Metoo Die „Zeit“ hat den Galeristen Johann König als Grapscher vorgeführt. Zu Recht? Bei genauer Lektüre zeigt der Artikel vor allem die Schwierigkeiten von Journalismus, wenn kein Raum für Ambivalenzen mehr bleibt
Aus Angst vor Konsequenzen wollen viele Betroffene nicht an die Öffentlichkeit gehen – Johann König schweigt zu den Vorwürfen
Foto: Nikita Teryoshin
Der einundvierzigjährige Galerist Johann König veröffentlichte 2019 eine Autobiografie, in der zwei Motive dominierten: sein sagenhafter Aufstieg in der Berliner Kunstwelt und eine starke Sehbehinderung, die eng mit diesem Aufstieg verschränkt ist, weil sie einerseits seinen Ehrgeiz antrieb und ihm andererseits Grenzen setzte; so gehörten bis zu einer erfolgreichen Hornhauttransplantation keine Maler zu seinen Klienten, die er zu Stars machte, später kam dann Katharina Grosse hinzu, von der es heißt, sie habe die Malerei quasi neu erfunden.
Nur am Rand lässt sich der Blinde Galerist über ein drittes Motiv aus, das seit einem Artikel im Feuilleton der Zeit vom 1. September im Begriff ist, Königs Erfolg zu zerstören und den Umgang mit sei
kel im Feuilleton der Zeit vom 1. September im Begriff ist, Königs Erfolg zu zerstören und den Umgang mit seiner Sehbehinderung ins Zwielicht setzt: „Ich hatte Affären und war auch in den Phasen, in denen (ich mit einer Freundin) zusammen war, kein besonders guter Freund. Ich habe bis heute das Gefühl, dass ich Defizite habe, was meine emotionale Kompetenz angeht. (…) Darauf bin ich nicht stolz“, heißt es in der Autobiografie, die in wenigen Tagen in einer Laune des Schicksals als Taschenbuch auf den Markt kommen wird.Diese knappe Selbstbeschämung, wie sie das autobiografische Genre seit Rousseaus Confessions auszeichnet, lässt eine Leerstelle, die von der Zeit nun gewissermaßen gefüllt werden sollte. „Hat der bekannte Berliner Galerist Johann König Frauen belästigt und gedemütigt?“, fragt der Vorspann des Artikels und setzt mit einem literaturträchtigen Satz ein: „Gerüchte gibt es seit Langem.“Ein anonymer BriefDas erinnert an Philip Roths Meisterwerk Der menschliche Makel, das den tiefen Fall des schwarzen Literaturprofessors Coleman Silk erzählt, ausgelöst durch einen anonymen Brief: „Jeder weiß, dass Sie eine misshandelte, analphabetische Frau, die halb so alt ist wie Sie, sexuell ausbeuten“, lautet dessen Inhalt. Schnell stellt sich heraus, dass das sexuelle Verhältnis der beiden einvernehmlich ist und Urheberin des anonymen Briefs eine missgünstige Kollegin des Professors, aber es hilft nichts, er ist gebrandmarkt: „jeder weiß, dass ...“Auch im Fall König spielt ein anonymer Brief eine zentrale Rolle. Er kursierte vor drei Jahren in der Szene und wurde an „wichtige Personen der Kunstkritik“ verschickt. „5 Frauen und noch mehr“ gaben damals an, König habe sie belästigt und seine „Hilfe gegen Sex angeboten“. Wer ihn geschrieben hat, sei nicht geklärt. Aus anonymen Briefen, deren Urheberschaft „im Dunkeln“ liegt, zu zitieren, ist presserechtliches Harakiri, aber was soll’s, wird man sich bei den Kollegen gesagt haben, jeder weiß es ja, „auch die Zeit kennt die Vorwürfe seit rund drei Jahren“.Diesem on dit sind Luisa Hommerich, Anne Kunze und Carolin Würfel nachgegangen und haben „mit insgesamt zehn mutmaßlich betroffenen Frauen sowie mehreren Zeugen gesprochen“. Was sie recherchiert haben, wird sehr vorsichtig aufgeschrieben. Hier ein „mutmaßlich“, da ein „behauptet eine Zeugin“: Den Formulierungen riecht man den Angstschweiß möglicher Klagen an.Die MeToo-BerichterstattungIch finde diese Entwicklung nicht gut. Einerseits ist diese Klagewut die Folge einer Verrechtlichung von Intimbeziehungen, vor der schon die grand old dame der Gerichtsreportage, Gisela Friedrichsen, gewarnt hatte, andererseits haben juristische Winkelzüge schon manchen echten Skandal unter der Decke gehalten, man denke nur an Cristiano Ronaldo und dessen mutmaßliche Vergewaltigung, weil der Anwalt der Klägerin „entwendete Dokumente“ zur Beweisführung verwendet hat, wird es nicht zur Verhandlung kommen ...Aber wie steht es mit dem Fall König? Wie ist er in der MeToo-Berichterstattung einzuordnen? MeToo, so könnte man sagen, soll sich um Fälle kümmern, in denen überwiegend Männer ihre Macht überwiegend gegenüber Frauen missbrauchen, aber nicht unbedingt gegen geltendes Recht verstoßen haben. Daraus ergibt sich ein Spektrum, das vom verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein über Harvey Weinstein bis zu Dieter Wedel und Julian Reichelt reicht. Die beiden Letzten betrieben Machtmissbrauch mit beruflich Abhängigen, wurden aber rechtlich nicht belangt, dafür eben durch die Öffentlichkeit sanktioniert.