Ich werde jetzt endlich Öko

Hegelplatz 1 Ich muss gestehen, dass ich erst am Anfang stehe und die Konsequenzen für mein Leben noch nicht überschaue. Aber ein Sommer ohne Gesumm?
Ausgabe 15/2018
Die Vorstellung eines Sommers ohne Pfeifen und Zirpen: todtraurig
Die Vorstellung eines Sommers ohne Pfeifen und Zirpen: todtraurig

Foto: Photocase/Imago

Letzte Woche hat Jakob Augstein an dieser Stelle ein flammendes Bekenntnis zum Feminismus abgelegt, da er über Garten und die Natur nicht schreiben wolle, weil ihm das nicht „gesellschaftlich genug“ sei. Was für ein Irrtum. Die Natur ist das Gesellschaftlichste überhaupt, hier eine Trennung zu machen, ist schon, sagen wir mal mit Kant, „vorkritisch“. Mein Bekenntnis lautet darum: Ich bin ein radikaler Öko! Leute, die mich etwas besser kennen, werden das vermutlich nicht ganz ernst nehmen können. Und ich muss gestehen, dass ich erst am Anfang stehe und die Konsequenzen für mein Leben noch nicht überschaue. Ich kaufe bisher ja noch nicht einmal regelmäßig in einem Bio-Laden ein. Dabei ist der Prenzlauer Berg, wo ich (nicht ganz freiwillig) wohne, voll von Bio-Ketten, vor allem die Denns-Filialen breiten sich wie Pilze aus. Aber genau deshalb gehe ich da ja nicht hin. Mit meinem Einkauf bei Rewe protestiere ich gegen den Bio-Biedermeier. Klar, ein kindisches Verhalten. Andere sind da viel weiter, im Ernst.

Man muss aber auch sehen, wo meinesgleichen herkommt: aus dunkelster Naturferne. In den achtziger Jahren haben wir uns schwarz gekleidet, die Ökos verachtet und Bücher von Karl Heinz Bohrer verschlungen, in denen ein überhebliches „der Geist formiert sich nur gegen die Natur“ formuliert wurde. Das Waldsterben beschäftigte uns schon, aber dann starb der Wald doch nicht, oder nicht ganz, und der Zynismus nahm seinen Lauf. Zum radikalen Öko bin ich heute weniger über den Klimawandel als mehr über das Insekten- und Vogelsterben geworden – auch wenn manche Forscher da einen Zusammenhang sehen und nicht allein den Insektiziden die Schuld geben, siehe unser Wochenthema. So oder so: Die Vorstellung eines Sommers ohne Summen und Brummen und Pfeifen und Zirpen finde ich todtraurig.

Was sind nun die nächsten Schritte? Beruflich: die Rolle der taz einnehmen, die schon lange nicht mehr für Ökologie steht. Persönlich: den Rohrreiniger endlich durch Backpulver ersetzen, niemals Geranien auf dem Balkon pflanzen, mehr Urlaub im Inland machen, noch mal Anständig essen von Karen Duve lesen, ja, Lesen, zugegeben, mein Bekenntnis zur Ökologie bringt anders als Jakob Augsteins Bekenntnis zum Feminismus vor allem Lektüren hervor. Jetzt lese ich gerade das wunderbare Buch H wie Habicht von Helen MacDonald. Es kam 2015 auf Deutsch raus, zu früh, um vom aktuellen Naturbuchboom zu profitieren, dann ist endlich Bruno Latours Kampf um Gaia dran (wir haben es im Freitag besprochen). Gaia, die Urmutter, die Gebärerin; was mich auf den Gedanken bringt, dass der radikale Öko naturgemäß auch ein radikaler Feminist ist, wobei ich mich hier auf dünnem Eis bewege.

Hegelplatz 1. Unter dieser Adresse können Sie den Freitag in Berlin erreichen – und ab sofort wir Sie. An dieser Stelle schreiben wöchentlich Simone Schmollack, Michael Angele und Jakob Augstein im Wechsel. Worüber? Lesen Sie selbst

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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