Die Nachricht, dass der 47-jährige Schriftsteller, Journalist und Kunsthändler Florian Illies neuer Verleger bei Rowohlt wird, wurde von der Öffentlichkeit positiv aufgenommen. Ein charismatischer Typ, der nicht zuletzt mit seinem Bestseller 1913 bewiesen hatte, dass man mit intelligenten Büchern unterhaltend bilden und ergo erfolgreich sein kann. Ein Typ, der nicht nur von sich selbst sagte, dass er andere gerne begeistert, von dem das auch glaubhaft überliefert werden kann (zum Beispiel vom Verfasser dieser Zeilen). Ein Typ schließlich, der mit viel Elan der Welt und der verunsicherten Branche beweisen will, dass das Buch so lange lebt, wie ein Blogger noch von ihm träumt.
Und so wäre alles in Butter gewesen, wenn, nun ja, wenn auf dem Stuhl nicht schon jemand gesessen wäre, der da offenbar eigentlich gar nicht wegwollte. Der Name war bis vor einer Woche selbst in der Branche nicht allen geläufig: Barbara Laugwitz kam 2005 zu Rowohlt, vor vier Jahren übernahm die studierte Altphilologin dann den Verlag von Alexander Fest. Zwar geht der Trend dahin, dass auch große deutsche Buchverlage von Frauen geleitet werden, der Börsenverein des deutschen Buchhandels führt dazu keine Statistik, aber man denke etwa an Siv Bublitz, Programmgeschäftsführerin bei S. Fischer notabene, Felicitas von Lovenberg bei Piper oder Elisabeth Ruge, die heute Agentin ist. Aber wenn eine Frau in einer doch immer noch von Männern beherrschten Welt auf unwürdige Art und Weise gefeuert wird, wie zwei Artikel von Julia Encke in der FAS teils andeuteten, teils benannten, braucht man sich über die Empörung nicht zu wundern. Mit Fassungslosigkeit wurde besonders die Nachricht quittiert, Laugwitz habe „seither eine Kontaktsperre, die es ihr untersagt, mit den Mitarbeitern des Verlags, den Autoren und mit den Medien zu kommunizieren“.
Fünfzig Zigaretten
Die Methode ist möglicherweise nicht rechtens, die Arbeitsrechtsberatung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sieht in einer solchen Kontaktsperre sogar einen Eingriff ins Persönlichkeitsrecht. Das werden die Gerichte wohl regeln müssen. So oder so würde man solche Methoden eher von einem skrupellosen Großkonzern erwarten als von einem Stuttgarter Familienunternehmen, zu dem neben Rowohlt zentral die Verlage S. Fischer und Kiepenheuer & Witsch gehören. Verlage, die den Anspruch haben, Qualität und Wirtschaftlichkeit zu verbinden, die mit erfolgreichen Publikumstiteln auch anspruchsvolle Bücher querfinanzieren, Verlage, die sich in ihrem Renommee gegen vermeintlich seelenlose Buchhochdruckmaschinerien und Hire-and-Fire-Betriebe wie Random House Bertelsmann stellen. Diese Verlage befinden sich im Besitz von Stefan von Holtzbrinck, der wiederum beteiligt ist an der abgetrennten Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH seines Bruders, die sich mit Zeit, Handelsblatt und Tagesspiegel sowie weiteren Titeln aufs Pressegeschäft konzentriert.
Die Kündigung schien der Branche umso rätselhafter, als Barbara Laugwitz ein wirtschaftlich erfolgreiches Programm verantwortet. Rowohlt schien geradezu ein Beispiel dafür zu sein, wie man die tiefe Krise, in der sich die Buchverlage befinden, meistern kann. Noch im Juli hatte die Verlegerin dem Börsenblatt Auskunft über ihre aktuellen Bestseller gegeben, vielleicht stand sie da schon unter Druck, ihre Nennungen reichten von Eckart von Hirschhausen über Jojo Moyes und Michel Wolffs Feuer und Zorn bis zu Daniel Kehlmanns Tyll. Kehlmann, der mit 1,5 Millionen verkauften Exemplaren von Vermessung der Welt in Deutschland den erfolgreichsten Hardcovertitel des Verlags geschrieben hatte, war es denn auch, der sich als erster Autor zu der Entlassung seiner Verlegerin öffentlich äußerte. Anlässlich einer Preisverleihung dankte er ihr im Namen der Autoren und fügte seinen Dank die spitze Bemerkung hinzu, dieser simple Satz sei „leider schon mehr Dank, als die Holtzbrinck-Führung für ihre erfolgreichste Verlegerin erübrigen konnte“.
