Westberlin, Westberlin: Jetzt, da Berlin so langsam zu einem durchglobalisierten Dutzendplatz wird, wächst die Sehnsucht nach der einmaligen „Mauerstadt“. Wobei es natürlich Zufall ist, dass im Mai endlich das B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979 – 1989 in die Kinos kommt, aus dem schon länger Ausschnitte zum Song You need drugs von Westbam im Netz kursieren, und von diesem Westbam gerade ein Buch über sein Leben erschienen ist, das ihn als jungen Punk von Münster nach Berlin und hier auch ins Risiko geführt hat.
Das Risiko war eine kleine Bar an den Yorckbrücken in Schöneberg, es gibt sie längst nicht mehr, die wiederum in Oskar Roehlers neuem Roman Mein Leben als Affenarsch zum mythischen Ort des Westberlins der frühen 80er Jahre ernannt wird. Um den Mythos vollständig zu machen, fehlt jetzt nur noch das Buch von Blixa Bargeld, denn der ist definitiv die Ikone jener Tage und taucht ergo in jedem der vorliegenden Medienstücke auf.
Am Rand der Parodie
Auch in Roehlers neuem Film Tod den Hippies, der fast zeitgleich zum Affenarsch- Roman erscheint, hat Blixa Bargeld seinen Auftritt. Er ist Barmann im liebevoll nachgebauten Risiko: In einer herrlich lakonischen Szene zerstört er die Wanduhr, der schon der Stundenzeiger fehlt, weil die Stunden in diesem Westberlin zwar gezählt sind, wie man heute weiß, damals aber nicht gezählt wurden. Mit "Ich mach alle Uhren von Berlin kaputt. Zeit. Ich mach den Tod kaputt“ schlägt er die Uhr auf den Tresen, und schepper, schepper, dresch, dresch, geboren ist der Sound der Einstürzenden Neubauten.
Gespielt wird Blixa Bargeld von Alexander Scheer, dem es offensichtlich große Lust gemacht hat, den Poser haarscharf am Rand der Parodie zu spielen, und der zu bestechender Form aufläuft, wenn er mit Marc Hosemann als Nick Cave jene namenlose Peepshow betritt, in der Robert eine erste Arbeit findet, nachdem er aus Westdeutschland weggelaufen ist: Er muss das Sperma von den Scheiben wischen.
„Die wichsen hier wie die Weltmeister, ich komme kaum nach, Mann, ich bin Künstler“: Tom Schilling spielt diesen Robert als neunmalkluge, sexy Rotznase, die Louis-Ferdinand Céline zum Klassiker des bad taste kürt und damit die nicht minder sexy und kluge Stripperin Sanja (Emilia Schüle) beeindruckt, die eigentlich wie er Künsterlin ist (Malerei) und aus bester amerikanischer Familie stammt.
Oskar Roehlers neuer Film will natürlich selbst über weite Strecken bad taste sein, so schrill wie Pink Famingos von John Waters, den Roehler in einem Porträt der WamS gerade zu seinem Säulenheiligen erklärt hat. Aber die Peepshow steht nicht nur für die Ästhetik des Schrillen, nicht nur für eine Geilheit, die drastisch ausgestellt wird, ist nicht nur Parodie auf Berlin als „Hure Babylon“ (Alfred Döblin), die Peepshow ist auch der Ort, an dem die Boheme auf das „normale“ Berlin trifft: So erkennt Robert im Sachbearbeiter des Sozialamts, das ihn großzügig mit Zulagen und Pauschalen alimentiert, einen guten Kunden der Show wieder.
Sexarbeiterinnen, die breit berlinern und dann doch lieber Bunte lesen als die düsteren Gedichte der Boheme, Hauswarte, deren Sinn für den Untergrund an der nächsten Eckkneipe haltmacht: Das ist natürlich Berlin-Folklore, aber es ist auch jener kleinbürgerliche Humus, vor dem man aus Westdeutschland geflüchtet ist, der hier aber dafür sorgt, das man selbst ungestört abdriften kann. Tod den Hippies ist vor allem auch ein Film über Drogen, genauer über Speed. Man hat den Eindruck, dass in Westberlin von der Subkultur mehr Amphetamin geschnieft wurde als von den deutschen Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg.
Aber nicht nur die Berliner Subkultur will mit Speed versorgt werden, sondern auch Roberts Mutter in München. Einmal mehr verknüpft Oskar Roehler Zeit- und Familiengeschichte, Fiktion und Autobiografie: Gisela Elsner, die Mutter von Roehler, taucht als drogen- und alkoholabhängiges Wrack auf, dessen kreatives Restpotenzial sich bei einem furiosen Talkshowauftritt gegen den eigenen, verhassten Sohn richtet. Das ist großartig gespielt von Hannelore Hoger.
Der Vater von Robert ist kaum besser als die Mutter. Klaus Roehler ist hier, noch so ein schöner Lakonismus, buchstäblich der letzte Kassenwart der RAF: In seinem Bett bewahrt Klaus (Samuel Finzi) 200.000 Euro von Gudrun Ensslin auf, die er lebendig glaubt. Und das ist dann eben Punk, wie Roehler es verstanden haben will: Der Sohn klaut dem schlafenden Vater die 200.000 Euro unter dem Arsch weg. Eine anarchische Geste, ein „Tod den Hippies“.
Nonkonformismus
Seinen Anfang nimmt der Film in einem westdeutschen Gymnasium, an dem die Pädagogik der 68er herrscht und das kritische Bewusstsein quasi zur Staatsreligion geronnen ist; das mag eine Übertreibung sein, aber dass „Punk“ sich gegen den Konformismus eines nur noch vermeintlichen Nonkonformismus richtete, ist eine Deutung, die Roehler der Bewegung nicht nachträglich zuschreiben muss, sie lag den Aktionen der damaligen Protagonisten schon selbst zugrunde, so naiv und jung die auch waren. Nur, wohin führt so eine Haltung? Boheme ist nun einmal kein Zustand für die Ewigkeit und „Westberlin“ auch als Metapher für dieses Vanitasgefühl zu verstehen.
Der Film drückt sich etwas um die Antwort und bastelt sich einen Epilog aus der Wüste Sahara, wo Robert nach seiner Ausschaffung aus Westberlin auf seinen Westentaschenzuhälter-Freund Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) trifft. Entschiedener ist da schon das Buch, das viele Elemente des Films enthält, sie aber auch variiert: Der Ich-Erzähler flüchtet nach einer Amour fou quasi ins Altenheim, wo er alte Menschen pflegt. Eine prosaische Arbeit, für die es auch nach dem Fall der Mauer einen Bedarf gibt.
Möglich ist natürlich auch, dass aus einem jungen Künstler ohne Werk ein erfolgreicher Filmemacher und Schriftsteller wird: Dass Roehler seinen Roman mit einer Danksagung an „Westberlin, als es noch von einer Mauer umgeben war“ enden lässt, klingt schon schwer nostalgisch. Andererseits: Wer eine böse Mauer zu etwas Gutem erklärt, der will auch etwas vom rotzigen Spirit jener Tage ins Heute retten.
Info
Roman: Mein Leben als Affenarsch Oskar Roehler Ullstein 2015, 224 S., 18 €
Film: Tod den Hippies. Es lebe der Punk Oskar Roehler Deutschland 2015, 105 Minuten
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