Feuilletontexte bemessen sich auch nach der Originalität ihrer Fragestellung, und so fand ich es nicht ganz unoriginell, letzte Woche der Frage nachzugehen, was Adorno zu Björn Höcke zu sagen hat. Grundlage war ein Vortrag, den Adorno vor 52 Jahren zum Rechtsradikalismus seiner Zeit hielt.
Aber origineller ist natürlich die These, dass in Höcke „verblüffend viel Adorno“ stecke. So formuliert im aktuellen Feuilleton-Aufmacher der FAS von Claudius Seidl. Und was steckt denn nun an Adorno in Höcke? Natürlich nicht die Sprache, die hier begrifflich scharf, dort kitschig sei, vielmehr gebe es eine gemeinsame „Rhetorik des Verdachts“, bei Adorno im Begriff des „Verblendungszusammenhangs“ kulminierend, eine Sache, an die auch Höcke glaube, wenngleich er den Begriff „nicht verwendet“.
Nun wird man weder leugnen können, dass Adorno den Massenmedien seiner Zeit misstraute, noch dass er für die Unterhaltungsindustrie wenig übrig hatte. Aber heute sind die Massenmedien und die Unterhaltungsindustrie weniger einförmig als damals – und dass sie es nicht mehr sind, ist auch das Verdienst von Adorno und der Kritischen Theorie. Wichtiger schiene mir die Frage, ob sich die kulturelle Sphäre wirklich rechts polen lässt. Dass Höcke seine Anhänger gegen die „Lügenpresse“ einschwört, geschenkt, aber wie will er mit einer völkischen Ideologie massenwirksam werden? Kann sein, dass „Hobbit“-Fanzirkel, Ritterfeste, selbst Fortnite-Spielen mit rechter Gesinnung verträglich sind, fraglich bleibt dennoch, wie man in der kulturellen Sphäre hegemonial wird – vom Fachwerk bis zur Stauffenberg-Saga. Der reaktionäre Antimodernismus dürfte hier an Grenzen stoßen.
Skandalöse Entwicklung
Das zweite Vergleichselement ist nach Seidl ein „habitueller Antikapitalismus“. Bei Höcke laufe dieser Antikapitalismus auf eine ethnisch reine „Neu-DDR“ hinaus. Ein im besten Sinn provozierender Gedanke, aber was hat er mit Adorno zu tun? Adornos „Antikapitalismus“ war motiviert durch den Holocaust. Die Industrie hat den Massenmord nicht verhindert, sondern der Massenmord war ein industrieller. Unter diesem Zeichen stand sein Nachdenken; was daran habituell sein soll, erschließt sich mir nicht. Adorno ist auch hier ein Stück weit Geschichte, zu fragen, was er zum digitalen Kapitalismus gesagt haben könnte, müßig.
An dieser Stelle hinkt der Vergleich davon, und man gewinnt den Eindruck, dass er auch gezogen wurde, um einen linken Antikapitalismus an seine Abgründe zu führen, indem er uns Höcke als national und sozialistisch zeigt, Querfront eben. Darauf lässt dessen Rede von der kleinen „Geldmachtelite“ schließen, den „wenigen hundert Letzteigentümern der miteinander verflochtenen internationalen Konzerne“.
Nun ja, könnte es nicht sein, dass Höcke in verschwörungstheoretisch verzerrter Form die skandalöse Entwicklung der Verteilung des weltweiten Reichtums aufgreift? Nehmen wir eine des Antikapitalismus und Antisemitismus unverdächtige Quelle: „40 Milliardäre besitzen so viel wie die halbe Welt.“ So die Welt. Zurück zu Adorno. Der hatte bei den Rechtsextremen auch beobachtet, dass „keineswegs alle Elemente dieser Ideologie einfach unwahr sind, sondern dass auch das Wahre in den Dienst einer unwahren Ideologie dabei tritt“. Diesen Zusammenhang zu erhellen, mag man den „Verblendungszusammenhang zerreißen“ nennen, oder auch nicht. Das Feuilleton mit seinem Drang zur Originalität ist für diese publizistische Kärrnerarbeit womöglich der falsche Ort.
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