Ohne Wikipedia-Eintrag
Auf Kehlmann folgte ein, wie das neudeutsch heißt, „Lovestorm“ jener Autoren und Autorinnen, die Laugwitz gefördert und betreut hatte. Paul Auster, Jonathan Franzen und Siri Hustvedt bekundeten ihren Unmut aus den USA. Der Verlag hatte offenbar die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wer sich ein wenig in der Szene umhört, erfährt, dass diese Frau, die bis zu fünfzig Zigaretten am Tag raucht, für ihre Autoren brennt, was sich zum Beispiel daran zeige, dass sie auf Details selbst bei Nebenwerken achte, wie dem Prosaband Ein Zimmer im Hotel von David Wagner, der ohne ihren Eingriff deutlich schlechter nur „Zimmer im Hotel“ hieße. Intensiv war auch ihre Zusammenarbeit mit dem Arzt Eckart von Hirschhausen, den sie als humorigen Autor entdeckt und dessen Die Leber wächst mit ihren Aufgaben sie gegen Skepsis auf der berüchtigten Vertreter-Konferenz durchsetzte.
Drei Millionen verkaufte Taschenbücher waren der Lohn. Aber wer weiß schon da draußen, wer diesen enormen Erfolg ermöglicht hat? Zweifellos gehört Barbara Laugwitz zu dem Typus im Kulturbetrieb, der sich seine Anerkennung weniger durch den Applaus der Öffentlichkeit holt als mehr im stillen Genuss über ein gelungenes Werk und den Zuspruch im Arbeitsprozess.
Nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag besitze sie, war in einem der Artikel zu lesen, der als mögliche Erklärung für Laugwitz’ Entlassung die Unzufriedenheit über ihre geringe öffentliche Präsenz nannte und diesem Mangel die Ausstrahlung des künftigen Verlegers gegenüberstellte. So argumentierte auch der Spiegel, der ein paar Fragen an Florian Illies stellte, sich aber nicht lange bei der Vorgängerin aufhielt oder gar fragte, was Illies von ihr lernen könne, sondern lieber Auskünfte über den Bezug zum Gründervater einholte: „Schwebt Ihnen ein ähnlich ausschweifendes, festliches, größenwahnsinniges, heldenhaftes Leben wie das des legendären Verlagsgründers Ernst Rowohlt vor oder des nicht minder legendären Heinrich Maria Ledig-Rowohlt?“
Willkommen im Boys Club
Illies konterte das komische Pathos dieser Frage mit Ironie: „Halb so ausschweifend“ soll es sein. Aber selbst dieser für Illies typische spielerische Zugang führt in die Tradition der Großen Männer des Verlagswesens. Der Fall hat eine symptomatische Bedeutung: Einerseits wächst in der Krise der Verlage die Sehnsucht nach einer Rückkehr des virilen Verlegers. Und andererseits wächst das Unbehagen an dieser Gestalt. Was in den Augen der einen ein Nachteil von Laugwitz zu sein scheint, verwandelt sich durch die feministisch inspirierte Empörung ins Gegenteil: Schaut her, Männer, diese Frau hat eure lächerlichen Ränke und eure heroischen Posen nicht nötig, sie ist einfach eine gute Verlegerin. In dieser Perspektive schreibt der Rauswurf fast schon eine #metoo-Geschichte. Am krassesten drückte das die Schriftstellerin Elfriede Jelinek in einer Mail an die FAS aus: „Jetzt ist schon wieder eine Frau rausgekippt worden wie Abfall.“
Moderater formuliert, lautet das feministische Narrativ: Der Boys Club meldet seine Ansprüche an, ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist kein Geheimnis, dass Florian Illies mit dem Holtzbrinck-Konzern hervorragend vernetzt ist, er sitzt im Herausgeberrat der Zeit, publiziert seine Bücher bei S. Fischer, der von Jörg Bong geleitet wird, der selbst unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec seine Bretagne-Krimis bei Holtzbrinck publiziert (im KiWi-Verlag). Beide lassen sich vom vielleicht einflussreichsten deutschen Agenten vertreten, Matthias Landwehr, der über die Personalie bei Rowohlt alles andere als unglücklich sein dürfte, denn es ist nun einmal das Geschäft eines Agenten, einen Autor an einen Verlag zu vermitteln und dabei einen Vorschuss in einer Höhe zu verhandeln, die keinen der Beteiligten auch nur in die Nähe von Hungerleidern bringen kann (außer den Verlag manchmal).
