Schöne Salonwelt - oder Warum 'Cicero' nicht links sein will

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Ich bewundere Menschen, die von sich selbst ohne Wenn und Aber sagen können: "Ja, ich bin links". Ich bewundere sie ganz aufrichtig – wenn sie mir intelligent und haltungsstark erscheinen. Ich denke oft darüber nach, warum es mir so schwer fällt, dieses Bekenntnis, zu dem mich allerdings kaum je einer nötigt, abzuliefern. Ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Zum Glück! Ich stehe gewissermassen für eine ganze Generation. Sagen wir die West-1977er, die irgendwie durch Punk und Derrida und weiß der Himmel was sozialisiert wurden.

Michael Naumann, der neue Chefredakteur des Magazins "Cicero", entstammt nicht unserer Generation. Er ist 1946 geboren. Ich habe ihn zuerst als Verleger wahrgenommen (damals bei Rowohlt) und hielt ihn vage für einen "Salonlinken" – was ich auch gerne gewesen wäre. Noch begehrenswerter fand ich nur dessen Steigerung: "Salonkommunist". Es schien mir das schönste aller vermeintlichen Polit-Schimpfwörter. Ein Salonkommunist fuhr Maserati, war für die Revolution und gab sich Mühe, an einer schönen Frau immer zuerst den klugen Kopf zu sehen. Toll. Absolut erstrebenswert.

Aber gut, zurück zu Naumann, den ich ja bloß für einen "Salonlinken" hielt und wie gesagt, es ist für mich ein schönes Schimpfwort. Dennoch: Vorsicht, Vorsicht. Ich will ja keinen Brief von dessen Anwalt. Eine Klage an der Backe hat nämlich nun der ehemalige "Cicero"-Online Verantwortliche Alexander Görlach, aktuell Head of the Website The European. Dort hatte Görlach vor ein paar Tagen behauptet, unter Naumann sei es bei "Cicero" zu einem "Linksruck" von Redaktion und Magazin gekommen (der Artikel ist vorläufig vom Netz genommen).

GOD DAMNED! EIN LINKSRUCK. Naumann wehrt sich mit aller Kraft. "Absolut falsch und zudem geschäftsschädigend" seien solche Aussagen, lässt er sich heute im 'Tagesspiegel' zitieren. Als Beweis nannte er unter anderem den "Politikberater Michael Spreng" als "Cicero"-Autor, und sprach davon, dass er andere Sorgen habe, als über "ideologische Geografien" zu debattieren.

Nun ja, dergleichen sage ich manchmal auch, wenn ich dann doch einmal zu einer klaren Haltung genötigt werde, stolz bin ich darauf allerdings nicht.

Man stelle sich vor, Naumann hätte so reagiert. "Sie haben Recht, der Ringier-Verlag und ich haben beschlossen, mit 'Cicero' ein wenig nach links zu gehen. Ja, wir wollen ein linksliberales Montagsmagazin werden. So eins fehlt in Deutschland. Im Editorial der nächsten Ausgabe erkläre ich, was ich unter einem modernen linken Magazin-Journalismus verstehe. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch kluge konservative Autoren wie Michael Spreng Platz geben wollen. Schauen Sie sich an, was die Wochenzeitung 'Der Freitag' macht, wir machen es anders, aber ein wenig..."

Etc. etc. Aber ich kann es ja verstehen. Es ist nun einmal verdammt schwer, sich zu bekennen, und gar alles sträubt sich in einem, wenn man quasi dazu genötigt wird.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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