Das ganze Unglück des Menschen gründet darin, dass er nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermag, schrieb Blaise Pascal in seinen Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Ein, wie ich meine, zeitlos wahrer Satz, der auch dann gilt, wenn nicht vom Menschen im Allgemeinen die Rede ist, sondern von den Intellektuellen und Publizisten, die zwar häufiger in ihren Zimmern anzutreffen sind, aber dort offensichtlich nicht ruhig bleiben können, sondern in höchste Erregung geraten, wenn sie an Angela Merkel, den impertinenten Kollegen (Richard David Precht! Dieser Kretin) oder an DIE GEFAHR und DAS UNRECHT denken und sich in abenteuerliche Aufgaben zur Abwehr dieser Gefahr und zur Beseitigung jenes Unrechts imaginieren.
Nun ist unstrittig, dass d
unstrittig, dass das intellektuelle Feld momentan durch eine schrille Inszenierung von „Kulturkämpfen“ geprägt ist, in denen laufend Positionen markiert werden (müssen). Aktuelles Beispiel: Ulrich Greiner in der Zeit mit seinem Essay „Vom Recht, rechts zu sein. Gedanken eines heimatlosen Konservativen“.Greiner bleibt vergleichsweise nüchtern, wenn er seine Leser davon in Kenntnis setzt, dass er nun erst einmal „beobachten“ werde, wohin die Parteien im „Fluss der Gegenwart“ schwimmen. Beobachten, würde man meinen, ist das, was Leute wie Greiner oder der Verfasser dieser Zeilen von Berufs wegen nun mal tun und was ergo ihrer Selbstbeobachtung und -beschreibung entspricht. Ist es aber nicht. Man staunt nicht schlecht, wer unter dem Druck aktueller Krisen so alles zum Widerstandskämpfer mutiert.Entscheidende FragenAlexander Kissler ist leitender Redakteur der Zeitschrift Cicero. Mit seiner rabiaten Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik gilt er vielen als eine Art publizistischer Flankenschutz der AfD und als Symbol für einen Rechtsruck in den Medien, den man zu beobachten glaubt. Ob die Beobachtung einer empirischen Überprüfung standhielte, wage ich zu bezweifeln, sie scheint vor allem „gefühlt“, eben dadurch, dass sich Protagonisten wie Kissler lautstark radikalisierten, was bei ihm wiederum besonders deutlich wurde an seinem intensiven Twittern, das man in Anlehnung an Ernst Jünger als ein „Stahlgetwitter“ bezeichnen könnte, Tweets zu Merkels verbrecherischen Flüchtlingspolitik folgten quasi im Minutentakt.In einer seiner jüngsten Einlassungen auf cicero.de wurden unverhohlen völkische Denkmuster deutlich. „Sind wir Zeuge einer demokratisch nicht gedeckten, fundamentalen Veränderung des Staatsvolkes? Treibt Merkel diese offensiv voran? Und wer hätte das Recht und die Pflicht, ihr in die Speichen zu greifen?“, formulierte Kissler als die „entscheidenden Fragen dieses Jahres“. Vor allem die letzte Frage erschließt sich nicht jedem. Denn sie enthält ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer, dem exponiertesten Vertreter der Bekennenden Kirche, der noch im April 1945 von den Nazis hingerichtet wurde.QuerfrontDas Zitat lautet vollständig: „Wenn ein Betrunkener Auto fährt, dann genügt es nicht, das Opfer zu verbinden, man muss dem Rad selbst in die Speichen greifen!“ Mit dem Betrunkenen meinte Bonhoeffer natürlich Adolf Hitler. Mal abgesehen von der enormen Geschmacklosigkeit, ein auf Hitler bezogenes Zitat auf Merkel umzumünzen: Wie kommt es in einen solchen Text? Wie kann man einen Assoziationszusammenhang zwischen deutscher Diktatur, Widerstand und der Situation von 2016 erstellen? Ist das nicht einfach Irrsinn?Es ist jedenfalls kein Einzelfall. Jürgen Elsässer, Chefredakteur der Zeitschrift Compact und Querfront-Denker, nannte Justizminister Heiko Maas jüngst bei einer Veranstaltung in Thüringen den „neuen Reichsjustizminister“. Nachzulesen in einer Reportage ebenfalls aus der Zeit, in der auch eine Stimme aus dem Publikum zitiert wird. „Ein älterer Herr mit Brille (…) regte an, die Kanzlerin nach Paragraf 6 Völkerstrafgesetzbuch anzuklagen, wegen Genozid am eigenen Volk.