Bis zu seinem Tod 1987 lehrte Jacob Taubes Philosophie an der Freien Universität Berlin (FU); seit 1963 hatte er den Lehrstuhl für Judaistik inne und unterrichtete an der neu gegründeten Abteilung Hermeneutik des Philosophischen Seminars, deren Direktor Taubes von 1967 an war. Um den 1923 in Wien geborenen Spross einer Rabbiner-Familie ranken sich eine Vielzahl von Gerüchten und Erzählungen. Wir sprachen mit Martin Treml und Herbert Kopp-Oberstebrink, die das Editionsprojekt Jacob Taubes am Zentrum für Literaturforschung Berlin (ZfL) leiten. Im ZfL finden sich rund 1000 Schreiben von und an Taubes sowie viele weitere Dokumente.
Der Freitag:
Jacob Taubes und Margherita von Brentano. Zwei engagierte Linke, in ihrem Habitus aber keine typischen linken Intellektuellen. Sie mit adeligem Hintergrund, er der exzentrische jüdische Philosoph. Wie wurde das Paar wahrgenommen? Gibt es Hinweise in den Briefen?
Martin Treml:
Die beiden waren das glamouröse Paar nicht nur des Philosophischen Seminars, sondern der FU insgesamt.
Herbert Kopp-Oberstebrink:
Anfangs waren sie ein dankbares Klatsch- und Tratschthema, zumal Taubes noch nicht geschieden war, als die beiden zueinanderfanden. Dabei war den meisten klar, dass die beiden überhaupt nicht zusammenpassten. Letzteres betraf auch ihre philosophische und wissenschaftliche Arbeit. Anders sah das in politischer und universitätspolitischer Hinsicht aus. Da zogen sie als Vertreter der Linken zumindest anfangs an einem Strang.
Warum passte Susan Taubes besser zu Jacob als Margeritha von Brentano?
Treml:
Susan Taubes hat aus einem ganz banalen Grund besser gepasst: Weil sie Jüdin war. Der Vater war Rabbiner in Zürich, für ihn muss es ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, dass sein Sohn in zweiter Ehe eine Nicht-Jüdin heiratet. Man muss das auf einer religiösen Ebene lesen. An der Brentano hat ihn sicherlich auch das Antifaschistische fasziniert, das Radikale. Und sie war eine schöne Frau, auch das wird eine Rolle gespielt haben, wobei es später unglaubliche Bosheiten in Richtung Brentano gab. In seinen zehn letzten Jahren hatte Taubes große Aussetzer.
Wie stand er zu den Studentenprotesten?
Treml:
Er war ein federführender Unterstützer, und er war sich dieser Rolle durchaus bewusst, wie ein Briefwechsel mit der US-amerikanischen Philosophin Lynnee Belaief verdeutlicht. Taubes spricht hier von seinem Fachbereich als dem „Katalysator der Reformbewegung“ und den wichtigen Positionen, die Margherita von Brentano und er inne hätten. Die FU nannte er kühn das Berkeley Europas. Die Hochzeit der beiden fand übrigens am 20. Dezember 1967 statt.
Kopp-Oberstebrink:
Ihre Rolle zeigt sich auch an beider häufigem Auftreten auf teach-ins und Diskussionen auf Seiten der Studierenden gegen die Universitäts-Leitung. Von ihrem Kampf gegen die notorische „Notgemeinschaft“ einmal ganz abgesehen.
Was genau war das?
Eine als Reaktion auf die befürchtete linke „Unterwanderung“ der FU Anfang 1970 gegründete Vereinigung konservativer Professoren, die schwarze Listen über linke Professoren anlegte. Taubes verglich sie mit McCarthy.
1968 brachte dann ja nicht nur den radikalen Studenten hervor, sondern auch den radikalen Professor. Bei Taubes fällt eine extreme Ironisierung und Distanzierung der akademischen Rolle auf.
Treml:
Er bediente sich ja vor allem einer paulinischen Figur. Paulus, der Erzjude, der übergelaufen ist ins Lager der Messias-Anhänger... so ähnlich ist Taubes übergelaufen ins Lager der deutschen Professoren und bleibt doch der Erz-Jude. Das hatte schon einen Schwung, und das hat ihn ja auch zur Reizfigur gemacht, sowohl gegenüber den nicht-jüdischen Kollegen als auch gegenüber den wenigen jüdischen, die es gab.
Kopp-Oberstebrink:
Als sich die Studentenbewegung immer weiter radikalisierte, nahm Taubes allerdings Abstand, und wurde seinerseits von den Studenten kritisiert, etwa wegen seiner Verbindung zu Carl Schmitt. Die wurde ihm auch von Margherita von Brentano vorgehalten. Taubes wusste schon, wie er provozieren konnte. „Auf dem Weg von Berlin nach Paris mache ich Station in Plettenberg“, schreibt er über seine drei Besuche bei Schmitt. Das paraphrasiert eine Äusserung von Alexander Kojève, dem Geschichtsphilosophen. Auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung hatte Kojève, von Peking kommend, in Berlin halt gemacht und Dutschke und Co. brüskiert. Nicht nur empfahl er den Studenten, altgriechisch zu lernen, die Frage, ob er nun nach Paris zurückfahre, beantwortete er mit: Ja, aber über Plettenberg.
