Der Besuch in unserer Redaktion endete nicht ohne Kritik an einem Freitag-Leitartikel über die Bauernproteste: Um Jürgen Trittin mag es etwas stiller geworden sein, meinungstark und überzeugt von grüner Politik ist er immer noch.
der Freitag: Herr Trittin, in Umweltfragen halten Sie sich zurück.
Jürgen Trittin: 2005 habe ich mich bewusst entschieden, nicht meinen Nachfolger zu nerven. Habe mir aber erhalten, in der Fraktion für die Energieaußenpolitik zuständig zu sein.
Ihr Ministerium hatte den Zusatz „für Reaktorsicherheit“, jetzt steht da „für nukleare Sicherheit“.
Reaktorsicherheit ist mit dem von uns eingeleiteten Atomausstieg so gut wie erledigt. 2022 geht das letzte AKW vom Netz, dann bleibt die nukleare Entsorgung.
Was, wenn ich aus ökologischen Gründen für Atomkraft bin?
Man kann die Klimakrise nicht mit einer hoch subventionierten Hochrisikotechnologie bekämpfen. Atomkraft kann das Klima nicht schützen. Atomstrom trägt weltweit nur zehn Prozent zur Stromproduktion bei. Um substanziell CO₂ einzusparen, müssten Sie massiv in neue AKWs investieren. Atomenergie ist nicht CO₂-frei. Sie müssen enorm viel Stahl und Beton verbauen, Sie müssen Uran abbauen. Strom aus neuen Atomkraftwerken kostet gut das Fünffache von Windstrom. Hohe Anteile an Erneuerbaren und Atomkraft sind im Netz miteinander nicht kompatibel. Atomkraftwerke haben ein nicht beherrschbares Sicherheitsrisiko und produzieren den gefährlichsten Müll der Welt.
Allerdings werden einem solche Antworten in Deutschland nicht so oft abverlangt. Die AfD steht ja fest auf der Seite der Klimaleugner.
Die harte Linie beim Umweltschutz verläuft zwischen den Strukturkonservativen und denen, die sagen, wenn wir unsere Gesellschaft erhalten wollen, müssen wir sie radikal ändern. Dann muss die doppelte Moral beendet werden, wonach 20.000 Arbeitsplätze in der Braunkohle mehr wert sind als 100.000 in der Solarbranche. Die AfD hat in der Tat neben ihrer völkischen und rassistischen Ideologie das Klimathema entdeckt. Sie leugnet den Klimawandel. Da findet sie den Schulterschluss zur fossilen internationalen Rechten. Das ist ja die Energiepolitik des Donald Trump: Raus aus dem Pariser Abkommen und zur – fossilen – Energiedominanz durch Fracking und unilaterale Sanktionen.
Sie sollten für uns mal „Losing Earth“ von Nathanel Rich besprechen. Dazu ist es leider nicht gekommen. Rich behauptet, dass unter Reagan und Bush die Möglichkeit der Abwendung der Klimakatastrophe möglich gewesen wäre, weil die im Gegensatz zu Trump ein Problembewusstsein hatten. Wie beurteilen Sie das?
Das überzeugt mich nicht so ganz. Reagan und Bush waren Männer der Ölindustrie, Reagan hat die Umweltpolitik massiv zurückgefahren. Und denken Sie nur an die auch damals sehr gut ausgebauten Lobbynetzwerke. Aber ja, trotzdem ist viel der wissenschaftlichen Erkenntnis US-amerikanisch. Wenn Trump das heute zum „chinese hoax“ erklärt, erklärt er seine eigene Wissenschaftselite für unseriös. Das Hauptproblem ist doch, dass Menschen mit den bisherigen Strukturen sehr viel Geld verdienen. Gerade die fossile Form der industriellen Entwicklung hatte immer sehr viel zu tun mit Monopolen. Diese waren überhaupt nicht an neuen Akteuren interessiert. Das ist die Lehre aus der Energiewende, die wir eingeleitet haben. Sie bringt neue Menschen ins Geschäft. Das wollte unter Reagan niemand. Also: Man hatte Möglichkeiten, aber eben auch mächtige Gegner.
Zur Person
Jürgen Trittin wurde 1954 in Bremen geboren und kam über linksradikale Splittergruppen zu den Grünen. Unter Gerhard Schröder war Trittin von 1998 bis 2005 Umweltminister. Von 2009 bis 2013 waren er und Renate Künast Fraktionsvorsitzende. Heute ist er Bundestagsabgeordneter
Das sagt das Buch auch. Es operiert aber mit einem Vergleich. Beim Ozonloch war beherztes Handeln ja möglich! Durch das Verbot von FCKW.
Der Vergleich hinkt. Erstens: Es handelte sich um einen einzelnen Stoff, der durch einen anderen Stoff substituiert werden konnte. Zweitens: Der Schaden war eingetreten. Das Problem der Klimapolitik ist, dass wir handeln müssen, bevor der große Schaden eintritt. Vorbeugen statt nachsorgen. Und jetzt hören wir, wie die Permafrostböden auftauen, die Meere übersäuern, die Gletscher schmelzen; alles viel schneller, als die Wissenschaft prognostiziert hatte. Wir nähern uns dem Punkt, ab dem wir die Klimakrise nicht mehr vermeiden, sondern nur noch managen, vielleicht begrenzen können.
Ich traue Prognosen nie so ganz. Selbst bei dieser Debatte um die Tipping Points nicht.