„Wenn das, was die Frauen erzählen, stimmt, hat König keine Kapitalverbrechen begangen“, konstatiert die Zeit im eben skizzierten Kontext mehr als flapsig. Die Schilderungen vermitteln den Eindruck eines Mannes, der öfter übergriffig wurde, seine Grenzen nicht kannte. Ein Grapscher, hätte man früher gesagt. „Er hat sich so eng an mich gedrückt, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte“, behauptet eine von den Frauen, die dort waren.Die kolportierte Szene stammt von einer Party, die ein Kunstmagazin 2017 in Paris veranstaltet hatte. Die härteste Episode beschreibt physische Gewalt, die den Versuch einer Vergewaltigung impliziert. „Als sie auf die Toilette ging, habe sie gesehen, wie Johann König versucht habe, eine Frau gewaltsam in eine Kabine zu drängen. ‚Es wirkte, als wollte er sie dorthin zum Sex schleppen‘, sagte sie.“Es ist gewiss nicht in Ordnung, jemanden auf eine Toilette zu drängen, aber annäherend 99 Prozent gemeinsamer Toilettengänge während einer „Kunstparty“ dienen nicht sexuellen Akten, sondern der Einnahme von Kokain. Es könnte also sein, dass sich die Zeugin in Königs Motiv getäuscht hatte.Placeholder image-1Auch wenn König in einer Stellungnahme, die die Berliner Zeitung abgedruckt hat, praktisch sämtliche Details der Schilderungen bestreitet, räumt er doch ein, dass sich „Frauen oder auch Männer von mir bedrängt gefühlt“ haben könnten. Er bringt es in Zusammenhang mit seiner Blindheit, die ihn oft distanzlos wirken lasse und durch „Nachtclubatmosphäre, überfüllte Räume, Alkohol, Dunkelheit“ verstärkt wird.Compliance-RegelnZu Recht macht die Zeit auf einen wichtigen Punkt aufmerksam, der dieser minderen Schwere der Übergriffe entgegenläuft: die Abhängigkeit der Betroffenen. Von zwei Zeuginnen wird behauptet, dass sie „beruflich abhängig“ von respektive „beruflich verbunden“ mit König waren. Ich habe bei Johann König und bei den Autorinnen nachgefragt, um welche Art der Abhängigkeit es sich handelt.Johann König wollte nicht antworten, er beantworte zurzeit prinzipiell keine Presseanfragen, ließ er mitteilen. Luisa Hommerich schreibt mir dagegen, dass die eine Zeugin in einer Pariser Galerie gearbeitet habe, die andere sei eine nicht näher definierte "Geschäftspartnerin" von König gewesen.Es fällt in der Tat auf, dass in dem Artikel keine Künstlerinnen oder Mitarbeiterinnen des Hauses zitiert werden. Der Frauenanteil unter den KünstlerInnen beträgt rund fünfzig Prozent, vier von fünf Schlüsselstellen in der Galerie werden von Frauen besetzt, geführt wird sie von König gleichberechtigt mit seiner Frau Lena König.Nun lässt sich einwenden, dass wir uns hier in einem kulturellen Feld bewegen, in dem Abhängigkeiten nicht an den Mauern einer Galerie enden und Arbeit und Freizeit nicht genau zu trennen sind. Aber wie darauf reagieren? Will man Compliance-Regeln für After-Work-Partys? Und bis es so weit ist mit weiteren „Outings“ aufwarten? Oder reicht es einfach zu abwarten, bis irgendwann einmal alle von sich aus kapiert haben, dass ein „Nein ein Nein“ ist?Schwache Opfer?Der Artikel hat eine Vorgeschichte. Vor fünf Jahren hatte die Zeit schon einmal über Sexismus in der Kulturszene berichtet. Autorin war auch damals Carolin Würfel. Sie nannte die Namen der Männer nicht, aber es wurden Andeutungen gemacht wie: „der Galerist, der seine Hände nicht bei sich lassen kann“. Und es wurde gedroht: „Wir haben die Namen.