Woher kommt dieses Interesse für die Rechtsintellektuellen?
Treml:
Taubes faszinierte die Radikalität des Denkens. Und mindestens in einer Sache fand er sich eben bei den Rechten besser wieder als bei der Linken: Taubes war davon überzeugt, dass der Humanismus schon vor den Nazis „abgewirtschaftet“ gehabt habe. Er glaubte, dass dies paradoxerweise konservative – genauer gesagt: reaktionäre – Denker wie Heidegger besser erfasst hätten. Die Frage nach dem Humanen müsse „radikaler“ gestellt werden, letztlich könnten das einzig die Theologien. Anders als Adorno erwartete er von den Künsten keine Befreiung des Menschen, eine sehr jüdische Haltung, zumindest aus Sicht der religiösen Kultur. Last but not least gab es bei ihm immer auch einen Protest gegen das akademische Milieu, dem er ja aber selbst angehörte. Taubes hatte ein fast physisches Angeekeltsein vor dem juste milieu ...
..das ja auf seinen letzten Assistenten, auf Norbert Bolz, bis heute abstrahlt. Gab es Grenzen dieser Grenzüberschreitung?
Treml:
Das Einzige, was er nie geduldet hat, war Antisemitismus, da gab es keine Diskussion.
Aber wie konnte er dann mit Carl Schmitt in Kontakt treten? Zumindest der frühe Schmitt, der „Kronjurist des dritten Reichs“, war eindeutig Antisemit.
Treml:
Man kann nur spekulieren. Vielleicht war Schmitts Antisemitismus ja der Inhalt des Gesprächs der beiden. Gut vorstellbar ist, dass Taubes darauf hinwies, wie sehr die Nazis eine Katastrophe für Juden und Deutsche waren, und Schmitt dem vielleicht zustimmte. Oder vielleicht haben die beiden ja über die Bibel gesprochen? Schmitt verfügte über katholische Anspielungen und Paraphrasen wie kein zweiter. Für einen jüdischen Intellektuellen mit einer rabbinischen Ausbildung musste das hochattraktiv sein. Im Briefwechsel spielt Antisemitismus jedenfalls keine Rolle. Schmitt ist da weder antijüdisch noch philosemitisch. Er versucht vielmehr Gesprächssituationen der zwanziger Jahre wieder herzustellen.
Mir scheint der Begriff des Geheimnisses eminent wichtig für Taubes. Sowohl wie er andere liest, als auch in dem, wie er gerne selbst gelesen worden wäre.
Treml:
Prägend ist hier eine Idee des politischen Philosophen Leo Strauss, der mit Carl Schmitt bekannt war. Strauss, der 1932 emigrierte und der Shoa entging, später in Amerika zu Berühmtheit kam durch die Neocons – Strauss also optierte für eine esoterische und eine exoterische Lesart von Texten. Gerade in Zeiten des Bürgerkrieges, der politischen Verfolgung, die sich natürlich an der jüdischen Philosophie, aber auch an Plato festmacht. Das hat Schmitt und Taubes fasziniert. Aus dieser Perspektive: Ja. Sonst sollte man den Sachverhalt „Geheimnis“ in der Stilisierung der eigenen Person eher mit Netzwerk, „rasenden Verbindungen“ und Projektemachen umschreiben. Und das vor dem Hintergrund der in den siebziger und achtziger Jahren an der FU herrschenden akademischen Bürgerkriegs.
Gab es Verbündete?
Kopp-Oberstebrink:
Die gab es. Interessanterweise hielt Peter Glotz, seit 1977 Wissenschaftssenator in Berlin, große Stücke auf Taubes und hat ihn oft um Rat gefragt. Auch, was die Gründung des Wissenschaftskollegs anbelangt. Da hat Taubes hinter den Kulissen gewirkt. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Anekdote erzählen, die erhellen mag, wie unkonventionell und radikal Taubes dachte. Er schlug Glotz nämlich vor, dass das Wissenschaftskolleg nicht nur im piekfeinen, ruhigen Grunewald sitzen soll, sondern, weil Berlin, weil Westberlin, auch direkt am Checkpoint Charlie. Die Idee ist natürlich nicht umgesetzt worden, weil sie gegen das zurückgezogenen Wissenschaftsideal verstieß.
Nun machen Taubes wissenschaftliche Publikationen oft einen eher unspektakulären Eindruck. Ganz anders die „Politische Theologie des Paulus“, ein Buch, das ja aus Tonbandaufzeichnungen von Vorträgen entstanden ist. Sowohl sein Sprachgestus als auch dieses Mäandern in abseitigen Auslegungen des Römerbriefs hat etwas Charismatisches, fast Wunderrabbi-Haftes.
