Angst macht ängstlich. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich litt einmal unter einer „verallgemeinerter Angststörung“. Nun scheint halb Deutschland in dieser Angststörung gefangen. Und nein: Es geht hier nicht um Sorge. Nicht um Sorge vor der Krankheit, nicht um Sorge vor der Überlastung des Gesundheitssystems. Es geht um eine Angst, die nicht mehr klar denken lässt.
Oder wie es der Schauspieler Volker Bruch sagt: „Mein Name ist Volker Bruch. Ich bin Schauspieler. Und ich habe Angst. Aber ich merke, wie meine Angst nachlässt. Und das macht mir Angst. Ein Jahr lang hatte ich durchgehend Angst. Doch diese Angst lässt jetzt nach. Und das macht mir Angst. Ich will wieder mehr Angst haben. Denn ohne Angst habe ich Angst.“
Bruch fordert deshalb die Bundesregierung auf, ihm die Angst nicht zu nehmen.
Viele finden das nicht witzig. Mehr noch: Sie finden die Aktion #allesdichtmachen, in der sich Bruchs Video findet, zynisch. „Bekannte, geschätzte Schauspielerinnen und Schauspieler kämpfen mit ekliger Ironie gegen Corona-Maßnahmen. Ich kann das gar nicht glauben. Das ist grauenhaft. Nicht nur von der Zielrichtung her, sondern vor allem in der Form“, twitterte Stefan Niggemeier.
Ernsthaft jetzt?
Niggemeier ist ein kluger, besonnener Mensch. Aber auch er kann sich eine künstlerische Aktion, ob gelungen oder nicht, offenbar nur noch als Veranstaltung von Aktivisten vorstellen, die gegen oder für „etwas kämpfen“. Kunst, ob gelungen oder nicht, setzt sich aber erst einmal mit etwas auseinander. Der Schauspieler Volker Bruch zum Beispiel mit dem Megathema Angst. Und mit der Politik der Angst. Ich vermute, dass Bruch die Maßnahmen des Lockdowns nicht für besonders sinnvoll hält. Aber er sagt es nicht. Weil er eben nicht in Aktivismus macht.
Viele halten sich nicht mehr mit solchen Differenzierungen auf. Sie finde etwas entweder gut oder schlecht. Nein, nicht schlecht (ästhetisch), sondern böse (psycho-moralisch). Böse ist #allesdichtmachen, weil es Querdenker und Leute bei der AfD gibt, die das gut finden und auch der schreckliche Hans-Georg Maaßen ist ein Fan. Ja.
Aber ich kenne auch einen linken Schriftsteller, der die Aktion gut findet. Er ist allerdings nicht auf Twitter. Ich kenne im persönlichen Umfeld überhaupt viele, die sehr viel anders denken, als es gerade den öffentlichen Eindruck macht. Aber dieses Blame-Game ist nur die Oberfläche. Es geht um mehr. Es geht, siehe oben, darum dass Angst dumm macht.
Titanic!
„Die Statements (…) strotzen vor Hohn und Zynismus. Was sie allerdings nicht enthalten: Vorschläge, wie man die Bevölkerung stattdessen vor dem Virus schützen könnte.“ Geschrieben hat das Sebastian Leber im Tagesspiegel. Ernsthaft jetzt? Vorschläge machen? Ist das nicht Aufgabe von Experten?
Zynisch empfinde ich doch eher eine Bundesregierung, die das Gesundheitssystem hat schleifen lassen, und es jetzt nicht auf die Reihe kriegt, die Bevölkerung schnellstmöglich durchzuimpfen, ja, noch nicht einmal die Traute hat, für zwei oder drei Wochen wirklich alles dicht zu machen – aber einen willkürlichen Inzidenzwert von 165 für Schulschließungen in Gesetzesform gießt, anstatt zu sagen: ‚Geht nach draußen. Macht den Unterricht dort.‘
Wer erinnert sich noch an die alte Titanic? Da wurde der Papst mit erigiertem Glied gezeigt. Die Gläubigen waren außer sich. „Zynisch“ war noch eines der freundlicheren Worte. Auch viele Titanic-Leser hatten einen Kloß im Hals. Weil auch bei ihnen ein wunder Punkt getroffen wurde. Der Kloß im Hals ist auch jetzt da. Auch bei dieser Aktion. Es muss so sein. Ich habe aber immer mehr den Eindruck, dass viele Leute das nicht wahrhaben wollen. Sie versuchen lieber, den Kloß auszuspucken, als zu fragen, woher er kommt.
Dittsche lässt grüßen
In seinen Standardwerk Kritik der zynischen Vernunft unterscheidet Peter Sloterdijk den Zynismus der Mächtigen vom Kynismus der Philosophen. Diogenes zum Beispiel: spöttisch, bedürfnislos, wahrhaft frei. Das will man einem gut verdienenden, im Kulturbetrieb fest verwobenen Schauspieler wie Jan Josef Liefers, der gerade besonders hart kritisiert wird, nun nicht gerade nachsagen, aber etwas vom kynischen Geist wohnt auch #allesdichtmachen inne.
Zum Beispiel wenn Richy Müller den Ungeist des esoterischen Spinnertums der Covid-Leugner gegen die „Maßnahmen“ selbst wendet, indem er in eine blauen Tüte ein- und in eine gelbe Tüte ausatmet. „Auf diese Art komme ich mit der Raumluft nicht in Kontakt und atme auch nicht in die Raumluft aus.“ Dittsche lässt grüßen.
Niggemeier hat übrigens recht, in der Form ist das wirklich nicht alles gelungen. Fremdschamgefühle habe ich auch. Bei Heike Makatsch zum Beispiel, die nicht mehr aufmacht, wenn es an der Wohnungstür klingelt. Inzwischen hat sich Makatsch von der Aktion distanziert: „Ich finde es wichtig, unsere nicht mehr wieder zu erkennende Welt auf irgend eine Art zu spiegeln oder zu kommentieren. Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst.“
Warum sagt Makatsch nicht einfach, dass ihr Beitrag misslungen war? Sie sagt es nicht, weil nicht nur der Ruf, sondern handfest Karrieren auf dem Spiel stehen. Immer öfter. Glauben Sie nicht? Hier, der SPD-Politiker Garrelt Duin, Rundfunkrat des WDR, twitterte: „Die zuständigen Gremien müssen die Zusammenarbeit“ mit den beteiligten Schauspierlinnen „schnellstens beenden“. Ein Berufsverbot quasi. Immerhin: Inzwischen hat sich auch Duin leicht distanziert: „Geh dann mal in mich.“
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