Wer durch Berlin geht, entwickelt Zerstörungsfantasien. Ungezählte heimliche Sprengmeister sind in dieser Stadt unterwegs. Keiner sollte da ein schlechtes Gewissen haben, mit Terrorismus hat das nichts zu tun, sondern mit wachem Bürgersinn. Außerdem kann man sich auf den Berliner Flaneur Walter Benjamin berufen: „Der destruktive Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen. Sein Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum ist stärker als jeder Hass.“
Wie oft habe ich schon das „Alexa“ in die Luft gesprengt (nachts, versteht sich, nach Warnung) und neuerdings auch das „Meininger“ am Hauptbahnhof. Es ist auch nicht nur so, dass ästhetische Katastrophen in die Luft gesprengt werden wollen oder ideologisch unliebsame Bauwerke. Ja, auch der Fernsehturm wird ständig in die Luft gesprengt, von den Touristen, die dahin schauen, ohne es zu sollen, einfach weil es das Unbewusste ist, das einem die Sprengung diktiert. Und dann ist da noch Heiner Geißler, der vor gut zehn Jahren gefordert hatte, die Siegessäule im Tiergarten in die Luft zu sprengen: „Das ist wilhelminischer Kitsch. Die Siegessäule ist das dümmste Denkmal, das in Deutschland herumsteht.“ Man kann sich die Empörung vorstellen.
Dagegen klingen die Initiatoren des Fördervereins Palast der Republik versöhnlich, wenn sie nun fordern, dass das Humboldt Forum nach 30 Jahren ab- und an seiner Stelle der Palast der Republik wiederaufgebaut werden soll (der Freitag 30/2021). Die 30 Jahre ergeben sich aus der Lebenszeit des Palastes, 1976 bis 2006, nicht aus bautechnischen Überlegungen. Die allerdings gab es in der Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses durchaus. Es wurde beklagt, dass die Kopie keinesfalls so lange stehen könne wie das 1713 fertiggestellte barocke Original, denn der Stahlbeton, aus dem es gebaut ist, hält auch bei bester Pflege nur begrenzt. Daraus könnte man einen touristischen Vorteil ziehen, und es ist ja nicht verwerflich, dass eine Stadt eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen pflegt: Das Provisorische, Temporäre begeistert in Berlin mehr als das Dauerhafte. Die „Humboldt-Box“ an der Baustelle des Forums war populärerer als das Stadtschloss selbst, der verhüllte Reichstag verzauberte Millionen, weil man wusste, dass dieses Werk vergänglich ist.
Die historischen Rekonstruktionen machen aus Berlins Mitte keinen historisch rekonstruierten Ort. Das Ganze bleibt ein Flickenteppich, aus dem freilich die Ost-Moderne, zu der auch der Palast der Republik gehört, im ideologischen Eifer restlos entfernt wurde.
Aber Berlin bleibt ein unförmiges Ding, das seine stärkste Kraft nicht durch imposante Wolkenkratzer oder pompöse Schlösser entfaltet, sondern durch Ruinenlandschaften, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht, wohl aber in den Wendejahren einen gelebten Mythos schufen. Mit Stern 111 hat Lutz Seiler dieser Zeit ein literarisches Denkmal gesetzt. Es ist kein Zufall, dass der Palast der Republik nicht in seiner DDR-Nutzung auferstehen soll, sondern in seiner schon ruinösen Gestalt vor dem Abriss 2006, als der Bau für Kunstaktionen zwischengenutzt und zum Symbol eines fragenden Aufbruchs wurde, exakt an der Grenze zur Historisierung der Nachwendezeit.
Denn hier muss man nun mit den Puhdys sagen: „Ein jegliches hat seine Zeit. Steine sammeln, Steine zerstreu’n.“ Jene Zeit ist perdu, künftige Aufbrüche werden anderswo stattfinden. Aber immerhin, und das ist nicht wenig, schaffen solche Initiativen eine nicht-museale Form von Erinnerung, selbst oder gerade wenn es am Schluss nur zur geplanten Stufe „Fassaden-Simulation des Palasts mit bedruckten Planen“ reichen sollte. Denn das ist ja die Frage: Wie erinnert sich eine Stadt an eine flüchtige Zeit?
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