Als Ijoma Mangold neulich in der Zeit eine beherzte Verteidigung der Debattenkultur auf Facebook schrieb, die vielleicht sogar offener, reflexiver und lustvoller als die Debattenkultur des klassischen Feuilletons sei, nahm seine Intervention den beschriebenen Lauf: Auf Facebook wurde beherzt das Für und Wider seiner Thesen diskutiert. Aber nicht nur das, es wurde geteilt und geliked, es bildeten sich Allianzen gegen Ulrich Greiner, der ebenfalls in der Zeit eine bräsige Replik geschrieben hatte und das Ganze nun womöglich als stiller Beobachter verfolgte. Ich selbst postete dieses Vorhaben: „Ijoma Mangold hat nun sehr schön die gute, diskursive, gleichsam Habermas’sche Seite von Facebook gezeigt. Aber wäre jetzt nicht mal Bourdieu fällig? Wie bilde
Liken unter Observanz
Facebook Das soziale Netzwerk gilt gerade als Ort, an dem besonders intensiv debattiert wird. Für Publizisten hat er auch seine dunklen Seiten
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Ausgabe 20/2015
;sche Seite von Facebook gezeigt. Aber wäre jetzt nicht mal Bourdieu fällig? Wie bilden wir, die Publizistenelite, unser symbolisches Kapital auf FB? Was sind die Praktiken (strategisches Liken und Sharen, Allianzenbildung, Einsatz von Privatkapital (Bilder von Kindern, Anwesen)) etc. etc. Könnte wahlweise als Analyse oder als Satire geschrieben werden!“Dafür erntete ich 30 Likes (unter anderem von Mangold selbst), für meine Verhältnisse ist das ein guter Wert. Offenbar hatte ich ein Unbehagen angesprochen, das unterhalb der schönen diskursiven Oberfläche von Facebook angesiedelt ist und sich in einem bösen Spruch wiederfindet, der auf Twitter die Runde macht: „Twitter makes you love people you’ve never met and Facebook makes you hate people you actually know.“ (Sinngemäß: Auf Twitter lernst du neue Menschen kennen und lieben, auf Facebook lernst du die Leute hassen, die du kennst.)FreundschaftsanfragenTwitter versteht sich, vielleicht mit einem gewissen Recht, als besseres Facebook, aber wir sind nun einmal da, und als ich den Namen Bourdieu fallen ließ, tat ich es, weil ich den französischen Soziologen als Chiffre für einen Blick nahm, der unseren netten Gesten und freundlichen Handlungen ihre Unschuld rauben sollte. Klar ist, wer als Journalist, Publizist oder Autor auf Facebook präsent ist, bewegt sich nicht im leeren Raum, vielmehr bestellt er auch hier das publizistische „Feld“, wie Pierre Bourdieu sagen würde, markiert er seine Position, festigt und mehrt er seinen Einfluss. Das träfe selbst dann noch zu, wenn er Facebook ausschließlich nutzte, um zu debattieren, dann vielleicht sogar erst recht.Die meisten Journalisten, die Facebook nutzen, debattieren aber kaum oder gar nicht. Die Debatten führen eine Handvoll Akteure, die üblichen Verdächtigen sozusagen, die jetzt gerade als die Zukunft der Debattenkultur gelten (und sich selbst so sehen), und sei es nur, weil ein glänzender Text in der Zeit es ihnen und dem lesenden Publikum suggeriert hat.Immerhin war die Suggestion so erfolgreich, dass die kurze Erwähnung meiner Person in dem Zeit-Artikel zu einer Vielzahl von Freundschaftsanfragen führte, die kaum von Kollegen kamen, sondern offenkundig vor allem von Lesern der Zeit, die auf Facebook aber eben nicht nur Leser bleiben, sondern zu Mitproduzenten werden, wenngleich die meisten im Unterschied zu uns Berufspublizisten angenehm ambitionslos sind. Ich gewährte allen die Freundschaft, auch wenn deren Beiträge