Ähnlicher werden wir uns, und doch immer fremder. Irgendwie müssen wir es miteinander aushalten, aber jetzt sprechen wir von der Freundschaft. Hier geht es nicht darum, „Mikroaggressionen“ zu bekämpfen, sondern um die Angst, den Freund, die Freundin zu verlieren. Echte Freundschaft ist ein Geschenk, heißt es, oder, wie die Systemtheorie sagen würde: Sie ist „unwahrscheinlich“. Steven Spielbergs Film E.T. – der Außerirdische erzählt die Geschichte einer geradezu extrem unwahrscheinlichen Freundschaft. Man kann viel von ihr lernen.
Es befreunden sich ein elfjähriger Junge aus der kalifornischen Suburbia und ein uraltes, von dem Jungen „männlich gelesenes“ Wesen, das vom Planeten Brodo Asogi kommt, der drei Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Normalerweise nimmt man die Perspektive des Jungen ein, wenn man Steven Spielbergs Film von 1982 erzählt: Elliotts Vater hat die Familie verlassen, er fühlt sich einsam, in diese Lücke stößt die Entdeckung des Wesens im Schuppen, das er dann in seinem Zimmer versteckt. Erzählen wir die Geschichte mal aus der Perspektive von E.T.: Sie wollen auf der Erde nur ein paar Pflanzenproben nehmen, als sie gestört werden und E.T. den Kontakt zu seinen Leuten verliert. Ein junger Erdling ist seine Rettung, erst mal nicht mehr und nicht weniger.
Elliott stellt ihm seine Welt im Kinderzimmer vor, die Spielzeugsoldaten etc., aber so recht scheint ihn das nicht zu interessieren. Nicht weil er einen Mangel an Empathie hätte, er hat eigentlich nichts als Empathie. Sie ist so stark, dass sie sich auf Elliott überträgt; als E.T. im leeren Haus der Familie zum ersten Mal in seinem Leben Bier trinkt, wird auch Elliott in der Schule betrunken. Er muss gerade ein doofes Experiment mit Fröschen machen, in diesem Moment erkennt Elliott, wenn man so will, die „Philosophie“ von E.T., nämlich dass alles Lebende miteinander verbunden ist, und lässt die Frösche frei.
Heißes Medium
E.T. erzählt von Herzenskommunikation. Sie kennt kein Alter und keine kulturellen Grenzen. Auch wenn E.T., der gewissermaßen über maximalen Migrationshintergrund verfügt, schnell die amerikanische Sprache lernt und mit Elliott sogar ein Telefon mit Schaltung nach Brodo Asogi baut, den „Kommunikator“, basiert ihre Freundschaft auf dem, was der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan ein „heißes Medium“ nannte. Genau durchschaut man nicht, wie dieses Medium funktioniert, aber es lässt seinen Sender buchstäblich von innen glühen. Beim Empfänger wiederum erzeugt es nichts als Gefühl. Als die NASA den todkranken E.T. im Labor untersucht, wird Elliotts Bruder Michael zu dieser rätselhaften Art der Kommunikation befragt: „Elliott denkt also E.T.s Gedanken?“ – „Nein, Elliott fühlt seine Gefühle.“
E.T. spricht die Sprache des Herzens, von der die deutschen Romantiker nur träumen konnten. Es ist klar, dass so eine Freundschaft in Kitsch enden müsste, hätte sie nicht eben ihr Ende. E.T. müsste an Heimweh sterben, wenn er bliebe. Das zu erkennen und ihn ziehen zu lassen, ist vermutlich der größte Freundschaftsdienst, den ein Elfjähriger leisten kann.
Die Geschichte – oder, wie es neudeutsch heißt: das Narrativ – kommt später. Die wahren Freundschaften, gerade unter Jungen und Alten, werden auch für die Zeit danach geschlossen, das ist ihre Zumutung. Freundschaften leben weiter, wenn sie vorbei sind. Die Familie (es wird bald wieder einen Papa geben, und er ist schwer okay, Spielberg deutet es in der Schlussszene an) kann nun erzählen, wie es war, als sie E.T., der schon klinisch tot war, unter abenteuerlichen Umständen aus dem Labor der NASA befreite, sogar geflogen sind sie auf ihren BMX-Rädern, und ihn zum Raumschiff im Wald auf dem Hügel brachte, das mit dem „Kommunikator“ herbeigeholt wurde. Dann schließt sich die Tür des Raumschiffs.
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