Letzte Woche hat Jakob Augstein an dieser Stelle ein flammendes Bekenntnis zum Feminismus abgelegt, da er über Garten und die Natur nicht schreiben wolle, weil ihm das nicht „gesellschaftlich genug“ sei. Was für ein Irrtum. Die Natur ist das Gesellschaftlichste überhaupt, hier eine Trennung zu machen, ist schon, sagen wir mal mit Kant, „vorkritisch“. Mein Bekenntnis lautet darum: Ich bin ein radikaler Öko! Leute, die mich etwas besser kennen, werden das vermutlich nicht ganz ernst nehmen können. Und ich muss gestehen, dass ich erst am Anfang stehe und die Konsequenzen für mein Leben noch nicht überschaue. Ich kaufe bisher ja noch nicht einmal regelmäßig in einem Bio-Laden ein. Dabei ist der Prenzlauer Berg, wo ich (nicht ganz freiwillig) wohne, voll von Bio-Ketten, vor allem die Denns-Filialen breiten sich wie Pilze aus. Aber genau deshalb gehe ich da ja nicht hin. Mit meinem Einkauf bei Rewe protestiere ich gegen den Bio-Biedermeier. Klar, ein kindisches Verhalten. Andere sind da viel weiter, im Ernst.
Man muss aber auch sehen, wo meinesgleichen herkommt: aus dunkelster Naturferne. In den achtziger Jahren haben wir uns schwarz gekleidet, die Ökos verachtet und Bücher von Karl Heinz Bohrer verschlungen, in denen ein überhebliches „der Geist formiert sich nur gegen die Natur“ formuliert wurde. Das Waldsterben beschäftigte uns schon, aber dann starb der Wald doch nicht, oder nicht ganz, und der Zynismus nahm seinen Lauf. Zum radikalen Öko bin ich heute weniger über den Klimawandel als mehr über das Insekten- und Vogelsterben geworden – auch wenn manche Forscher da einen Zusammenhang sehen und nicht allein den Insektiziden die Schuld geben, siehe unser Wochenthema. So oder so: Die Vorstellung eines Sommers ohne Summen und Brummen und Pfeifen und Zirpen finde ich todtraurig.
Was sind nun die nächsten Schritte? Beruflich: die Rolle der taz einnehmen, die schon lange nicht mehr für Ökologie steht. Persönlich: den Rohrreiniger endlich durch Backpulver ersetzen, niemals Geranien auf dem Balkon pflanzen, mehr Urlaub im Inland machen, noch mal Anständig essen von Karen Duve lesen, ja, Lesen, zugegeben, mein Bekenntnis zur Ökologie bringt anders als Jakob Augsteins Bekenntnis zum Feminismus vor allem Lektüren hervor. Jetzt lese ich gerade das wunderbare Buch H wie Habicht von Helen MacDonald. Es kam 2015 auf Deutsch raus, zu früh, um vom aktuellen Naturbuchboom zu profitieren, dann ist endlich Bruno Latours Kampf um Gaia dran (wir haben es im Freitag besprochen). Gaia, die Urmutter, die Gebärerin; was mich auf den Gedanken bringt, dass der radikale Öko naturgemäß auch ein radikaler Feminist ist, wobei ich mich hier auf dünnem Eis bewege.
Kommentare 11
ja, im sommer auf balkonien selber summen,
auf friedliche weise sich öko-bewußtsein er-lesen,
und einen kuchen statt mit back-pulver mit rohr-reiniger backen.
muß ja weg!
>>einen kuchen statt mit back-pulver mit rohr-reiniger backen<<
Guter Vorschlag. Die meist selbsternannten Ökos, manchmal gar mit Übermoral ausgestattet, kommen auf die umweltfreundlichsten Ideen, wie etwa Backpulver in den Abluss zu schütten, weil er rohrreinigende Wirkung entfachte. Man kann sich damit die Zähne damit putzen.
Dafür wanderte die Leserbriefseite in den Orkus des Freitag. Nebst einer selbstbezüglichen Kolumne der Chefredaktion können wir jetzt Fragen und Antworten von Prominenten oder Semiprominenten lesen, wie etwa diese an den Politiker der Linken Gysi: "Darf man in Ihrem Schlafzimmer rauchen?" oder "Haben Sie einen Lieblingsfisch?"
