Mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren möchte Charlie Hebdo den deutschen Markt erobern. Es gibt ein paar Sonderseiten, den Hauptteil machen Übersetzungen der französischen Ausgabe aus. Minka Schneider (der Name ist ein Psuedoynm), die in Deutschland aufgewachsene, schon lange in Paris lebende Chefredakteurin der deutschen Ausgabe, ist zuversichtlich, dass der Plan aufgeht.
der Freitag: Frau Schneider, es gibt ja schon deutsche Satirezeitschriften, ich denke an „Titanic“ und „Eulenspiegel“. Wo positioniert sich „Charlie Hebdo“?
Minka Schneider: Wir sind eigentlich gar keine Satirezeitschrift, das Wort hat sich zwar in Deutschland eingebürgert, aber es trifft es nicht. Wir sind kein Magazin, sondern eine Zeitung. Sowohl haptisch wie optisch als auch darin, wie das Heft entsteht. Wir greifen aktuelle Nachrichten aus Umwelt, Wirtschaft, Kultur auf. Es gibt Rubriken. Viele deutsche Leser werden vermutlich erstaunt sein, wie viel Text es gibt.
Und die Zeichner?
Die verstehen sich schon als Karikaturisten, aber nicht nur. Sondern auch als dessinateurs de presse, als Pressezeichner. Wir haben keine Marktforschung gemacht und uns nicht gefragt, wo unsere Nische ist. Nach den Anschlägen vom Januar 2015 gab es einfach in Deutschland ein besonders großes Interesse an Charlie, und ich hoffe, dass es in Deutschland Leute gibt, die bereit sind, diese kleine intellektuelle und interkulturelle „Hirnakrobatik“ anzustellen.
Und bereit sind, französische Themen zu beackern?
Ja, aber etwas daraus ziehen wollen. Und man kann mit uns ja auch auf Deutschland gucken, mit dieser typischen Charlie-Art. Charlie hat sich verändert, die Themen sind internationaler geworden, nehmen Sie die Eurokrise. Wir schauen öfter über die Grenzen, zum Beispiel beim Brexit. Jetzt haben wir die Vorwahlen der Konservativen, und da ist der Blick ins Innere natürlich momentan wichtig für uns. Nach dem Trump-Schock: Keiner ahnt, wer am Ende die Wahl gewinnt, aber nun fürchten viele, es könnte Marine Le Pen sein.
Wir haben Angela Merkel. Und wissen jetzt: Sie wird wieder als Kanzlerin kandidieren. Was wäre hier die typische „Charlie“-Art der Kommentierung?
Das können Sie in der ersten Ausgabe sehen! Ich will nicht zu viel verraten, aber hier hat unser Blick etwas Direktes. Unsere Texte sind intellektuell, aber der Humor erscheint mir oft nicht so verkopft wie in Deutschland, er ist eher handfest, burschikos, spontan, manchmal auch gaga.
Sie werben ja auch mit Merkel. Die Kanzlerin sitzt auf dem Klo und liest „Charlie“. Dazu steht auf Deutsch: „Wirkt befreiend.“ Das ist, wie soll ich sagen …
... in Deutschland sagt man doch: politisch korrekt. Das wollen wir nicht sein. Das gilt für Religion, Politik, Gesellschaft. Die deutsche „Lügenpresse-Debatte“ wird vielleicht auch dadurch befeuert, dass bei Ihnen die Dinge nicht so schonungslos dargestellt werden, wie wir das tun.
Wie meinen Sie das? Ein Beispiel: Lange hieß es von deutscher Regierungsseite, es sei auszuschließen, dass sich unter die Geflüchteten auch Dschihadisten mischen oder Geflüchtete zu solchen werden. Wir wissen heute, dass das blauäugig war. Ein Thema für „Charlie“?
Es gab ja die Zeichnung mit dem toten Flüchtlingsjungen am Strand, die kennen Sie sicher.
Was hat das damit zu tun?
In einer Variante wird gefragt, was aus Aylan geworden wäre, wenn er groß ist. „Arschgrabscher in Deutschland“ war eine Antwort. Die Problematik ist da. Nicht durch uns, sondern weil manche Menschen so denken.
„Schluss mit der politischen Korrektheit“, forderte die „Titanic“ in der aktuellen Ausgabe, als „Lehre aus Trump“. Damit wird sarkastisch darauf verwiesen, dass das „Ende der Tabus“ primär aus einer bestimmten politischen Ecke gefordert wird. Wie reagiert „Charlie Hebdo“ auf dieses Problem?
Wir nehmen keine politischen Positionen ein, wir stellen uns nicht in das eine oder andere Lager. Bei Charlie galt von Anfang an, dass alle Seiten ihr Fett wegbekommen. Wir wollen nicht tendenziös sein. Hollande und Fillon sind beides Figuren, über die man sich lustig machen kann, Hollande soll übrigens privat ein humorvoller Mensch sein, zumindest liest er uns seit Jahren.
