Invisible men

Hegelplatz 1 Wir Kreisliga-Fans sind die übersehene Macht im Land
Ausgabe 33/2019
Eines Tages werden sie von der Tribüne aus den Kommerz stürzen. Oder von der Bank
Eines Tages werden sie von der Tribüne aus den Kommerz stürzen. Oder von der Bank

Foto: Imago Images/Sebastian Wells

Ein paar Ergänzungen zum Wochenthema. Einige von uns Freitag-Leuten spielen einmal pro Woche Hallenfußball in Berlin-Lichtenberg. Die Mannschaft hat keinen Namen, das Geld wird vor Ort eingetrieben, ein Doodle gewährleistet den Spielbetrieb, altersmäßige oder andere Beschränkungen gibt es nicht. Wir bewegen uns somit auf der untersten Stufe des Amateurfußballs. Über unsereiner gibt es keine Zahlen, man darf aber mit Millionen rechnen. Dazu kommen die 2.292.624 Spielerinnen und Spieler, die in einem vom DFB organisierten Betrieb spielen, weitaus die meisten sind Amateure, nur etwa 1.500 Spieler verdienen mit Fußball ihr Geld. Dennoch ist die Rede allermeistens nur von den Profis, und selbst bei den Profis geht das allergrößte Interesse in die Bundesliga, und da wiederum zieht eine Causa wie der wohl geplatzte Wechsel von Leroy Sané zu den Bayern gefühlt neunzig Prozent der Aufmerksamkeit auf sich. Und auch wir sprechen nach dem Spiel an der Bar über diesen verrückten Transferzirkus oder schauen uns ein Profi-Spiel auf dem Screen an.

Wenn nichts anderes kommt, darf es auch die Begegnung FC Vaduz gegen Eintracht Frankfurt in der Euroliga-Qualifikation sein, übertragen von, äh, muss grad nachschauen, gibt ja so viele Anbieter, also: Nitro TV, die wir mit vielen Bemerkungen kommentieren. Gespräche über den Amateurfußball finden nicht statt. „In der FuWo habe ich gelesen, dass sich die Nord-Weddinger mit einem Südtiroler verstärkt haben.“ „Ist ja ein Ding! Wo hat der denn gespielt? „Der Ortler? Beim SV Schludern.“ Ein solcher Dialog wäre in Berlin überall möglich, wo Fußballer zusammensitzen (denn dieser Wechsel hat stattgefunden), ist aber unvorstellbar. Zu befürchten ist, dass er noch nicht einmal bei den Spielern von Nord-Wedding groß ein Thema ist. Es interessiert nur „big business“, und das gilt sogar für ansonsten kapitalismuskritische Menschen. Es ist, als würden Hunderttausende Schriftsteller Bücher schreiben, die keiner liest, noch nicht einmal sie selbst, weil sie in ihrer Freizeit doch lieber HBO-Serien gucken.

Na ja, ganz stimmt es nicht. Ich verfolge die Spiele der SG Nordring. Sie spielt in der Kreisliga B, und klar, ich gehe da auch hin, weil ihre Heimstätte um die Ecke ist. Aber ich genieße diese Spiele, bin immer wieder erstaunt, wie man auch auf diesem Niveau kühne Dribblings oder schöne Flanken bewundern kann, manchmal ist mein Sohn dabei, dann kann ich mich austauschen, sonst ist es ein stiller Genuss, aber ich bilde mir ein, dass ich nicht alleine bin. Wir sind wie Wolfgang-Petry-Fans, keiner spricht über uns, keiner schreibt über uns, aber wir sind so viele, dass wir in der Lage wären, das maßlos gewordene Megabusiness einzudämmen. Im Prinzip jedenfalls.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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