Das sind Fragen, die als ich potenzieller Wähler schon immer von Gysi und seinen Genossinnen und Genossen beantwortet wissen wollte.
Bohrer, aua.
Aber der Satz "Die Natur ist das Gesellschaftlichste überhaupt" ist gewiss von tiefer Wahrheit.
Vielleicht, damit es bei der Lektüre nicht zu straight konventionell öko wird (ich kauf auch bei REWE, fahr aber mit dem Rad hin), nochmal der Hinweis auf das von "A-Z" bereits vorgestellte Buch von Roth & Roth & F. W. Bernstein, Kritik der Vögel. Beruhigt das Gewissen nur, wenn einem Vögel manchmal auf die Nerven gehen und man sich deshalb schlecht fühlt. Und macht ansonsten ziemlich viel Spaß.
Warum muss man ein radikaler Öko sein, wenn einem die Natur am Herzen liegt? Ich bin weder speziell rot, noch grün, aber ich habe mir vorgenommen, in Zukunft (radikal?) umweltfreundlicher zu leben. Nicht weil ich ein Moralist bin. Oder anderen Menschen vorschreiben will, wie das richtige Leben geht. Es geht lediglich um Vernunft und den Willen, wirklich etwas zu verändern. Nicht die Welt. Aber mein Leben- auch und vor allem aus ökologischer Sicht. Als Richtwert gilt mir der CO2-Rechner.
Einen Grossteil der Energie werde ich selber mittels Solarzellen produzieren. Der Lebensmittelkonsum wird sich überwiegend auf lokale Produkte beschränken. Da ich in einer anderen Klimazone leben werde, muss ich auch nicht mehr heizen- aber dafür kühlen müssen. Wenn ich entsprechend baue (Isolation, Mauerstärke, Beschaffenheit des Daches usw.), ist eine Klimaanlage vielleicht gar nicht nötig. Ein eigenes Auto habe ich schon lange nicht mehr. Und so weiter. Bis auf zwei bis drei Flugreisen pro Jahr, notgedrungenermassen, will ich meinen ökologischen Fussabdruck auf Kinderschuhgrösse verkleinern. Weil ich davon überzeugt bin, dass es in Zukunft nicht mehr anders geht. Geredet haben wir langsam genug.
Guten Tag Michael Angele,
es ist Ihnen ein unterhaltsamer und einleuchtender Artikel gelungen, zu einem Thema das für uns als Lebensgemeinschaft von existenzieller Bedeutung als Lebensgrundlage geworden ist.
Mit einem etwas bitteren Nachgeschmack von unausgegorenen noch nicht zu Ende gedachten Konsequenzen des versterben der Insekten und Singvögel in unserem Land.
Geschätzter Herr Michael Angele,
da ihnen wie vielen Anderen in unserem Land das Schicksal der Singvögel und Insekten ein persönliches Anliegen ist und Sie als Stellvertretender Chefredakteur von "der Freitag", Möglichkeiten haben dieses Thema in Kindergärten, Schulen und in die Politik zu tragen wünsche ich Ihnen ein gutes gelingen ihres Vorhaben.
Alles Gute für Sie.
Ach ja
Sie sind definitiv weiter als ich ;)
Ich höre aus meinen nächsten Umfeld fiel gutes über dieses Buch!
Bleiben Sie was sie sind. Jetzt ist es eh zu spät (und ziemlich billig obendrein).
>>...den Rohrreiniger endlich durch Backpulver ersetzen...<<
Backpulver enthält Natriumhydrogencarbonat, das in Wasser eine leicht alkalische Lösung ergibt und ähnlich wie Seife fettlösende Eigenschaften hat. Das Zeug ist eigentlich spottbillig und wird von Oetker in den Portionstütchen überteuert verkauft. Ich würde mal in einer Apotheke nach Natron fragen, denn die Oetkers haben schon genug Reichtum gescheffelt.
Irgendwann wird vielleicht mal jemand monieren, dass damit zuviel Natrium ins Abwasser gelangt. Mich träfe diese Kritik nicht, weil ich Abflüsse mit einer Saugglocke freihalte. Das sind diese Gummihalbkugeln mit Stiel dran.
ja, der pümpel ist ein ökologisches instrument vom feinsten,
obwohl er nicht summt oder zwitschert.