“Ob der ältere Herr sich auch in den Kommentarspalten des Cicero äußert, ist nicht bekannt. Aber wer einen Eindruck gewinnen will, wie radikal ein Teil dieses „Volks“ denkt, dem sei die Lektüre ebendieser Kommentare empfohlen, die sich unter jeden noch so differenzierten Artikel, und die gibt es im Cicero durchaus, reihen. Kommentiert wird bei voller Namensnennung, ein konspiratives Vorgehen scheint also nicht unbedingt nötig. Und doch fasziniert das Konspirative offenkundig. Ein Bonhoeffer-Zitat in einen Text zu „schmuggeln“, ist ja selbst ein kleiner verschwörerischer Akt: ein Codewort. Für die, die zu lesen verstehen.Vorbild Ernst JüngerAn wen richtet es sich? Die Antwort kann hier nur skizziert werden. Der konservative deutsche Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror fasziniert die deutschen Rechtsintellektuellen schon länger. Nach der Wende begann man in den neuen Bundesländern den Schriftsteller Ernst Jünger (1895–1998) zu entdecken, der zwar nicht direkt zu den Verschwörern um Graf Claus von Stauffenberg gehörte, aber 1939 mit Auf den Marmorklippen eine mutige Parabel auf die Verbrechen des Dritten Reichs geschrieben hat.Auch persönlich ließ der Autor von In Stahlgewittern an seiner Haltung gegen die Nazis keinen Zweifel. Ein Weltkrieger, ein soldatischer Mann, der seinen Mut und seine Ideale gegen den Verbrecherstaat in Stellung brachte, das war die perfekte Mischung für viele junge, oft in der DDR aufgewachsene Männer, bei denen allein die Worte „links“ oder „emanzipiert“ einen Brechreiz auszulösen schienen, die aber an Pathos und Ethos von „Widerstand“ partizipieren wollten.Die BRD hatte Jünger in provinzieller Abgeschiedenheit verlebt; im Forsthaus der Stauffenbergs im schwäbischen Wilflingen stilisierte er sich zum „Waldgänger“, später zum „Anarchen“, zu einer halb poetischen, halb weltanschaulichen Existenz, die entschlossen ist, „Widerstand zu leisten“, welcher Art auch immer, und in deren Schatten sich noch ein Botho Strauß bewegt.Und nicht nur er. Was erst in kleinsten Zirkeln, etwa um die ehemalige Schülerzeitung Blaue Narzisse aus Chemnitz oder um das rechtsintellektuelle Magazin Sezession, aber auch im Umfeld der Jungen Freiheit gepflegt wurde, wuchs nun in die Breite, Avantgarde wurde massentauglich. Mit der merkelschen Flüchtlingspolitik bekam die vage Rede vom „Widerstand“ klare Konturen. Und wirkte dadurch mobilisierend.Innere EmigrationAblesbar wird das gewachsene Interesse an einer Tagung, die das „Institut für Staatspolitik“ in diesem Januar auf einem Rittergut in Sachsen-Anhalt durchführte. Das Institut war um die Jahrtausendwende von Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek gegründet worden, vor allem Kubitschek, Verleger des Antaios-Verlags, gilt als Vordenker der Bewegung, sein Institut könnte er getrost als Thinktank der Neuen Rechten bewerben, stünde man Anglizismen in seinen Kreisen nicht eher ablehnend gegenüber.„Widerstand“ lautete das Thema der Tagung, es zog 130 Teilnehmer an. Der Stauffenberg-Kreis war natürlich ebenso ein Sujet wie Ernst Jünger, der sich wiederum in einer Reihe mit den Aufständischen des 17. Juni, aber auch mit Ulrich Plenzdorf und sogar Christian Kracht wiederfand. Letzterer, so ist einem Tagungsbericht zu entnehmen, gilt als Vorbild „einer antimodernen Widerständigkeit“, die man als den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Widerstandsformen bezeichnen könnte.Besonders intensiv wurde das Verhältnis von innerer Emigration und offenem Widerstand diskutiert, was einiges über die aktuelle Bewusstseinslage sagt. Und große Beachtung fand schließlich auch ein Vortrag des Juristen Thor von Waldstein (kein Pseudonym): „Wir Deutsche sind das Volk. Zum politischen Widerstandsrecht der Deutschen nach Art. 20 IV Grundgesetz in der ‚Flüchtlingskrise‘“.Sicher, manches an diesem „Widerstand“ erinnert weniger an Stauffenberg als mehr an eine rechte Form von zivilem Ungehorsam, oder wenn man so will: von unzivilem Ungehorsam. Und nicht alles bleibt in Studierzimmern und Ritterburgen. So wirkt eine Sezessions-Serie über konkrete Formen des Widerstands von Kubitschek aus dem vergangenen Herbst wie das „Drehbuch für die Busblockade“ von Clausnitz (Süddeutsche Zeitung). Was aber die Kopfgeburten anbelangt: Da stellt sich dann doch die Frage, ob die Entwicklungen in der europäischen Flüchtlingspolitik den Widerstandskämpfer im deutschen Publizisten überhaupt noch verlangen.
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