Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn, als Farce - so lesen wir bei Karl Marx. Und Wolfgang Berghofer scheint in diesem Sinne mit seiner Doch-noch-Kandidatur zum zweiten Gang der Oberbürgermeisterwahlen in Dresden beweisen zu wollen, dass er wirklich kein Marxist mehr ist. Seine Midlife-Memoiren Meine Dresdner Jahre (*) können nun doch noch den wahlkämpferischen Zweck erfüllen, für den sie eigentlich gedacht waren. Genauso wie die Ostern aufgetauchten Plakate "Dresden ist eine Weltanschauung", die auf die bevorstehende Buchpremiere am 21. Mai hinwiesen. Dass Berghofers monatelange Phantom-Kandidatur für die Nachfolge seines Amtsnachfolgers Herbert Wagner (CDU) nur ein Werbegag für sein Buch gewesen sein könnte, bestritt er energisch. "Das habe ich doch nicht nötig." Bei jemandem, der schnell mal eine Viertel Million für seinen Privatwahlkampf aus dem Portemonnaie abzweigt, klingt das glaubwürdig.
Spätestens nach der Lektüre der Erinnerungen nimmt es wunder, das die Dresdner PDS überhaupt mit dem Gedanken spielen konnte, Berghofer zu ihrem Kandidaten zu küren. Für die frühere PDS-Stadtvorsitzende und heutige Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski wäre es eben die letzte Chance gewesen, einen Vertreter der DDR-Elite wieder in einem hohen Amt der Bundesrepublik zu platzieren. Genau diese in Aussicht gestellte Unterstützung nahm Berghofer aber bekanntlich zum Vorwand für seine zunächst erteilte Absage - er sah sich damit vor seinen neuen Freunden in der Krawattennadelklasse unmöglich gemacht. Klarheit darüber, dass dieser Berghofer weder mit früheren DDR-Eliten, mit sozialistischen Ideen und schon gar nicht mit der heutigen PDS irgendetwas gemein haben will, hätte man allerdings schon im Jahr 1990 gewinnen können. Nur ein Vierteljahr nach seinem Austritt aus der PDS, noch vor den für ihn aussichtslos gewordenen Kommunalwahlen avancierte er damals zum Generalbevollmächtigten der Stuttgarter Immobiliengruppe Häussler in Ostdeutschland.
Berghofers stilistisch einigermaßen flotte Vergangenheitsbewältigung liest sich indessen nur auf den ersten Blick als die Saulus-Paulus-Geschichte eines spät zum Glauben an den alleinseligmachenden Mammon Bekehrten. Sie liefert unbeabsichtigt weniger das Dokument einer großen Wandlung als einer bemerkenswerten Kontinuität. Psychoanalytiker könnten sich über das Kapitel "Frühe Jahre" hermachen und zu ergründen versuchen, was davon in seiner praktisch elternlosen Kindheit bei der Großmutter in der Lausitz wurzelt. "Schon als Kind war ich gern der Häuptling, der erste im Rudel, das Alpha-Tier, der Natschalnik, der Boss." Von den Heldentaten mit dem Pionierhalstuch über den Cheforganisator der FDJ-"Jubelfeste" bis zu den letzten Buchkapiteln aus dem Jahr 1990 zieht sich ein Faden, der nicht unbedingt ein roter genannt werden kann. Addiert man zum Buchtext die lebendige Figur hinzu, erscheint letztlich eine einheitliche Persönlichkeit. So, wie es Typen gibt, die unter allen Herrschaftsformen unangepasst und widerständlerisch auffallen, haben andere unter wechselnden Verhältnissen gleichbleibenden Erfolg. "Kompatible Typen" hat sie Joachim Gauck einmal genannt.
Zufällig beginnt Berghofers Lebensweg in Bautzen, im DDR-Sozialismus. Unwillkürlich spekuliert der Leser, was wohl aus dem Macher, dem Organisator, für den es ein "Geht nicht" nicht gibt, unter anderen Verhältnissen geworden wäre, 25 Jahre früher zum Beispiel. Kontinuierlich lässt sich sein Wunsch verfolgen, dazuzugehören, die richtigen Leute zu kennen, in den Kreis der Berühmten aufzusteigen. Beginnend beim frühen "Hand in Hand mit Wilhelm Pieck" bis zur endlosen Aufzählung seiner Kontakte mit Wirtschaftsbossen und Spitzenpolitikern in der Wendezeit. Die reichen dann auch immer gleich ins Private, ins Haus von Kurt Biedenkopf am Chiemsee zum Beispiel. Einer, der im Schlusskapitel gutbürgerliche, vollkommen angepasste Vorstellungen vom Privatleben offenbart, passt gewiss auch glänzend in dieses Milieu. Die unermüdlichen Unabhängigkeitserklärungen des Autors entfalten so eine paradox-komische Wirkung.
Dass sich Ende der Achtziger ein "Bergatschow"-Mythos aufbauen konnte, lag weniger an einem besonderen Charisma des Herrn als an seinem rigorosen Pragmatismus in einer offensichtlich zerfallenden DDR. Die Dresdner Jahre hätten ihn von Ideologien befreit und von der Marktwirtschaft überzeugt, wiederholte er auch bei der Buchvorstellung. Über 1990 schreibt er: "Für meine Zukunft brauche ich gar keine Partei. Die Marktwirtschaft stand vor der Tür. Ich vertraute auf meine Organisationstalente." Einer wie Berghofer, ohne überflüssigen Gesinnungsballast, kann gar nicht untergehen. Irgendeinen Satz über soziale Fragen wird man in seinem Buch deshalb ebenso vergeblich suchen wie einen Hinweis auf seine ungemein privatvermögenswirksamen Leistungen der vergangenen zehn Jahre. Der freie Unternehmensberater streicht ein und schweigt.
Ex-Bürgerrechtler wie Arnold Vaatz haben sich vor allem wegen der Kapitel über das Jahr 1989 auf den "Pseudo-Revolutionär" eingeschossen. Das aus dieser Zeit herrührende Zerwürfnis mit Hans Modrow begründet Berghofer indessen genau mit jener taktierenden und opportunistischen Haltung, welche die Wahlprüfer und Demonstranten ihrerseits dem "Seiltänzer" Berghofer vorwarfen. Glaubt man hingegen dem damaligen Dresdner OB, so habe er nur auf die Demonstranten gewartet, um ihnen entgegenkommen zu können.
Geschwitzt habe Berghofer aber schon dabei, erinnert sich Friedrich Boltz, der ihm als erster Sprecher der "Gruppe der 20" im Oktober ´89 gegenübersaß. Für seinen Rollenwechsel, nachdem sich der Wind endgültig gedreht hatte, habe Berghofer sich aber "eigentlich nicht sehr verändern müssen". Ein moderateres Urteil über Berghofer als das, welches Christine Ostrowski am 10. Juni, dem ersten Dresdner Wahlabend fällte: "Herr Berghofer soll sich zum Teufel scheren, nachdem er uns monatelang verarscht hat!" Monatelang?
(*) Wolfgang Berghofer: Meine Dresdner Jahre, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001, 271 S., 34 DM
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