Türkische Riviera

Hegelplatz 1 In die Türkei zieht es viele Urlauber wegen der preiswerten Reisemöglichkeiten. Michael Angele hat sich mal in einem Resort-Hotel umgeguckt
Ausgabe 42/2018

Hegelplatz 1

Der Weg zur Erleuchtung führt über die traurige Erkenntnis, dass die meisten Menschen andere Vorstellungen vom Glück haben als die, die wir all unseren Bestrebungen beim Freitag zugrunde legen. Klar, die meisten Menschen wollen vermutlich schon auch Frieden, eine gerechte Gesellschaft und eine intakte Umwelt, und sie würden dafür, murrend, einen Soli zahlen. Aber vor allem wollen die meisten Menschen, wenn sie die Wahl haben: „all-inclusive“. Durch Umstände, die hier nichts zur Sache tun, verbrachte ich ein paar Tage in einem Gebilde namens Delphin Be Grand Resort an der Türkischen Riviera. Der schwache Kurs der Lira brachte es mit sich, dass das 800 Betten zählende, äußerlich einem orientalischen Palast ähnelnde Gebilde voller Menschen war, die man an so einem Ort nicht erwarten würde. Menschen, die ich dem unteren Mittelstand zuordnen würde. Menschen, die sich einen Traum erfüllten. Sie kamen aus vielen Ländern, besonders aus Deutschland und der Türkei selbst.

In der Mehrzahl handelte es sich um Kleinfamilien, die man in solche unterteilen kann, bei denen die Mutter ein Kopftuch trägt, und solche, wo es nicht getragen wird. Zwischen den beiden Gruppen waren keine Feindseligkeiten zu registrieren. Freilich auch kein Austausch. Man blieb unter sich und war mit dem Holen von Essen, dem Essen selbst und der Strandliege beschäftigt. Einmal lauschte ich einem Gespräch zwischen zwei Familien. Man tauschte sich über die Dauer des Aufenthaltes aus. Und über die Frage, ob man das Gebilde schon verlassen habe. Man hatte nicht, aber immerhin: Es blitzte die Möglichkeit eines Draußen auf. „Die Monade ist doch nicht fensterlos!“, könnte man Adorno zurufen. Aber erst einmal steht einem der Blick Michel Houellebecqs unter der ewigen Sonne Kleinasiens näher: Zu sagen ist, dass a) die meisten Mütter für Beauty empfänglich sind, und sich b) das „all-inclusive“ auf Essen und Entspannung, keinesfalls auf Sex bezieht.

Okay, es sind viele Kinder unterwegs, die es gut haben, es gibt eine Riesenrutsche. Im Aufzug laufen die Namen der Gäste, die Geburtstag haben, über den Bildschirm. Kann man hier auch sterben? Es ist eine Welt ohne Spuren, ohne Makel und Schrullen. Am Tag vor der Abreise entdeckte ich, dass einer der Fliesen auf den endlos langen blitzblanken Fluren eine Ecke fehlte. Mir kamen die Tränen, ich ging ins Untergeschoss und betrank mich im „Irish Pub“. Den Irish Pub muss man sich als das Gegenteil eines Irish Pubs vorstellen, wie einen riesigen Kegelbahnkeller ohne Kegelbahn. Anderntags verdunkelte sich der Himmel, ein heftiger Wind kam auf, schnell von der Liege hoch!, die Menschen eilten ins Innere des Gebildes, es geschah etwas, Fremde lachten sich zu. Wir machen weiter beim Freitag.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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