Jetzt mal Klartext. In Deutschland gibt es aus sehr guten Gründen eine hohe Sensibilität im satirischen Umgang mit Juden. Das führt dazu, dass viele Muslime sagen, mit uns könnt ihr es ja machen, mit den Juden nicht. Wie sehen Sie das?
Da brauchen Sie sich nur die eine oder andere Titelseite von Charlie anzuschauen. Nicht zuletzt die Jubiläumsausgabe in letzten Jahr, als es darum ging, dass die Mörder weiter unter uns sind. Und da wurde eine Figur dargestellt, die die Züge aller Religionen trägt.
Das meine ich nicht. Das klingt mir etwas zu weichgespült, ich stelle mir dann zum Beispiel einen radikalen jüdischen Siedler in gleicher Weise wie einen Dschihadisten karikiert vor, mit den Attributen seiner Religion. Und ebenso überzeichnet.
Darüber mache ich mir, ehrlich gesagt, keine Sorgen. Wenn uns etwas frappiert, dann machen wir das. Für uns gilt: Nicht die Zeichnungen sind blamabel, sondern die Situation hinter den Zeichnungen. Die Welt gibt uns die Themen vor, nicht die Gefühle der Betroffenen. Der Charlie-Blick will eine Szene so überziehen, dass dem Betrachter buchstäblich das Lachen im Halse stecken bleibt und ihm klar wird, wie grotesk und schlimm die Situation in der realen Welt ist.
Ein weiteres heißes Thema in Deutschland ist Identitätspolitik, Kampf gegen Rassismus, gegen Sexismus, Kampf für die Rechte der Minderheiten. Ich kenne Ihre Zeitung zu wenig, um zu sagen, wie sich diese Debatten in „Charlie“ spiegeln.
Oh, gerade diese Woche kommt ein sehr feministischer Text. Das Thema ist sehr präsent: Gewalt gegen Frauen.
Satirisch zu betrachten wäre ja nicht die Gewalt, die nur verachtenswert ist, satirisch wirkt manchmal eher, wie der Kampf gegen die Gewalt geführt wird. Hat man in Frankreich den Fall Gina-Lisa Lohfink verfolgt?
Ich persönlich ja.
Der Fall hatte doch ein krass satirisches Potenzial, das von den Anwälten über das „Team Gina-Lisa“ bis zur Frage reicht, was Jérôme Boateng eigentlich in dieser Geschichte verloren hat. Aber da traute sich keiner ran. Schade, fand ich. Kann ich da in Zukunft auf „Charlie“ hoffen?
Kann ich an unsere Zeichner weitergeben. Also könnte ich weitergeben, der Fall ist ja nun durch. Charlie ist auf eine Art frei, die in Deutschland unbekannt ist. Da geht man ja immer gleich mit der Frage ran, „was kann man sagen, was kann man nicht sagen“. Charlie muss sich diese Fragen nicht stellen. Wir haben keine Schere im Kopf. Wir haben nun einmal diese direkte und recht radikale Sichtweise.
Kann man sagen, dass sich nach dem Massaker in der „Charlie“-Redaktion diese Fragen gar nicht mehr stellen? Dass die Zeitung, im guten Sinne, noch rücksichtsloser geworden ist?
Nein, da würde ich keinen Zusammenhang herstellen wollen.
Lange Zeit hat sich Satire sehr mit der Frage „Die da oben, wir da unten“ beschäftigt. Satire ist geradezu aus der Wahrnehmung von sozialer Ungleichheit heraus entstanden. Heute ist das zwar ein Debattenthema, aber kaum Gegenstand der Satire. Auch bei Ihnen nicht?
Ich würde das Thema auch bei uns eher in den Texten verorten. Dort allerdings sehr stark. Diese Woche kommt gerade wieder eine Reflexion über die wachsende soziale Ungleichheit.
In der ersten hiesigen Ausgabe soll es eine Deutschland-Reportage Ihres Chefs, Laurent „Riss“ Sourisseau, geben, da kommt das Thema dann wohl vor.
Ja, aber was ich jetzt meine, sind keine Reportagen, sondern etwa die Rubriken Ausland, Wirtschaft. Die ökonomischen Modelle von Emmanuel Macron, bis vor kurzem Wirtschaftsminister, wurden bei uns zum Beispiel stark diskutiert. Das wird jene Leser überraschen, die davon ausgehen, dass sie die Zeitung aufschlagen und sich erst mal totlachen können. Und was die Leser bei den Reportagen überraschen wird: Sie lassen die Menschen zu Wort kommen, und die Zeichner beobachten genau, denn sie zeichnen vor Ort. Das kennt man in Deutschland seit Heinrich Zille nicht mehr.
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