Gerichtssaal unter Polizeischutz

Prozess In Dresden beginnt das Verfahren um den Mord an der Ägypterin Marwa El Sherbini. Die Sicherheitsvorkehrungen sind immens

Die Sicherheitsvorkehrungen sagen eigentlich alles über die Bedeutung dieses Prozesses um den Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini. „Unter solchen Bedingungen musste in Sachsen noch nie ein Prozess stattfinden“, erklärt Peter Kiess, Sprecher des Landgerichtes Dresden. 200 Polizisten sichern Schwurgerichtssaal und Gebäude, darunter Hundeführer und eine Reiterstaffel. Alle anderen Verfahren sind für rund drei Wochen ausgelagert worden, sogar die Gerichtskantine bleibt geschlossen. In der Umgebung des Gebäudes darf nicht geparkt werden. Die 48 zugelassenen Journalisten, darunter acht aus Ägypten und zwei aus Russland, mussten ein peinliches Akkreditierungsverfahren durchlaufen.

Eine Panzerglasscheibe trennt die Verfahrensbeteiligten von den Besuchern. Diese Maßnahme hat unmittelbar mit dem Anlass des Verfahrens zu tun. Am 1. Juli dieses Jahres saß der 28-jährige angeklagte Russlanddeutsche Alexander W. schon einmal auf einer Anklagebank des Landgerichtes. Verhandelt wurden in der Berufungsinstanz rassistische Beschimpfungen, mit denen er ein Jahr zuvor auf einem Spielplatz gegen die damals 30-jährige Marwa El-Sherbini und ihren zweijährigen Sohn ausfällig geworden war. In erster Instanz war er dafür zu 780 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Bei der Berufungsverhandlung wurde die junge ägyptische Mutter als Zeugin gehört. Als die Familie danach den Gerichtssaal verlassen wollte, sprang Alexander W. plötzlich auf, zog ein langes Messer und stach auf Marwa und ihren Ehemann Elwy ein. Die im dritten Monat Schwangere verblutete vor den Augen ihres kleinen Sohnes, ihr Mann wurde irrtümlich noch von der Kugel eines herbeieilenden Polizisten getroffen und überlebte schwer verletzt im Krankenhaus.

Die 21-seitige Anklageschrift bescheinigt dem jungen Russlandeutschen „bloßen Hass auf Nichteuropäer und Muslime“, denen er kein Lebensrecht in Deutschland zugestehe und die er vernichten wollte. Zu einer rassistischen Grundhaltung hatte sich Alexander W. bereits in der Berufungsverhandlung bekannt. Zugleich gab er sich als NPD-Wähler zu erkennen. Wegen des eindeutig islamfeindlichen Hintergrundes der Mordtat schätzt das Landeskriminalamt Sachsen das Risiko eines Racheaktes als hoch ein. Die Sicherheits-Glaswand soll also auch den Angeklagten schützen. Kurz nach der Tat bedrohten Islamisten im Internet bereits den „hässlichen Russen“.

Nach dem Anschlag hatten Anfang Juli sowohl kommunale als auch Bundespolitiker die Tragweite des Anschlags völlig verschlafen. Zunächst wurde angesichts der Tatwaffe, eines 18 Zentimeter langen Messers, lediglich über Sicherheitskontrollen an Gerichten und den dafür erforderlichen Personalaufwand diskutiert. Erst das heftige Echo in der arabischen Welt setzte einen Prozess des Nachdenkens in Gang. Zum Begräbnis der Ermordeten in ihrer Heimatstadt Alexandria kamen tausende Trauergäste. Deutschland geriet in den Ruf, ein Land zu sein, in dem die vier Millionen Muslime verfolgt würden. El-Sherbini erhielt den Titel „Kopftuch-Märtyrerin“.

Eine öffentliche Trauerfeier in Dresden am 11. Juli wurde nicht von der Stadt, sondern vom Ausländerrat und den hier lebenden Ägyptern selbst organisiert. Etwa tausend Dresdner versammelten sich vor dem Rathaus. Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) war nicht unter ihnen. Sowohl der ägyptische Botschafter Ramzy Ezzeldin als auch Aiman Mazyek, Generalsekretär der Muslime in Deutschland, bemühten sich in ihren maßvollen Ansprachen um Deeskalation und um ein friedliches Miteinander von Deutschen und Muslimen. Erst einen Tag zuvor, als zum Freitagsgebet in deutschen Moscheen Unmut laut wurde, hatten Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier hörbare Worte der Entschuldigung gefunden.

Auf der Dresdner Trauerfeier wurde allerdings auch auf den latenten Alltagsrassismus hingewiesen. Drei Tage später veröffentlichte der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach von der TU Dresden in mehreren Tageszeitungen einen offenen Brief unter dem Titel „Dresden – wache auf!“ Darin kritisiert er die verbreitete Gleichgültigkeit sowohl in der Bevölkerung als auch beim politischen Personal. Auf seinen dringenden Rat hin besuchte Oberbürgermeisterin Orosz später das Max-Planck-Institut für Zellbiologie, wo der Mann der Ermordeten kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation steht.

Umfragen Donsbachs unter ausländischen Studierenden an TU belegen, dass etwa die Hälfte der Araber schon einmal verbalen oder gar körperlichen Attacken ausgesetzt war. Recherchen unter ausländischen Wissenschaftlern in Dresden ergeben ein ähnliches Bild. Die akademische Atmosphäre innerhalb der Forschungseinrichtungen wird als freundlich und aufgeklärt beschrieben. Probleme beginnen im Alltag, in diesem Sommer noch verstärkt durch den NPD-Landtagswahlkampf.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit der Prozess gegen Alexander W. auch die Problematik insbesondere der jungen Männer aus Spätaussiedlerfamilien beleuchten wird. Unter Sozialarbeitern gelten sie als schwierig: Unfähig, patriarchalische Rollenklischees fortzuleben, isoliert in ihrer neuen Heimat und anfällig für rechtsextreme und nationalistische Parolen. Als schuldunfähig, so die Spekulationen nach einer angeblich in Russland diagnostizierten Geisteskrankheit, gilt der mutmaßliche Täter jedenfalls nicht.

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