“ Drohgesten sind nie schön, gewinnen aber an Akzeptanz, wenn die Opfer als schwach wahrgenommen werden.Sind sie wirklich noch so schwach? Ich bezweifle es. Zwar muss man ernst nehmen, wenn Luisa Hommerich schreibt, dass viele Zeuginnen aus „Angst vor Konsequenzen“ nicht an die Öffentlichkeit gehen wollten und deswegen in dem Aritkel nicht vorkämen, denn natürlich befinden wir uns in einem Machtgefälle.Aber unübersehbar ist doch, dass sich der Wind gerade dreht. Die Opfer sind selbstbewusst geworden, das ist an sich gut so. Sie haben nun die Macht, die Dinge zu ändern.Aber gehen sie verantwortungsvoll mit dieser Macht um? „Wie geht der Galerist mit den Anschuldigungen um, die das Zeug haben, seine Karriere zu beschädigen, möglicherweise sogar zu zerstören, und die schon lange in der Kunstszene kursieren?“ Die Frage entlarvt das Wissen um die neue Macht der Opfer, tut aber so, als würde sie auf neutralem Boden gestellt. Das ist Unsinn. Die Zeit suggeriert, dass sie den Vorgang einfach nur berichten würde. In Wahrheit wurden die „Anschuldigungen“ für den Galeristen aber nur deshalb existenzbedrohlich, weil sie öffentlich gemacht wurden – durch die Zeit.Druck machenDie Gerüchte, die schon „lange in der Kunstszene kursierten“, schadeten König nicht, das tun Gerüchte nie. Ein Schaden setzt erst durch ihre Verschriftlichung ein, hier erst der anonyme Brief und jetzt der Zeitungsartikel, der in den sozialen Medien einen Prozess in Gang setzte, der mit Shitstorm ungenau beschrieben ist. „Eklig, wer den König jetzt noch stützt“, konnte man da lesen, dazu wurden Künstlerinnen und Künstler der Galerie für jeden ersichtlich adressiert, „getaggt“. So entsteht Druck.Flankiert wurde die Aktion durch Bildchen, die den Galeristen mit dem Horrorpaar Maxwell / Epstein zusammenmontierten oder sich höhnisch über seine Blindheit ausließen. Der Künstler Christian Hoosen malte den Galeristen in einer kleinen Serie mit erigiertem Penis. „So tanze ich! Es tut mir leid.“Wer da noch zu König hält, muss ein starkes Rückgrat haben.Aber hat Johann König diese Strafe nicht verdient und muss sie nicht durch öffentliche Beschämung erfolgen, weil er strafrechtlich nicht belangt werden kann? Die Intention des Artikels scheint zu sein, diese beklemmende Frage an uns Leser und Leserinnen zu delegieren. Er funktioniert wie ein Gerichtsprozess.Das letzte Wort in diesem Prozess hat der Galerist, gleichsam Anwalt in eigener Sache. „Er sagte, er finde es toll, dass jetzt über Übergriffe und sexuelle Belästigung gesprochen werde“, erinnert sich eine der Autorinnen an eine Veranstaltung mit ihm. „Er würde so etwas niemals tun, weil er ja blind sei. Königs Sehfähigkeit ist seit einem Unfall im Kindesalter stark eingeschränkt. Er selbst, fuhr König der Journalistin gegenüber fort, fördere Frauen. Und dann nahmen seine Worte eine überraschende Wendung. Viele Frauen, sagte er, würden sich ihm an den Hals werfen, ihm unmoralische Angebote machen, ihm sogar Nacktbilder zeigen. Er wisse nicht, wie er damit umgehen solle. Er, Johann König, fühle sich bedrängt.“Kaum Raum für AmbivalenzenIch sehe gerne amerikanische Gerichtsfilme. Hier kommt alles darauf an, die Geschworenen zu überzeugen, denn sie fällen am Ende das Urteil. Wir Leserinnen und Leser des Artikels sind diese Geschworenen. „Er, Johann König, fühle sich bedrängt.“ Der Täter als verfolgte Unschuld – das Schlussplädoyer des Angeklagten, das ihn entlasten soll, enthält zugleich seinen Schuldspruch. Das muss man erst mal hinkriegen.Der Artikel ist Ausdruck einer allgemeinen Tendenz. Unsere Gesellschaft lässt in stark moralisch besetzten Themen und öffentlich kaum noch Ambivalenzen zu (in privaten Gesprächen sieht es meistens anders aus), befödert durch einen journalistischen Aktivismus, der anscheidend keine Skrupel und Zweifel kennt.Keine Frage, Menschen werden durch Strukturen und Hierarchien bestimmt und verbogen, sie sind aber selten einfach nur Opfer oder Täter. Menschen tun Dinge, die nicht gut sind, aber nicht gesehen werden, oder sie tun Dinge, die gut sind, nur um gesehen zu werden.Kann ein Blinder seine Blindheit, unter der er primär leidet, auch ausnutzen? Ist das denkbar? Ja, ist es. Kann eine künstlerisch begabte junge Frau ihre Attraktivität auch ausnutzen, um ihre Karriere zu fördern? Auch das ist denkbar, all das gibt es, all das ist der menschliche Makel.