Seitenwechsel

Campusroman Zora del Buono verknüpft geschickt den NSA-Skandal mit einer Amour fou
Ausgabe 37/2016

Nein, Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt ist nicht der große Roman über den NSA-Skandal, und es ist auch kein Skandalbuch über eine verbotene Liebe. Aber Zora del Buono hat einen packenden, schlicht daherkommenden, also wahrhaft durchtriebenen kleinen Roman geschrieben, der die beiden Themen engführt. Erzählt wird die Geschichte der Dozentin Vita Ostan und ihres Schülers Zev Swartz, wir befinden uns im Sommer 2013 an einem amerikanischen College, in einem Kurs für Journalismus. Was muss an Basiswissen noch übermittelt werden? Nun, Vita ist deutschsprachig, ihre biografischen Wurzeln reichen (wie bei der Autorin) bis nach Süditalien, sie hat Männer und Frauen gehabt, sie ist nun zweieinhalbmal so alt wie Zev, der 20 ist, ein Jude mit „Hipsterallüren“ und der Einzige in Vitas Kurs, der sich für Edward Snowden und den aufbrandenden NSA-Skandal interessiert.

Zevs Interesse wird angeheizt durch Dave, den Informatiker des Colleges, einen Althippie und strikten Überwachungsgegner, so scheint es jedenfalls. Und es scheint, dass Zev in ernsthafte Schwierigkeiten geraten ist, darauf deutet der Anfang des Romans hin, der mit dem Rückflug von Vita einsetzt. Ihr Gastsemester ist um, Zev verschwunden, und am Flughafen wird sie von zwei Beamten vernommen: „In welcher Beziehung stehen Sie zu diesem Mann?“

Gruppen im Süden

Weit über die Intention der Beamten hinaus ist das die Frage, die sich durch den Roman zieht. Sicher, es handelt sich um die Beziehung einer reifen Frau zu einem jungen Mann, aber was bedeutet das? Wie viel ödipales Drama steckt in ihr? Wie viel „Mutter“ in Vita und wie viel „Sohn“ in Zev, ein Anteil, den er zu ihrem Ärger zeitweise recht hoch veranschlagt.

Und wie viel Weltliteratur wird hier vom männlichen Kopf auf weibliche Füße gestellt? „Ich wollte über uns reden, über die Unmöglichkeit eines uns, sprach stattdessen von Philip Roth und Vladimir Nabokov und auch von Thomas Mann, von all diesen alten Männern also, die unbotmäßiges Begehren in Weltliteratur verwandelt hatten, von den alten Männern überhaupt mit ihren jungen Frauen ...“

Wer nun allerdings glaubt, diese alten Männer seien das Problem, der irrt. Roths Nathan Zuckerman ist in mehr als einem Punkt sogar ein Leidensgenosse von Vita Ostan, nicht zuletzt in diesem: Beide haben unter dem denunziatorischen Klima zu leiden, das am Campus herrscht. Da ist so manches verboten, zum Beispiel, dass Studenten im Auto von Professoren mitfahren, die Gründe reichen von kostspieligen Versicherungsfragen bis zu den gut gemeinten Vorgaben der political correctness, beides kommt zusammen, wenn es darum geht, sich „mit der rechtlichen Situation zum Schutz Abhängiger an amerikanischen Colleges“ vertraut zu machen. Dieses Klima verschlechtert sich noch durch die NSA, die nicht nur die wenigen ausspionieren lässt, die in diesem Sommer 2013 ein gesteigertes Interesse an ihren Aktivitäten bekunden, sondern umgekehrt auch auf dem Campus offen für Mitglieder wirbt, in einer Veranstaltung, in der der Name Snowden gerade dadurch präsent wird, dass er nicht fallen darf.

Zora del Buono entwirft das Bild einer latent paranoiden Gesellschaft, die weder Klarheit über das Ausmaß der staatlichen Kontrolle gewinnt noch die Gründe der massenhaften Überwachung kennt; der linke Zev vermutet, dass sie weder kommerziell noch antiterroristisch motiviert ist: „Sie haben Angst vor der antikapitalistischen Revolution“ ... „Sie beobachten Gruppen im Süden“. Ansichten eines Sozialromantikers oder Kern des ganzen Komplexes?

Unklar bleibt schließlich auch die Praxis auf dem Campus. Ist die pflichteifrige Studentin Lisa am Ende vielleicht gar keine Evangelikale und ihre Abwesenheiten nicht dem Gebet, sondern der Geheimdienstarbeit geschuldet? Und was ist mit Dave, auf welcher Seite steht der wirklich?

So öffnet sich ein Erwartungshorizont, der leicht zu weit werden kann. Der Roman hätte sich in wolkiger Bedeutsamkeit verloren, würde nicht so leicht und nüchtern erzählt, und wäre da nicht die Erdung im mitunter sarkastisch geschilderten Campusmilieu. Wäre der Roman also nicht einfach auch eine gute campus novel und wäre er mit seinen gerade mal 170 Seiten nicht so episodenhaft, wie es die Beziehung zwischen Zev und Vita wohl bleiben wird.

Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt: Das ist zweideutig formuliert. Allein, wer Sex erwartet, kann schon deshalb nicht auf seine Kosten kommen, weil es vielleicht gar keinen gab. Die Keuschheit liegt aber weniger in einem skrupulösen Erzählstil als mehr in der Einsicht, dass in der westlichen Gesellschaft heute anderes verstört und also einen Roman erfordert: „Bei (Roland) Barthes fand ich auch den Gedanken, dass heute nicht mehr das Sexuelle unschicklich war, sondern das Empfindsame …“

Korrumpiert

Entsprechend lässt Vita den Leser an ihren Zweifeln, mehr als an ihrem Begehren teilhaben. Sie ist nun einmal eine Frau, die alt wird und sich in einen sehr jungen Mann auch deshalb verliebt hat, weil er sie verjüngt. Eine Frau, die ständig Angst hat, dass der Geliebte ihr entgleitet, flüchtig wird – unter anderen Vorzeichen war dies das große Thema von Marcel Proust –, und die sich durch ihre Angst korrumpieren lässt. „Später nahm (Zev) mich beiseite und erklärte, Deb habe ihn mit Dave getroffen gestern, hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt. Er wisse, dass sie jetzt misstrauisch sei, wahrscheinlich denke sie, er habe die Seiten gewechselt und Dave habe ihn für die NSA rekuriert. Ich sagte nichts, hoffte, dass er nicht auch mein Misstrauen sah.“

Es sind ungewöhnliche Töne, die dieser Roman anschlägt. Vielleicht bedarf es einer Außenseiterin im Literaturbetrieb, um sie anzuschlagen; Zora del Buono war Architektin und Bauleiterin in Zürich und Berlin, bevor sie über den Journalismus (Mare) zum Schreiben fand. Ihre Novelle Gotthard wurde 2015 von der Kritik zwar gelobt, und doch führte von da kein Weg auf die aktuelle Longlist des Deutschen Buchpreises, was wir hier einfach mal einen Skandal nennen wollen, um diesem feinen, kleinen Roman wenigstens zu der Aufmerksamkeit zu verhelfen, die er verdient.

Info

Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt Zora del Buono C. H. Beck 2016, 174 S., 18,95 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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