„Jemand muss die Wahrheit sagen“ hieß es in der Redaktionskonferenz. Und was ist die Wahrheit?, fragte ich zurück. Chor: Die Wahrheit ist: Katar, Menschenrechte, Korruption, alles großer Mist, klar, aber die Spiele selbst sind einfach toll. Das muss jetzt jemand aufschreiben. Nämlich du. Als jemand an Katar rumgemotzt hat, hast du gesagt: So ein Käse! Steh dazu!
Ich antwortete: Da habt ihr euch verhört. Chiesa habe ich in den Bart gebrummelt, Federico Chiesa, rechter Flügel von Juve und Italien. Gemeint habe ich: Wieso ist der amtierende Europameister nicht einfach automatisch bei der nächsten Weltmeisterschaft dabei? Die Vergabe an Katar hat gezeigt, dass so vieles möglich ist, eigentlich alles. Warum das nicht? Italien hätte diesem Turnier so gutgetan.
Sandro Wagner und Kilian Mbappé
Statt Chiesa wird nun also Kilian Mbappé abgefeiert. Der beste Spieler des Turniers, heißt es, überragend. Verehrt wird ein Spieler, von dem Sandro Wagner zu Recht gesagt hat, dass er seinen Gegenspieler auch einfach über den Haufen rennen könnte. Stattdessen: Übersteiger, Richtungswechsel, Zidane-Pirouetten, alles nur da, um seinen Marktwert so zu erhöhen, damit er sich von PSG freikaufen kann. Mbappé, eine aufwändig getarnte Maschine, das ist die bittere Wahrheit, Freunde.
Ebenso wie es die Wahrheit ist, dass die „gefühlten Weltmeister“, die Brasilianer, ihre Maschinen noch nicht einmal getarnt hatten. „Richarlison“ ist der beim Patentamt eingetragene Name eines Spielers von 1 Meter 84 Zentimeter Größe, 83 Kilo Gewicht und einer Spitzengeschwindigkeit von 31,8 km/h. Noch kostet er 50 Millionen, aber bald geht er in Serie und ist dann in jeder Gurkenliga zu bestaunen.
Das Gesicht dieser Weltmeisterschaft
In meinen Bart gebrummelt habe ich auch: Marokko. Wisst Ihr eigentlich, was Ihr da abfeiert? Ihr nennt es „solidarisches Verteidigen“. Kontinentalplattenkollision? Marokko 2022 ist Deutschland 1994. Vogts. Brehme – Kohler – Buchwald. Der Sieg von Marokko über Portugal war ein Triumph der Sekundärtugenden über die Spielfreude. Erinnert man sich an den portugiesischen Trainer während des Spiels? Das Gesicht des todtraurigen Fernando Manuel Costa Santos ist das wahre Gesicht dieser Fußballweltmeisterschaft.
Und Berti Vogts. Lebt der eigentlich noch? Ja, tut er. Bei dieser WM ist er Kolumnist des Bonner Generalanzeiger. „Manndeckung ist auch im modernen Fußball nicht verboten“, schreibt er. Eine schlichte Wahrheit, die im Taktikwahn dieser WM untergeht. Immer die gleiche Leier: Wie überspielt man die Kette, wie knackt man das Zentrum? Und dann schaut man den Spielern beim x-ten Versuch zu, die Kette zu überspielen und das Zentrum zu knacken, und denkt sich: Jetzt müsste einfach mal rein geflankt werden – während der Kommentar exakt das gleiche sagt.
Fata Morgana Lionel Messi
Das Publikum dürstet so nach Überraschungen auch gegenüber sich selbst, dass es aus dem Häuschen gerät, wenn ein Freistoß mal nicht direkt ausgeführt, sondern in „die Box“ gespielt wird, wo Wout Weghorst (ein Unsympath vor dem Herrn) das Ding irgendwie rein stochert. Genial! Die Wahrheit ist, dass Standards bei dieser WM unterdurchschnittlich erfolgreich sind. Warum, keine Ahnung. Aber es passt ins Bild.
Der unerträgliche Durst nach Spielfreude lässt an Fata Morganen in der Wüste glauben. Sprechen wir zum Schluss also von Lionel Messi. Steht 80 Minuten auf dem Platz herum, und in den restlichen zehn Minuten schlägt er am Sechzehner einen Pass nach rechts, wo man erwarten würde, dass er nach links spielt. Wahnsinn! Und wie schwärmen sie, wenn sein drei Zentimeter größeres und drei Jahre älteres Gegenüber, Luka Modrić, an der Strafraumgrenze auftaucht und mit einem sehr, sehr seltsamen Grinsen einen Pass mit dem Außenrist (Wahnsinn!!) schlägt...
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