Fragen der drei Frauen zusammen, mit denen ich das Stück machte. Es hing aber auch mit meiner persönlichen Situation zusammen, überall lagen Texte herum, wo war da das Wohnzimmer, wenn alles wie ein Büro aussieht? Und so habe ich seitdem Theater gemacht. Ich schiele nicht auf Themen, die in der Luft liegen.
Was wäre daran so schlimm? Im Journalismus ist es eine Tugend.
Aber das ist komplett etwas anderes. Es gibt ja Theaterleute, die so vorgehen. Und JournalistInnen erkennen sich darin wieder ...
… na ja. Meinetwegen können alle über alles schreiben, wenn sie sich einen guten Zugang zu einer Sache erarbeitet haben.
Der Zugang kommt halt oft von einem unmarkierten weißen Heterosexuellen.
Ich würde Ihnen raten, mit der Volksbühne nicht in die identitätstheoretische Falle zu tappen.
Das, was als Identitätspolitik diffamiert wird, ist mir aber sehr wichtig. Ich finde auch Intendanten nicht attraktiv, die wegen irgendwelcher Rockstarallüren politisch unkorrekte Banalitäten verbreiten.
Die Hälfte der Miete Ihrer Stücke sind eh Ihre Titel, fand ich immer: „Schau mir in die Augen, Verblendungszusammenhang“, „Kill your darlings“.
„Kill your darlings“ ist eine feststehende Wendung unter Cuttern. Wenn man was lieb gewonnenes raustrennen muss. Es geht aber nicht darum, mit diesen Titeln ein Stück zu bewerben, sondern einen geilen Satz überall zu platzieren. Als die Agentur LSD die Grafik für die Volksbühne gemacht hat, hing „Stadt als Beute“ überall im Stadtraum rum.
So etwas nennt man virales Marketing. Wäre ich Intendant, würde ich dafür sorgen, dass alle Titel eine Handschrift ergeben. Wie bei einer guten Zeitung.
Wenn der Autor des Stücks der Intendant ist.
Nein, in jedem Fall.
Das verbinde ich nicht mit meiner Arbeit! Ich bin kein Kurator.
Es ist aber Ihre Arbeit.
Das sagen Sie. Noch mal: Es gibt „den Intendanten“ nicht.
Noch mal: Es gibt ihn als Rolle. Soziologisch gesehen ist eine Rolle ein Bündel von Erwartungen.
Aber es ist auch eine Praxis. Dann werde ich die Rolle neu erfinden.
Könnte es Sie reizen, mit der Rolle des Intendanten zu spielen?
Das ist immer von der Zuschauerpostion aus gesprochen. Ich habe noch nie für die Zuschauerposition gearbeitet. Das Lehrstück Brechts hat auch keinen Zuschauer im Kopf. Das ist die radikale Erfindung von Brecht. Es gibt eine gute Geschichte: Tobias Moretti spielt Hitler. In einer Szene steht Moretti alias Hitler neben einem Schäferhund, Blondie. Sagt der Regisseur Breloer: Stopp. Das geht auf keinen Fall; steht ein Schäferhund neben Moretti, denken alle an Kommissar Rex. Und das tut Repräsentation, sie schafft aus der Welt, sie selektiert.
Dagegen steht Ihr Begriff des Superperformers: Harald Schmidt ist für Sie ja so ein Superperformer.
Jedenfalls ist er das Gegenteil einer authentischen Kuh. Er ist immer so gegen den gesunden Menschenverstand. Dabei ist er immer sehr konkret. Schmidt schaut dem Verblendungszusammenhang in die Augen. Ich bewundere ihn sehr.
Er könnte doch Ihr Pressemensch werden.
Guter Tipp. Aber wir können ihn nicht bezahlen.
René Pollesch wurde 1962 in Friedberg (Hessen) geboren. Er studierte angewandte Theaterwissenschaften in Gießen. Es folgten Stationen als Regisseur in Hamburg und Gießen. 1999 wurde sein erstes Stück aufgeführt. Von 2001 bis 2007 leitete er die kleine Spielstätte Prater der Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz. In diesem Jahr ist er mit drei Stücken an drei Bühnen vertreten
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