Leider ist das Buch über 50 Jahre Amerika-Gedenkbibliothek, das eine Facebook-Freundin für uns bei Amazon bestellt hat, immer noch nicht eingetroffen. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht, die offiziellen Stellen sind nicht auf meiner Seite. Die Pressesprecherin „schwört“, dass das Ding nie dort gestanden hat. Sie sei auf dem Dach gewesen, es gebe gar keine Halterung. Das Ding: der Schriftzug „Amerika-Gedenkbibliothek“. Ich war überzeugt, dass er viele Jahre auf dem Dach dieser Bibliothek in Berlin-Kreuzberg zu lesen war. Weithin sichtbar. Leuchtend in der Nacht. Dann wurde das „Amerika“ aus ihm entfernt. Ich meine, nach 9/11, aus Angst, die Bibliothek könnte ein Ziel für Anschläge geben. Feiglinge, sagte ich damals, und war als treuer Nutzer der Bibliothek insgeheim froh, dass man Maßnahmen getroffen hatte.
Ich hatte die Sache längst vergessen, als letzte Woche ein Kollege von der Welt sich auf Facebook ärgerte, dass das „Amerika“ im Schriftzug seit Jahren nicht mehr da stehe und keiner auf die Idee komme, es da wieder hinzustellen. Es meldeten sich Leute, die seinen Ärger teilten, aber auch ein „geborener Berliner“, der die absonderliche Meinung vertrat, dass es da nie gestanden habe. Das kann man im Internetzeitalter ja leicht widerlegen: rasch die Bildersuche anklicken und ein Foto suchen, auf dem der ganze Schriftzug zu sehen ist ... et voilà. Aber dann der Schock: Da ist nichts. Immer nur „Gedenkbibliothek“ auf dem Dach, nirgendwo „Amerika-Gedenkbibliothek“, wie die 1954 eröffnete Bibliothek, meistens kurz AGB genannt, unbestritten heißt. Weitere Leute meldeten sich, die sich ganz sicher waren, dass es da gestanden hat. Andere Nutzer gingen in die Archive, fanden Bilder aus dem Eröffnungsjahr, das Desaster nahm seinen Lauf. Die Ersten fielen vom Glauben ab. „Komisch, habe mich wohl getäuscht.“ „Ich hätte schwören können ...“
Beweise, Beweise
Ich blieb auf der anderen Seite, zumal Schriftstücke auftauchten. Zwei Blogs und die Kreuzberger Chronik, die ausdrücklich vermerkt, dass das „Amerika“ im Schriftzug entfernt wurde, wenngleich sie kein Datum nennt. Das macht Hoffnung. Rein theoretisch kann man alles in einem Foto retuschieren, es gibt historische Vorbilder aus der Sowjetunion. Ich fühle mich ein wenig wie ein Truther, der so lange an seine Wahrheit zum Absturz der Boeing, Flug MH17, glaubt, bis man ihm den sicheren Beweis des Gegenteils liefert. Aber was wäre der sichere Beweis? Eigentlich nur die Sache selbst und einer, der auf sie zeigt. Alles andere: unsicher. Die Erinnerung von „Augenzeugen“: besonders unsicher. Jean-François Lyotard hat das in seinem Buch Der Widerstreit durchdekliniert.
Auch unser Fall spricht ja leider von der Problematik der Augenzeugenschaft – wie viele glauben, den ganzen Schriftzug auf dem Dach gesehen zu haben! Ich habe den Poststrukturalismus ein wenig studiert, vielleicht hilft’s weiter. Die Logik des Supplements: Wir können uns das Abwesende nicht wirklich abwesend denken, holen es in unser Bewusstsein, Gott oder eben das „Amerika“ im Schriftzug auf dem Dach der AGB. Man nennt das Präsenzmetaphysik. Damit könnte ich unter Umständen leben. Aber noch glaube ich, dass es da wirklich war. Zumal das „Gedenkbibliothek“ nicht in der Mitte des Dachs steht, sondern in der rechten Hälfte. Hinweise bitte per E-Mail an mich. Bis dahin ist die Sache für mich eine urban legend; eine Legende muss ja nicht falsch sein, sie ist nur verdammt schwer zu beweisen.
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