Zwar kalkulieren Verlage heute viel vorsichtiger als in den goldenen Jahren um das Jahr 2000, aber zugleich treibt die potenziell stets vorhandene Wechselwilligkeit eines gefragten Autors ähnlich wie beim Fußball die Transfersummen, Pardon Vorschüsse, in die Höhe. Wenn man dann noch hört, dass Stefan von Holtzbrinck sehr angetan war von Illies, kommt vielleicht selbst für hartgesottene Branchenteilnehmer so viel an Vitamin B Superplus zusammen, dass es schon mal einschüchtern kann – und man seine Klappe lieber doch nicht zu weit aufreißt, um nicht Nachteile etwa bei künftigen Buchprojekten zu haben.
Toxisch verbunden
Gleichwohl bleibt es ein Rätsel, warum Barbara Laugwitz gehen musste und warum es in dieser brüskierenden Form geschah. In der Pressemitteilung ließ sich der Holtzbrinck-Geschäftsführer Jörg Pfuhl etwas wolkig zitieren, „unterschiedliche Vorstellungen über den weiteren Weg“ hätten zur Trennung geführt. Mehr als diese Presseerklärung gibt es nicht. Was man dennoch erkennen kann: Die brüske Art der Trennung lässt auf ein Zerwürfnis im Verlag schließen. Dass eine Verlegerin bei den Autoren und Autorinnen höchst beliebt ist, muss Konflikte mit dem Personal oder im Kollegium ja nicht ausschließen.
Vielleicht kam sie mit dem in der Rowohlt-Pressemitteilung genannten kaufmännischen Geschäftsführer Peter Kraus vom Cleff oder dem Marketinggeschäftsführer Jürgen Welte nicht klar? Das könnte sich dann toxisch verbunden haben mit dem „weiteren Weg“, den Laugwitz nicht gehen wollte. Diesen Weg können eigentlich qua Funktion nur Stefan von Holtzbrinck und Pfuhl bestimmt haben. Aber welcher sollte das sein? Stefan von Holtzbrinck ist ein erfolgreicher Verleger, aber er hatte mit seinen Projekten nicht immer Erfolg: Die Pleite von StudiVZ und ein in diesem Frühjahr spektakulär gescheiterter Börsengang mit dem Springer Wissenschaftsverlag Nature stehen belastend im Weg.
Was bedeutet das? Und was bedeutete es, dass Pfuhl 2016 zu Holtzbrinck aus der Geschäftsführung der Random-House-Gruppe kam, die er reformiert hatte? Droht die Bertelsmannisierung des Konzerns? Müssen sich Verleger künftig, egal ob Mann oder Frau, dem Diktat des Verlagsmanagements beugen? Wie groß werden dabei Spielräume für ein anspruchsvolles Programm samt schwerstverkäuflichen Theaterstücken von Elfriede Jelinek bleiben?
Wohin es Barbara Laugwitz zieht, ist nicht bekannt, wie viele Autoren ihr folgen werden, unklar. Florian Illies wollte mit dem Freitag zum jetzigen Zeitpunkt nicht sprechen.
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