Bloß nicht schon wieder eine Revolution, sagen sich die stolzen Revolutionäre des Herbstes ’89 in der Lausitz. Nach Währungsunion und Wiedervereinigung blieb in der Kohlewirtschaft nur jeder fünfte Arbeitsplatz erhalten, derzeit sind es noch 8.000 Beschäftigte. Die sollen jetzt also dem Kohleausstieg zum Opfer fallen – und jetzt droht der Bundeswirtschaftsminister aus Berlin zu Neujahr, dass dies nicht erst in 15 Jahren geschieht, sondern schon 2030?!
Es muss aber nicht erst ein Robert Habeck über einen früheren Kohleausstieg nachdenken, um die Menschen in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz aufzubringen. Schon Anfang 2022 stellte das Leipziger Marktforschungsinstitut MAS Partners fest, dass nur noch 44 Prozent der Lausitzer eine
itzer eine Energiewende befürworteten – ganze 13 Prozent weniger als 2021. 45 Prozent lehnten den Kohleausstieg bis 2038 ab. Die von der russischen Aggression ausgelösten Verwerfungen standen damals noch bevor.Die Umstellung müsste kein so gravierendes Problem sein, wäre das Vertrauen in den sogenannten Strukturwandel ausgeprägter. Doch dem steht die Erfahrung des ersten Strukturbruchs entgegen, die in der Lausitz nur unter großen Abwanderungen und materiellen Verlusten bewältigt worden ist. Identitätsstiftend blieb in diesen Umbruchszeiten der anhaltende Mythos Kohle und der dominierende Konservatismus der Region.Für so manchen Lausitzer war früher wirklich vieles besser, zumindest die Lebensgrundlagen betreffend. Die Expansion der Kohle in der frühen DDR schuf viele gut bezahlte Arbeitsplätze, die Einwohnerzahl einer Stadt wie Hoyerswerda verzehnfachte sich. Das Arbeitsplatzargument ist daher für die längstmögliche Kohleverstromung ins Feld geführt worden, sowohl von der regierenden CDU in Sachsen wie auch von der in Brandenburg dominierenden SPD. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hätte 2018 die sogenannte Kohlekommission am liebsten verhindert.Doch spielen die Kohle-Arbeitsplätze wirklich so eine große Rolle? „Gemessen an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Lausitz ist der Umfang jedoch mit 1,93 Prozent klein und für das gesamte Revier kaum beschäftigungsrelevant“, schreibt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Mai 2022. In der Energiekrise wird daher ein anderes Argument gegen den Kohleausstieg ins Feld geführt: „Derzeit haben wir eine Mangellage. Wir brauchen keine Ideologie, sondern eine Politik, die rauskommt aus der Krisenintervention“, twittert Ministerpräsident Kretschmer zu Jahresbeginn, und: „Die Energiewende braucht eine starke Wirtschaft!“ Wenn Zukunftsdenker daran erinnern, dass es ohne Energiewende bald keine starke Wirtschaft mehr geben wird, ist in Sachsen Koalitionskrach programmiert. Dabei verweisen die Bündnisgrünen darauf, dass eine Kohleverstromung über 2030 hinaus ohnehin nicht mehr rentabel sei.Eigentlich wäre es Aufgabe der Landespolitik, Bürger auf Unausweichlichkeiten vorzubereiten. Stattdessen herrscht bei den Lausitzern Skepsis, selbst über die anvisierten Regionalentwicklungen. Der geplante ICE Berlin-Görlitz „rauscht nur an uns vorbei“, ist im Lausitzer Boxberg zu hören, wo ein Kohlekraftwerk steht.Die beiden 2,4 Milliarden Euro teuren Großforschungszentren für Chemie in Delitzsch und für Astrophysik in Görlitz und bei Bautzen werden frühestens zum Ende des Jahrzehnts eine Regionalwirkung entfalten. Bis dahin will die Lausitzer Braunkohlegesellschaft LEAG mit Sonnen- und Windenergie schon eine riesige „Gigawatt-Factory“ errichtet haben.Viel zu langsam greifen Strukturwandelprojekte und die Mittelauszahlung, wie die Antwort auf eine Landtagsanfrage der sächsischen Linken belegt. Ein Pferdefuß des für die Lausitz mit 17 Milliarden Euro dotierten Strukturstärkungsgesetzes ist die ausschließliche Mittelverwendung für indirekte strukturelle Wirtschaftsförderung. Erst seit November 2022 will der „Just Transition Fund“ der EU mit 645 Millionen Euro abhelfen und Mittelständler und Gewerbetreibende auch direkt fördern. Bei der Kohle aber wusste man noch, was man hatte. Wie spottete der DDR-Volkswitz? „Es ist noch viel zu tun, warten wir es ab!“