Kennen Sie das Gefühl? Man regt sich furchtbar auf und regt sich zugleich darüber auf, dass man sich so aufregt. Mir scheint, dass unsere Erregungs- und Empörungsgesellschaft an diesen Punkt gekommen ist. Man will runterkommen, weiß aber nicht, wie das geht.
Die Mediengesellschaft bräuchte eine Verhaltenstherapie – oder, sagen wir kostengünstiger: eine Verhaltenslehre. Man sollte sie als Büchlein an die Bevölkerung verteilen, das man immer dabeihaben kann (ja, als Büchlein, nicht digital!, erste Lehre). Als ich studierte, wurde ein solches rund zweihundert altes Vademecum hoch gehandelt: Baltasar Graciáns Handorakel und Kunst der Weltklugheit. „Daher zieht der Kluge sich zurück in das Heiligthum seines Schweigens: und läßt er ja sich bisweilen aus; so ist es im engen Kreise Weniger und Verständiger“, heißt es da zum Geschwätz am Hof. Ein solcher mönchischer Rückzug fiele heute enorm schwer. Die Latte für mediale Askese dürfte gerade für die jüngeren Generationen, die mit den sozialen Medien wie verwachsen sind und zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten kaum noch unterscheiden können, zu hoch liegen.
Man muss andere Wege finden, runterzukommen. Wie das gehen könnte, sei am Fall Sarah-Lee Heinrich skizziert. Das Beste wäre womöglich, der Name sagte Ihnen bis eben gar nichts. Aber dazu müssten Sie sich schon sehr weit aus der öffentlichen Meinungsbildung zurückgezogen haben. Über Twitter hinaus dürften Sie auch keinen Deutschlandfunk mehr hören, wo die Causa der Grünen-Sprecherin nicht nur in die Nachrichten kam, sondern in Hintergrundstücken vertieft wurde.
Vielleicht haben Sie die Sache aber auch schon wieder vergessen gehabt, denn längst ging die Empörung von Sarah-Lee Heinrich auf Elke Heidenreich über. Nun waren es nicht mehr die getwitterten Jugendsünden der Grünen, nicht mehr ihr „Heil“ und ihre „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“, die erregten, sondern Elke Heidenreich, die Heinrich unterstellt hat, sie und ihre ganze Generation hätten „gar keine Sprache“ (weil sie nicht lesen). Außerdem musste der „nette dunkelhäutige Taxifahrer“ für irgendwas herhalten, und so wich ein Blödsinn dem anderen.
Der Stab der Empörung wurde in der ZDF-Talk-Sendung Markus Lanz übergeben. Dort war auch der Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter eingeladen. Und Florian Klenk sagte: „Wir leben in einer gereizten Gesellschaft (...), die ständig reproduzierbar ist. Die von einer Sekunde auf die andere aus der Öffentlichkeit einer Vierzehnjährigen eine Öffentlichkeit macht für eine Sendung bei Lanz, wo wir Tweets vor einem völlig anderen Publikum ausbreiten.“ Das zu erkennen ist schon mal nicht schlecht. Der Kontext einer Äußerung senkt den Erregungsgrad. Was man noch tun kann, zeigte Klenk bei Lanz gleich selbst. Er (300.000 Follower auf Twitter) erzählte die nun wirklich empörenden Vorgänge um den korrupten Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit Witz und Biss, ohne den politischen Kern kleinzureden.
Nun heißt es: In Österreich Operettenland, da geht das so. Aber es wäre ganz gut, würde Deutschland auch ein wenig zum Operettenland. Meint hier nur: Dummes Zeugs nicht so wichtig zu nehmen. So, als wäre es gar nicht in der Öffentlichkeit gesprochen. Sondern vielleicht zu Hause am Küchentisch, wo wir alle unseren Blödsinn sprechen. Oder, wenn das nicht gleich geht: Kurz aufregen, einen bösen Witz machen, und gut ist. Der böse Witz ist der lebenskluge schwule Bruder der dummen Hetero-Empörung. Und wenn Sie diesen Beitrag gerade selbst etwas geschwätzig finden: Nehmen Sie ihn als Übung in Gelassenheit.
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