Notbremse ohne Bettennot?

Coronakrise Haben die Kliniken die Anzahl ihrer freien Intensivbetten absichtlich niedrig gehalten? Das wäre ein Riesenskandal
Ausgabe 24/2021
Eigentlich das Ziel eines jeden Krankenhauses: leere Betten
Eigentlich das Ziel eines jeden Krankenhauses: leere Betten

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Jetzt sprechen alle von den Masken, kaum jemand aber davon: Vor ein paar Wochen äußerte der Internist Matthias Schrappe den Verdacht, dass die Kliniken die Anzahl der freien Intensivbetten bewusst niedrig halten, um jene Ausgleichszahlungen zu bekommen, die es bei weniger als 25 Prozent freier Betten gibt. Schrappe wurde in Grund und Bogen kritisiert. Jetzt aber heißt es vom Bundesrechnungshof: „Fehlanreize“! Der BRH vermutet, dass „die Kliniken weniger freie Betten an den Intensivmedizinerverband (DiVi) meldeten als tatsächlich vorhanden“.

Zumal vergangenes Jahr 13.700 zusätzliche Betten aus Mitteln des Bundes finanziert wurden – die sich aber nicht finden lassen. Das Gesundheitsministerium sei „bis heute nicht in der Lage, die Zahl der tatsächlich aufgestellten sowie die der zusätzlich angeschafften Intensivbetten verlässlich zu ermitteln“, schreibt der BRH. Dazu passt, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) im Januar 2021 in einem Brief an das Gesundheitsministerium die Vermutung äußerte, dass „Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren“.

Das wäre nicht einfach ein weiterer Skandal. Es wäre ein Riesenskandal. Denn es steht mehr auf dem Spiel als nur Betrug am Steuerzahler und Chaos im Ministerium. Wir erinnern uns: Die „Bundesnotbremse“ wurde mit steigender Inzidenz und dramatischer Knappheit der Intensivbetten begründet. Was, wenn das Panikmache war? Allein dieses Wort wollen viele nicht hören und schalten auf Durchzug. Vielleicht etwas vorschnell.

Das gilt auch für Medien, die über so gewaltige Recherchemöglichkeiten verfügen wie der Spiegel oder die Süddeutsche. Da kocht man das Thema lieber auf eine dpa-Meldung runter und überlässt das Skandalisieren dem Boulevard. Aber vielleicht irre ich mich ja. Vielleicht schwärmen nun die Reportageteams aus, nehmen Kontakt mit dem BRH auf, schütteln Lothar Wieler, führen vertrauliche Gespräche mit Klinikpersonal und -chefs. Und vielleicht heißt der nächste Spiegel-Titel ja „Der große Betrug“. Vielleicht auch nicht, weil nachgewiesen wurde, dass bei den Intensivbetten alles rechtens war. Aber wissen möchte man es. Hieb- und stichfest, mit Zahlen. Es wäre ein Novum am Ende dieser so datenarmen Pandemie.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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