Treml:
Hier scheint tatsächlich etwas Jüdisches in säkularisierter Form weiterzuleben, viel stärker als in den Inhalten. Seine Art des Performierens ist eben mehr als nur ein frei Vortragen. Man kann bei ihm das gewollt Provokative, Paradoxe und zugleich auch Lehrhafte feststellen, dann auch den existenziellen Einsatz von Wissen. Das ist kein antiquarisches Wissen, es geht immer ums Ganze.
Auch in den Briefen?
Kopp-Oberstrebrink:
Sie sind natürlich am Mündlichen orientiert. Aber sie sind oftmals nicht so dicht, sondern dienen eben auch dem Netzwerken.
Ist dieses Netzwerken eigentlich auch etwas „Jüdisches“? Oder verfalle ich da einem Stereotyp?
Treml:
Mit gleichem Recht könnte man sagen, sie sei etwas Katholisches. Nehmen Sie Carl Schmitt, der nach 45 fast persona non grata war. Gleichwohl war er für alte Schüler, aber auch für junge Leute, eine wichtige Person, die, wenn auch nicht ganz im Geheimen, so doch als eine Spinne im Netz wirkte. Das ist ja auch der protestantische Vorwurf gegen Jesuiten!
Jacob Taubes hinterlässt kein großes Werk. Seine Bücher lassen sich an einer Hand abzählen. Jüngst hat der Politologe Franz Walter im „Freitag“ gegen die 68er polemisiert: Sie hätten keinen einzigen Theoretiker von Rang hervorgebracht. Ist Taubes ein Beleg für diese These? Oder eher ein Beleg dafür, dass sich das Denken mit 68 verändert hat?
Treml:
Eher das zweite. Nehmen Sie das Paulus-Buch, wo er seitenlang Freud zitiert und mit diesem Zitat auch endet. Ohne das Aufzulösen. Das ist auch eine Botschaft. Denkt selbst weiter!
Das sagt sich so leicht ...
Treml:
Ich könnte mir denken, dass sein Ethos auf einem beschleunigten Denken beruht. Die Zeit ist knapp, die Lebenszeit, aber auch die Weltzeit. Inwiefern das auch eine Folge der Shoa ist, wäre zu überlegen. Eine Folge also der vollkommenen Entwurzelung mindestens zweier Generationen europäischer Juden, die über die ganze Welt verstreut wurden. Das spielt sowohl in persönlichen als auch in intellektuellen Interventionen eine Rolle.
Taubes wurde Eklektizismus vorgeworfen, also alles zusammen zu klauen. Wie sehen Sie das?
Absolut, ja. Es wäre allerdings zu diskutieren, ob dieses „Klauen“ nicht eine Form von Kommentar ist. Taubes hat darauf insistiert, dass jüdische Philosophie, die zählt, die Form des Kommentars hat. Die großen Rabbiner von der Antike über das Mittelalter bis heute haben immer die große Offenbarung kommentiert. Das ist ihr Werk, das in die Traditionsliteratur am Rand eingeschrieben wird. Dennoch ist Taubes Denken natürlich ein Hybrid und reibt sich mit dem Originalitätskult, der an den deutschen Universitäten seit der Romantik herrscht.
Also ein Eklektiker von Rang ...
Kopp-Oberstebrink:
Eklektizismus haftet so was Negatives an. Man vergisst nur zu leicht, dass ein Originaldenker wie Heidegger sich in der Philosophiegeschichte rauf und runter bedient hat, bei Schopenhauer, bei Schelling. Aber er zitiert halt die Quellen nicht. In dem Moment, in dem einer mit dem Originaldenkertum bricht, wird ihm das plötzlich zum Vorwurf – anders als bei den sogenannten Originaldenkern. Taubes will Kommentator in ganz heterogenen Bereichen sein. Er bringt philosophische, religionsgeschichtliche, soziologische, politische Perspektiven miteinander ins Spiel. Er ist ein interdisziplinärer Denker par excellence.
Ich vermute dennoch, dass eine Figur wie Taubes in der heutigen Hochschullandschaft unmöglich wäre. Er lebte von seiner Erfahrung, seiner Exzentrik und eben dem akademischen Bürgerkrieg. Aber Sie schütteln den Kopf ...
Kopp-Oberstebrink:
Ich würde ihn stark als eine Figur des Übergangs zu unserer heutigen Wissenschaftslandschaft sehen. In der Selbstinszenierung als „großer Philosoph“ war er tatsächlich eine Art von Dinosaurier. Andererseits trägt er aber noch unerhörte Ideen in die deutsche Hochschullandschaft. Er dachte eben in Impulsen, die er geben, wollte, in Projekten, die andere ausführen sollten, in Netzwerken, transatlantischen Netzwerken, und bewirkte so eine Internationalisierung der FU. Auch wenn er sich als großer Philosoph gesehen haben mag, so fungierte er in der Praxis viel häufiger als Wissenschaftsmanager. In diesem Widerspruch muss man ihn sehen.
Anfang 2011 erscheint der Briefwechsel zwischen Jacob Taubes und Carl Schmitt im Wilhelm Fink Verlag. Einen Werkstattbericht zum Nachlass Taubes am findet sich in der Ausgabe Nr. 20 der Zeitschrift Trajekte. (Zu beziehen über ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin)ZfL
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