Stellt die Uhren nicht zurück, sondern vor!

Initiative Diesen Sonntag endet die Sommerzeit. Die Welt stürzt in Dunkelheit. Das müsste nicht sein. Not tut eine moderne Winterzeit
Ausgabe 43/2014
Die Sommerzeit nicht beenden, sondern radikalisieren, nach vorne drehen. Progressiv sein!
Die Sommerzeit nicht beenden, sondern radikalisieren, nach vorne drehen. Progressiv sein!

Foto: Jeff J. Mitchell / Getty Images

Wenn kommendes Wochenende die Sommerzeit endet, müssen sich Sonntagfrüh nicht nur viele Menschen mühsam vergewissern, was die Zeitumstellung für ihren Tag bedeutet. Sie glauben sogar einen kleinen Sieg errungen zu haben, wenn sie es verstanden haben: Hurra, wir können noch ein Stündchen schlafen.

Es ist ein Pyrrhussieg, an dem man schon wenige Stunden später keine Freude mehr hat. Die Sonne geht dann, um hier mal von Berlin zu sprechen, nicht mehr gegen sechs Uhr unter, sondern schon gegen fünf! Und immer so weiter, bis die Sonne schon um vier Uhr weg ist, sofern sie überhaupt zu sehen war. Denn bekanntlich scheint sie im November in Berlin einfach gar nicht.

Es ist also grauenhaft und wohlbekannt. Aber anders als bei anderen grauenhaften und wohlbekannten Dingen (Mietentwicklung, Finanzkapitalismus, Sterblichkeit) wäre eine Lösung sehr einfach: Man müsste die Uhr nicht eine Stunde zurück-, sondern eine Stunde vorstellen. Die Sommerzeit nicht beenden, sondern radikalisieren, nach vorne drehen. Progressiv sein!

Aber wo sind die politischen Kräfte, die man für eine Stärkung der Sommerzeit gewinnen könnte, da diese doch stark kritisiert wird? Eher selten hört man, dass die Nazis die Sommerzeit zwar nicht erfunden haben – das geschah im Ersten Weltkrieg –, aber doch für ihre Verbrechen nutzten. Wieder eingeführt wurde sie dann 1980 als Folge der Ölkrise der 70er Jahre. Man glaubte, Energie zu sparen. Aber ob das stimmt, wird bezweifelt. Unter anderem auch von der Piratenpartei, die für die Abschaffung der Sommerzeit im EU-Raum plädierte. Es ließen sich kein positiver Energiespareffekt feststellen. Was an Strom für die Beleuchtung eingespart wird, werde „durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch die Vorverlegung der Hauptheizzeit ‚überkompensiert‘“. So wenig ein Nutzen für die Umwelt erwiesen sei, so sicher sei der Schaden für die Menschen: „Die Anpassung an den neuen Tagesrhythmus dauert für einen Menschen mindestens mehrere Tage, ist dadurch potenziell gesundheitsschädlich und verringert während des Umstellungszeitraums die persönliche Produktivität aufgrund der längeren Anpassungsphase.“ Mit dem gleichen Argument könnte man auch das interkontinentale Fliegen verbieten (das man aus ökologischen Gründen selbstverständlich maßvoll betreiben sollte).

Das Problem mit der Piratenpartei hat sich bekanntlich erledigt. Aber auch die CDU ist gegen die Sommerzeit. Auf dem Parteitag im April wurde ihre Abschaffung beschlossen. Die Umstellung sei teuer und umständlich, hieß es zur Begründung. Und außerdem irgendwie gegen die Natur des Menschen. Gegen welche Natur eigentlich? Was wir seinerzeit an der Uni in avancierten Seminaren gelernt haben, ist mittlerweile Alltagsbewusstsein und durchdringt selbst die CDU, formerly known as konservative Volkspartei, wenn es um Genderfragen oder Gentechnologie geht: Dass die Natur nämlich ein Konstrukt sei.

Richtig, die Winterzeit wäre eine künstliche Hilfe. Aber im Zentrum der Politik sollte der Mensch stehen. Und Fakt ist, der Mensch leidet unter dem frühen Eindunkeln im Winter. Ganz besonders in Berlin, aber eigentlich überall in Deutschland. Für ihn wäre nicht die Abschaffung der Sommerzeit ein Segen, sondern vielmehr eine modern verstandene Winterzeit. Diese hätte sogar einen ökologischen Nebennutzen. All die Flüge von Berlin-Schönefeld nach Gran Canaria in den kommenden Monaten wären dann hinfällig.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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