Über Schirrmacher sprechen. Ein Seminar

SS 2013 Die Abteilung Vergleichende Literaturwissenschaft bietet im Sommersemester 2013 ein Seminar über die Schirrmacher-Narration an

Das Sprechen über Frank Schirrmacher ist ein eigenes literarisches Genre. Es folgt beschreibbaren Regeln und einem klaren Setting: Berüchtigter Tycoon steht Feuilletonisten gegenüber, die ihn entweder entlarven wollen oder vor ihm kuschen. Oft folgt das eine auf das andere. Die Moral der Erzählung ist, dass weder der Sturz des Fürsten gelingen noch ein Favorit langfristig auf seine Kosten kommen kann. Es handelt sich um eine Erzählung über charismatische Medien-Herrschaft, die subtile Formen der Selbstzensur hervorbringt, und das Erstaunen darüber, welche Macht und welchen Erfolg man als Feuilletonist erringen kann. Wiewohl primär oral, ist sie ein intertextuelles Phänomen. Bezüge finden sich in Eckhard Henscheids 10 : 9 für Stroh, in Rainald Goetz’ Los-labern und im Krimi Vor dem Sturm (Kopiervorlagen 3, 5, 7). Dieses „Archiv“ (Foucault) soll ergänzt werden um die Lektüre von Honoré de Balzacs Roman Verlorene Illusionen aus dem 19. Jahrhundert, in dem schon fast alles über das Treiben des Feuilletons gesagt wurde.

Gegenstand des Seminars wird auch die Frage nach dem Ursprung dieser Narration sein. Ein Schlüsseltext ist der Beitrag „Überflieger im Abwind“ aus dem Spiegel 20/1996, der die Elemente des entlarvenden Diskurses in nuce enthält (Kopiervorlage 8). Der Text zeigt auch, wie der entlarvende Diskurs in den bewundernden umschlagen kann: „Die Grenzen zwischen Wahrheit, Ausschmückung und freier Erfindung sind bei dem hochbegabten Mann kongenialisch fließend.“ Bewunderung findet das Genie, unterschiedlichste Debatten zu lancieren (Christa Wolf, Überalterung, Zerstörung der Köpfe durch das Internet) oder wenigstens einen Begriff in aller Mund zu schieben („Algorithmus“, „Spieltheorie“).

Königs-Topos der Erzählung ist „Schirrmachers Alarmismus“ (Hans-Jürgen Jakobs), den es auch als „nervigen Alarmismus“ (Bernd Ulrich) oder „kulturpessimistischen Alarmismus“ (Gundolf S. Freyermuth) gibt. Der Alarmismus wird selbst dann erwähnt, wenn ein Buch positiv besprochen wird (siehe SZ vom Samstag, Kopiervorlage 10). Der Inhalt der Bücher ist aber kein Thema der Schi.-Narration. Themen sind: Verkaufszahlen, Mode, Apokalypse-Kompatibilität, die vergleichsweise wenigen Auftritte in Talkshows, um das Buch zu bewerben, sowie Fehler aller Art. Die penible Aufzählung einer Fülle von Rechtschreib- und Grammatikfehlern im Buch Payback findet man im aktuellen Merkur: „Da ‚eröffnen sich Raum‘, da ‚nimmt die Informationstechnologien uns Zeit‘(38)“. Was bedeuten sie für die Schi.-Narration? Das Seminar wird auch nach dem Lektorat in der Verlagsgruppe Randome House fragen müssen. Gibt es überhaupt eins?

Zu guter Letzt soll sich das Seminar literatursoziologischen Themen öffnen. Geläufig ist die These, dass Kritik an Schirrmacher unterbleibe, weil sich die Akteure nicht um ihre Karrierechancen bringen wollen. „Kaum ein Kollege, der dort nicht entweder publizieren oder rezensiert werden möchte, kaum einer, der sich Schirrmacher zum Feind machen will“, schrieb zuletzt der Springer-Journalist Cornelius Tittel im recht durchschaubaren Vorsatz, mit seiner Kritik eine Ausnahme von dieser Regel zu bilden (Kopiervorlage 5). Ein Blick auf die Arbeitsmarktsituation von Kulturjournalisten soll zur Frage führen, ob es mit Kritik nicht insgesamt schlecht bestellt ist und man nicht eigentlich auch mal diesen oder jenem anderen Kulturtycoon an den Karren fahren müsste. Die Teilnehmer des Seminars sind angehalten, eigene Vorschläge einzubringen.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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