nun meine Timeline stark belasten.Was aber bedeutet es für uns Journalisten, eine Freundschaftsanfrage zu bestätigen? Durch die Bourdieu-Brille betrachtet: Akkumulation von symbolischem Kapital, vornehmlich als Prestige (das später vielleicht in einen höheren Status, als „Redakteur für Facebookdebatten“ oder so, umgemünzt werden kann).Nun ist die Anzahl der Freunde zweifellos ein Indikator für das Prestige eines Publizisten, entscheidend ist vor allem, ob er die magische Zahl 5.000 erreicht, das Maximum an Freundschaften also, das Facebook für private Seiten zulässt, dies gelingt zum Beispiel Jan Fleischhauer von Spiegel Online, andere wie Beate Wedekind (4.996) oder Matthias Matussek ( 4.997) bleiben offenbar bewusst knapp darunter. Einerseits sind das Zahlen, die keinen unbeeindruckt lassen, andererseits weiß jeder, dass eine Freundschaft bei Facebook ihren Namen eigentlich nicht verdient.Es wäre deshalb nicht besonders prestigeträchtig, wenn ein Journalistenschüler sich vornähme, mit sämtlichen Chefredakteuren der Republik befreundet zu sein, denn solche Freundschaften werden in der Regel wahl- und bedenkenlos gewährt. Zielführender wäre es schon, in den Besitz von Likes zu kommen. Aber die Aussichten darauf sind klein, es sei den der Likende will gerade durch die Vergabe des Likes an einen jungen Spund sein frisches Wesen demonstrieren. Denkbar wäre schließlich auch, dass ihm der Post des Schülers einfach gefallen hat.So wahllos Freundschaften vergeben werden, so sorgfältig wird das Liken fremder Beiträge betrieben. Manche Likes gleichen Trophäen, und sie wären noch glänzender, wäre die Technik von Facebook für die „feinen Unterschiede“ (Bourdieu) nicht blind. So ist es mir gelungen, den ehemaligen Kommentarchef der Welt-Gruppe zum sporadischen Liken meiner Beiträge zu verführen. Aber seit ich mich ein paarmal kritisch zum Springer-Verlag geäußert habe, kommen keine Likes mehr.KonformitätsdruckMan darf das nicht persönlich nehmen. Analog zum Re-Tweet bei Twitter ist der Like die harte Währung auf Facebook, da das Liken unter strikter Observanz der Kollegenschaft steht. Man registriert sehr genau, wer wem seine Reverenz erweist. Nur selten liked man die Beiträge des publizistischen Gegners, und wenn man es tut, dann nicht immer, weil einen ein Beitrag überzeugt hat, sondern weil dieser Gegner so wichtig scheint, dass ein Liken möglicherweise zu einem Gegenliken führen könnte. Sogar wahlloses Liken kann eine Option sein: Wenn in einer Diskussion die Stimmung zu kippen droht, weil auf einmal sogar die Freunde sich gegen einen wenden, dann liked man einfach alles weg – eine bewundernswerte Strategie, die man in der Professx-Debatte beim Debattenstifter Ulf Poschardt beobachten konnte, der damit nicht nur den Schaden in Grenzen hielt, sondern sogar zusätzliches Prestige gewinnen konnte. Seither gilt für ihn, was die Zeit festhält: „Keiner nutzt Facebook für seine Zeitung exzessiver.