Es gibt Dinge, an denen bleiben wir dran. Psychologisch versierte Menschen sprechen von einer „Fixierung“, wo wir Journalisten lieber von „Nachhaltigkeit“ reden. Im Moment konzentriere ich mich auf zwei Dinge. Arabische Clans in Berlin und das Radfahren. Über das eine schreibe ich, über das andere lese ich alles, was mir zwischen die Finger kommt. Und ich schaue, verspätet, die Serie 4 Blocks, die in Neukölln spielt. Der Clanführer will ein anständiges Leben führen, er wartet auf den deutschen Pass, damit er ins Immobiliengeschäft einsteigen kann.
Radfahren und Clans haben scheinbar nichts miteinander zu tun. Aber der Schein trügt. Trost findet der Clanführer bei seiner kleinen Tochter, die er über alles liebt. Ihr schenkt er ein Fahrrad. Auf dem Gehsteig vor dem Haus wird sie sofort von den Jungs angemacht: „Unsere Mädchen fahren nicht Rad.“ Der Vater weist die Jungs zurecht: „Mein Mädchen fährt Rad, verstanden?“ Eine schöne Szene. Fast so schön wie die, in der zwei Außendienstmitarbeiter des Clans eine Hipsterkneipe „besuchen“ und den amerikanischen Betreiber nötigen, ihre Automaten in seiner Kneipe aufzustellen. Fällt mir auf: Es gibt Gruppen, die man in der Stadt praktisch nie auf dem Rad sieht (Clanmitglieder zum Beispiel), und Gruppen, die sehr oft und in Gruppen fahren (Touristen zum Beispiel).
Ein weiterer Punkt: Gehwegradeln. In der Unfallstatistik tauchen Gehwegradler nur marginal auf. Sie sind ärgerlich, aber nicht besonders gefährlich. Man empfindet sie als rücksichtslos. Das betrifft vor allem eine Gruppe, die man meist als ihr Gegenteil wahrnimmt: Eltern. Neulich sauste ein Vater mit seinem Sohn vom Gehweg über den Fußgängerstreifen, an dem ich mit meinem Sohn stand, weil die Ampel auf Rot war. Kinder reagieren empfindlich auf solche Regelverstöße. In ihrem Zimmer herrscht Anarchie, aber wehe, du fährst innerorts mit dem Auto 52 km/h: „Du fährst zu schnell!“ Sie brauchen klare Linien. Ich reagiere deshalb äußerst empfindlich, wenn jemand eine rote Ampel missachtet und Kinder in der Nähe sind. Ich rief dem Radler also etwas Unflätiges nach, woraufhin er rabiat bremste, umdrehte und bedrohlich auf mich zukam, der Sohnemann hinter ihm. Es entwickelte sich ein heftiger Disput. Gleich haut er dir eine in die Fresse, dachte ich, er tut es nur nicht, weil sein Sohn dabei ist und das hier Prenzlauer Berg ist. Das Ende: Er: „Was bist du von Beruf?“ Ich: „Was tut das hier zur Sache?“ Er: „Ich bin erfolgreicher als du!“ Das Problem scheint mir, dass Gewinner und Verlierer, Opfer und Täter sich immer öfter blitzschnell in einer Person abwechseln. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft. Die Nadel im moralischen Kompass dreht frei. Umso wichtiger sind Verkehrsregeln. Überall.
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