Müssen Sie auch nicht: Wir laufen auf ein Risiko zu, wir kennen die Faktoren. Wir wissen nicht, wann die Prognosen eintreten, aber wir wissen, dass sie eintreten können. Jetzt geht es darum, wie die Gesellschaft mit diesem Wissen umgeht. Setzen wir alles daran, die Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten, zu vermindern? Das wäre eine verantwortungsvolle Position.
Klingt vernünftig. Aber mir scheint, dass viele ahnen, wie komplex die Sache ist, und darum lethargisch sind.
Die Sache ist komplex. Aber es gehört zur demokratischen Verantwortung, den Menschen die Komplexität ein Stück weit zuzumuten, ihnen nicht einfache Lösungen zu versprechen. Man muss den Menschen gute Angebote machen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat nicht nur für den Rest der Welt diese Energien so billig gemacht, dass Atomkraft sich heute nicht mehr lohnt. Es hat auch dazu geführt, dass ein komplett monopolisierter Wirtschaftsbereich ersetzt wurde, durch Fonds, Bürgergesellschaften, Bauern und viele mehr.
Mir ist gerade der Namen unserer Umweltministerin entfallen.
Svenja Schulze.
Wie kommt es, dass das Umweltministerium so blass bleibt?
Das ist eine Frage des institutionellen Zuschnitts. Das Umweltministerium war historisch erst mal nur eine Ausgründung aus dem Innenministerium. Im Zusammenhang mit der Rolle der Atomenergie hat es aber an Bedeutung gewonnen, weil es da auch harte exekutive Funktionen hatte. Unter Rot-Grün wurde es dann noch mal stärker, weil es die Zuständigkeiten bekam für die erneuerbaren Energien. Diese Stärkung wurde dann in der zweiten großen Koalition, also nach Schwarz-Gelb, von Sigmar Gabriel revidiert. Der ehemalige Umweltminister Gabriel hat aus dem Umweltministerium die Energiefrage rausgenommen. Später hat er das Kunstwerk fertig gebracht, als Parteivorsitzender und Wirtschaftsminister in Personalunion seine Umweltministerin Barbara Hendricks extrem zu schwächen. Es hat also in der Großen Koalition unter der Verantwortung der SPD eine extreme Schwächung der Institution Bundesumweltministerium stattgefunden. Man muss eher Mitgefühl mit Svenja Schulze haben.
Wie stark war das Bewusstsein einer drohenden Klimakatastrophe, als Sie Umweltminister wurden?
Wenn Sie die großen Gesetzesvorgaben jenseits des Atomausstiegs rekapitulieren, dann haben wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz durchgesetzt. Und der Europäische Emissionshandel schien zwar eine europäische Initiative zu sein; in Wahrheit haben wir die Kommission zu solchen Maßnahmen angestiftet, weil wir das in der eigenen Regierung nicht hätten durchsetzen können. Insofern war bei den Grünen und Teilen der SPD, ich erinnere an Hermann Scheer, ein Bewusstsein für den Klimawandel da. Das hatte aber nicht diese Alltäglichkeit wie heute mit Fridays for Future, Parents for Future …
… Extinction Rebellion. Fühlen Sie sich da eigentlich an Ihre radikalen Anfänge erinnert?
Ich finde, Fridays for Future ist eine Bewegung, die sagt: ‚Wir wollen, dass sich was ändert. Weil wir wissen, was passiert, wenn wir das nicht tun.‘ Das ist eine Botschaft, die auf Gestaltung zielt. Eine Bewegung, die von den Verantwortlichen verlangt, ihr Wissen umzusetzen. Das ist ein völlig anderer Zugang als der von Extinction Rebellion, der sagt, wir stehen kurz vor der Auslöschung – und da ist alles erlaubt. Das stimmt nicht und es verkennt die Herausforderung: Die Menschheit wird auch unter den Bedingungen des Klimawandels erst mal überleben, aber sie wird es deutlich schlechter tun. Da müssen wir ansetzen.
Gut, aber Sie waren Ökosozialist. Insofern radikal. Kapitalismus ist Wachstum, und Wachstum und Ökologie ertragen sich nicht. Wie sehen Sie das heute?
Der Grundkonflikt ist nicht verschwunden. Ganz traditionalistisch durchbuchstabiert: Wir haben die vulgärmarxistische Analyse, wonach die Produktivkräfte nur entfaltet werden müssen und dann ein Umschlag der Produktionsverhältnisse stattfindet, ja schon mit der Gegnerschaft zur Atomenergie infrage gestellt. Wir haben eine spezielle Produktivkraft abgelehnt! Es gibt keine gute Atomkraft, in der Sowjetunion nicht, in China nicht, in Europa und den USA nicht.
Also verbieten. Das nennt man dann Ökodiktatur.
Nein, das nennt man Transformation. Eine Diktatur wäre es, wird dieses von oben mit Gewalt dekretiert. Ich plädiere stattdessen für ein demokratisch legitimiertes Primat. Ja: In bestimmten Bereichen werden sich Veränderungen der Lebensstile nur durchsetzen, wenn man auch zu Verboten greift. Wir haben dafür das Instrumentarium der Ordnungspolitik. Das Montréal-Abkommen ist ein gutes Beispiel. FCKW hat die Ozonschicht angegriffen. Also haben wir FCKW verboten. So machen wir es mit dem Verbot fossiler Verbrennungsmotoren. Und dann entwickelt sich eine neue Technologie. Gut so.
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