“Ohne in ein Lamento verfallen zu wollen, denn es ginge ja erst einmal darum, zu verstehen, was geschieht, muss festgehalten werden, dass das Wissen um das Beobachtetwerden zu einem hohen Konformitätsdruck führt: Man hat Angst vor Irritationen in der Bezugsgruppe. Wer allerdings meint, dass das ein Charakteristikum liberaler oder konservativer Positionen ist, der irrt, der Konformitätsdruck ist in orthodox-linken Kreisen mindestens so hoch.Man muss vermutlich noch einen Schritt weiter gehen: Indem auf Facebook nicht nur diskutiert, sondern auch beobachtet wird, wird es zu einem Medium, das uns nicht nur lehrt, offen zu diskutieren, sondern uns auch zwingt, uns unentwegt zu beobachten. Wer sich aber ständig beobachtet, kann sich irgendwann einmal nicht mehr leiden.Dabei tun wir ja nur unsere Arbeit. Eine exakte Studie dieser Arbeit ist hier natürlich nicht zu erwarten, man steht am Anfang, sitzt vor dem Bildschirm, wie der junge Bourdieu anno dazumal in den Cafés von Paris saß und die Menschen beobachtete und belauschte und sich dabei natürlich nicht wie der (spätere) Bourdieu fühlte, sondern – nach eigenem Bekunden – wie Balzac. Und was ist das Erste, was man als Westentaschen-Balzac dann so schreibt? Eine kleine Typologie natürlich, mögen andere sie ergänzen, zum Roman erweitern oder auch völlig nutzlos finden:Kleine Typologie des Facebook-PublizistenDer WitzlosePostet praktisch nur Beiträge aus der eigenen Zeitung, und vor allem: dem eigenen Magazin (denn dort arbeitet er oft). Findet diese Beiträge wahlweise „großartig“ oder „wunderbar“. Bekommt für seine Beiträge recht viele Likes (da in großem Medienhaus tätig). Interesse an anderen Beiträgen nicht erkennbar.Der SnobPostet gern etwas von einer US-amerikanischen Kulturzeitschrift oder von seinem Anwesen in oder um Potsdam in der zarten Blütenpracht des Frühlings. Überlegt sich sehr genau, was er postet. Noch genauer überlegt er, wen er mit einem Like beschenkt. Königstrophäe!Der VermittlerSchafft es, in einem Thread A und B zu sagen. Wenn das nicht geht, stellt er Fragen. Ist getrieben von der Angst, es sich mit einem Lager auf Facebook zu verderben. Ist vielleicht Freiberufler oder in guter Position, findet aber das große Medienhaus schon lange nicht mehr eklig, und es könnte ja ein Ruf erfolgen. Um seine Meinungsstärke dann doch einmal zu dokumentieren, verdammt er Hamas. Das geht immer.Der Zauderer Sieht, dass seine Kollegen völlig schamlos ihre Verbundenheit mit einem Bundesligaklub rumposaunen oder sogar ihre Tattoos (vor einer Bücherwand) zeigen. Findet das etwas peinlich, aber würde natürlich auch gern. Postet dann irgendetwas Lauwarmes, aber nur an die Freunde.Der StrengeIst gebildet und meinungsstark, hält Facebook eigentlich für unter seiner Würde. Neigt zu harschen Urteilen und rückt gern mit Kanonen gegen Spatzen vor,. egal ob in der Nische eines großen Medienhauses oder in einem kleinen tätig. Keine Rechtschreibfehler. Kriegt mäßig Likes, aber das stört ihn angeblich nicht. Treue Followerschaft.Der Debattencholeriker Neigt nicht nur zu harschen Worten, sondern sogar zu Ausfällen. Versucht später mit Ironie, etwas wiedergutzumachen. Kommuniziert vermutlich viel über die Chatfunktion. Viele Rechtschreibfehler. Viele Freunde. Noch viel mehr Beobachter.Der unglückliche Beobachter Überlegt ständig, ob er nicht doch mal was kommentieren oder liken will. Wenn er sich mal traut, etwas zu posten, löscht er es oft schon Sekunden später, mit der Publikation wird ihm die nur zu fragile Originaliät seines Beitrags schmerzlich bewusst. Häufiger Typus.Frauen Sind schwer zu fassen, sie posten gern US- Autorinnen, die ein wildes Essayleben führten. Sonst vorsichtige Annäherung an die forsche Skandalbloggerin oder ignorieren, wer weiß, ob man sich im Bandol mal trifft. Am besten sich mit der klugen Kollegin der Skandalbloggerin befreunden, dann hat man nichts falsch gemacht. Im Vormarsch.
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