Vor ein paar Jahren habe ich ein kleines Buch geschrieben, Der letzte Zeitungsleser. Gelegentlich erreicht mich Post dazu. So will jetzt ein Leser wissen, wie man „gelesene Zeitungen am besten archiviert, ohne irgendwann nur noch inmitten von Papierstapeln zu hausen“. „Und soll man überhaupt archivieren?“
Ich möchte Herrn F. auf diesem Weg antworten. Seine Fragen gehen jeden Zeitungsleser, jede Zeitungsleserin (also auch Sie!) etwas an. Die eleganteste Lösung schiene mir zu sein, gedruckte Zeitungen nur noch in Cafés zu lesen und das Problem der Aufbewahrung zu delegieren. Aber für die meisten Zeitungsleser geht das halt nicht so einfach; wer eine Zeitung kauft oder abonniert und zu Hause liest, ist mit ihrem Schicksal konfrontiert. „Sie wegzuschmeißen bringe ich nicht übers Herz“, schreibt Herr F. Und so hat er, der auf 18 Quadratmetern wohnt, „längst den Überblick“ verloren. „Eine Bekannte sagte, ihr gehe es ähnlich und ihr fiele es schwer, sich von Periodika zu trennen, bei all der Arbeit, die im Zustandekommen der jeweiligen Artikel stecke“.
Ein nobler Grund: Man bewahrt die Zeitung auf, weil man die Arbeit, die in ihr steckt, wertschätzt. Anderes Motiv: Zeitungen aufbewahren, um die Inhalte präsent zu halten. In diesem Fall könnte eine gute Lösung darin bestehen, sich „das Gelesene einfach zu merken“, wie Herr F. schreibt. Praktisch scheint mir das unmöglich. Bleiben in beiden Fällen nur unsaubere, unbefriedigende Lösungen: von Zeit zu Zeit doch einen Stapel Zeit entsorgen oder eben – es muss nun ausgesprochen werden – den Eiswüsten der Digitalisierung nicht länger trotzen. Alles ist ja da, die Online-Archive wachsen und wachsen.
Apropos Klimawandel. Vor vielen Jahren schrieb ich eine Glosse für die Lokalbeilage der FAZ. Sie handelte von den Möglichkeiten der Aufbewahrung einer Zeitung, denen sogar eine riesige Katastrophe – damals: ein Atomschlag – nichts anhaben könnte. Diskutiert wurde das auf einem Kongress von Kulturwissenschaftlern. Die überzeugendste Antwort gab Boris Groys: Am besten wird eine Zeitung im genetischen Code einer Kakerlake konserviert.
Ich habe mir den Artikel eben in einem Online-Archiv geholt. Erst las ich ihn digital, aber das ist unbefriedigend. Also habe ich mir die Seite ausgedruckt. Schon besser. Und später, wenn die anderen hier weg sind, werde ich alle alten Berliner-Seiten-Ausgaben in A3 ausdrucken, und überhaupt die ganzen FAZ, in denen die Beilage so schön Platz fand, und dann werde ich sie zusammenleimen und gen Himmel stapeln, in umgekehrter Seitenfolge leimen natürlich, denn Zeitungen wollen ja von hinten nach vorn gelesen werden, und die Geschichte der Medien läuft in Wahrheit rückwärts, ich komme, Herr F., ich komme, halten Sie durch.
Hegelplatz 1. Unter dieser Adresse können Sie den Freitag in Berlin erreichen – und ab sofort wir Sie. An dieser Stelle schreiben wöchentlich Michael Angele und Jakob Augstein im Wechsel. Worüber? Lesen Sie selbst
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