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Cornelia Koppetsch Ein Bericht bescheinigt der Soziologin gravierende Mängel im wissenschaftlichen Arbeiten. Der Fall macht ratlos, aber es spricht dennoch viel für ihr Buch
Ausgabe 34/2020
Dass Fehler passiert sind, ist nun schwer von der Hand zu weisen. Aber sieht denn keiner das schöne Resultat?
Dass Fehler passiert sind, ist nun schwer von der Hand zu weisen. Aber sieht denn keiner das schöne Resultat?

Foto: blickwinkel/Imago Images

Als die Plagiatsvorwürfe laut wurden, haben wir unsere Autorin, Stichwortgeberin und Interviewpartnerin Cornelia Koppetsch gegen den, wie es schien, kleingeistigen Anwurf verteidigt, die Soziologin hätte in ihrem brillanten Bestseller Gesellschaft des Zorns von anderen abgekupfert. Nun fällte die TU Darmstadt ein vernichtendes Urteil über ihre Professorin. Eine Untersuchungskommission hatte in zwei Büchern und vier Aufsätzen 111 Verstöße gefunden. Die Schriften enthalten somit laut Pressemitteilung „nicht einzelne, punktuelle Fehler. Sie weisen vielmehr eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten auf, die sich breit gestreut über alle überprüften Texte verteilen. Zahlreiche der problematischen Stellen sind als Plagiate, etliche als markante Textübernahmen zu bewerten. Hinzu kommen Verschleierungsbefunde und Stellen, die dem Muster des ‚Bauernopfer‘-Belegs entsprechen. [...] Die dokumentierten, ungekennzeichneten oder missverständlich nachgewiesenen Übernahmen und Verwertungen fremder Textpassagen stellen in Qualität und Umfang einen gravierenden Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis dar. Das Lagebild weist auf eine durchgehend verfehlte Arbeitsweise von C. Koppetsch hin. Teils werden gehaltvolle, oft aber auch unoriginelle Textabschnitte als Mosaiksteine verbaut oder eigene Aussagen an fremden Textstücken entlang formuliert. Es ist in hohem Maße unwahrscheinlich, dass die gelisteten Verstöße gegen die Regeln der Zitatkennzeichnungen und des Umgangs mit Literatur, das Weglassen von Nachweisen in übernommenen Stellen sowie die vielfach inhaltsneutralen Wortlaut-Veränderungen von übernommenen Stellen gänzlich unabsichtlich (i. S. v. ‚versehentlich‘) geschehen sind.“

Was soll man da sagen? Vielleicht, dass Frau Koppetsch in ihren Schriften zwar auch plagiiert hat, aber immer so, dass es anders als in dem korrekt zitierenden, jedoch umständlichen Kommentar, den Sie gerade lesen, nicht langweilig geworden ist?

Aber das will man nicht als letztes Wort stehen lassen. Der Kollege Gustav Seibt hat ein wirklich gutes Argument pro Koppetsch gefunden. Zitat aus der Süddeutschen Zeitung (online aufgerufen am 17. August 2020, 16:46 Uhr): „Wer wie Koppetsch eine großräumige Landkarte entwirft, muss zwangsläufig Entdeckungen anderer aufgreifen. Im Genre des wissenschaftlichen Handbuchs [...] sind summarische Verweise auf maßgebliche Titel der Forschung immer üblich gewesen. Je geistreicher solche Handbücher sind (das gibt es: geistreiche Handbücher), umso mehr glänzen sie mit eigenständigen Reformulierungen fremder Gedanken. Denn einen Gedanken hat man erst völlig verstanden, wenn man ihn in eigenen Worten wiedergeben kann. Dass diese Durcharbeitung im Detail bei Cornelia Koppetsch allzu oft fehlt, ist kein beiläufiger Makel. Trotzdem vermisst man bei der Strenge des Darmstädter Verdikts eine Binnendifferenzierung dessen, was ‚wissenschaftliche Praxis‘ ist. Diese sieht bei empirischer Einzelforschung, bei der Vorstellung neuer Quellen anders aus als bei einer durchargumentierten, weiträumigen Theorie oder auch einer erzählerischen Synthese. Richtig zitiert werden muss immer. Aber die Eigenständigkeit einer Leistung kann auch im Zusammenfügen eines neuen Bildes bestehen.“ Stimmt total!

Das allerletzte Wort soll indes die Soziologin haben. Cornelia Koppetsch schreibt mir: „Ich bleibe dabei, dass ich nicht absichtlich plagiiert habe.“

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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