Selten lässt sich Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf Gedanken über seinen Vorruhestand entlocken. Eines der letzten Male war 1994: "In der letzten aktiven Phase würde ich gern das, was ich hier gelernt habe, erstens wissenschaftlich-literarisch verarbeiten und es zweitens anderen in Mittel- und Osteuropa zur Verfügung stellen", sagte der sächsische Ministerpräsident in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Nicht erst seitdem gehört es zu den regelmäßigen journalistischen Turnübungen, über die Thronfolge des absolutistisch dominierenden Bürgerkönigs zu spekulieren. Jede seiner Personalentscheidungen provozierte die Astrologen.
Immer galt Biedenkopf als Gegenspieler Helmut Kohls, und kaum jemand wollte bemerken, dass sich ein vergleichbares System Biedenkopf in Sachsen etablierte. Diesen Modebegriff übernahm jüngst die sächsische PDS-Landtagsfraktion aus dem Affären-Vokabular um den gestrauchelten Bimbes-Kanzler. Denn auch in Sachsen tagt ein Untersuchungsausschuss: Beim Bau des Behördencenters Leipzig-Paunsdorf soll der Ministerpräsident einen allzu eigentümerfreundlichen Einfluss ausgeübt haben.
Dass ein Biedenkopf ebenfalls keine fremden Götter neben sich duldet, wurde allerdings schon vor seiner sächsischen Ära eifrig kolportiert. Gerade dieser Monotheismus verursacht die anhaltende Kaffeesatzleserei um seine Nachfolge. Regt sich ein neuer Biedenkopf-Typ im System Biedenkopf? Der Übervater hat bislang stets süffisant abgewinkt.
"Über die Brücke gehe ich, wenn ich hinkomme", lautet eines seiner Lieblingssprichwörter. Und im übrigen entscheide über Nachfolgefragen nicht er allein oder ein Vier-Augen-Gespräch, sondern die sächsische Union. Nicht anders nach der jüngsten Attacke seines Parteifreundes Arnold Vaatz. Wie der Ministerpräsident reagiert habe? Regierungssprecher Michael Sagurna wiederholt eine Geste, mit der einst Showmaster Robert Lembke beim heiteren Berufe-Raten eine verlorene Münze hinter sich zu werfen pflegte.
In der MDR-Fernsehsendung "Wir" hatte Vaatz empfohlen, Biedenkopf möge seinen Nachfolger zur Wahl 2004 bereits mit dem Amtsbonus starten lassen und deshalb vorzeitig zurücktreten. Dort, wo der frühere Bürgerrechtler einmal Staatskanzleichef war und später als Umweltminister am Kabinettstisch saß, gehen seine wiederholten Anwürfe im Tagesgeschäft unter. Der Regierungssprecher erinnert an die klare Aussage des Spitzenkandidaten vor der Landtagswahl 1999, für eine ganze Legislaturperiode anzutreten. Allerdings auch zum letzten Mal. Biedenkopf und die sächsische CDU - das war über ein Jahrzehnt nicht nur die große Liebe, sondern auch ein Zweckbündnis. Den Biedenkopf-Wählerbonus bezifferte selbst der ehemalige Generalsekretär und heutige Landwirtschaftsminister Steffen Flath einmal mit mehr als 20 Prozent. Ein entsprechender Teil der Landtagsabgeordneten verdankt ihm indirekt das Mandat, die Fraktion insgesamt die absolute Mehrheit. Andererseits hätte auch Biedenkopf ohne das Angebot der sächsischen CDU 1990 nie ein so glanzvolles Comeback erlebt. Diese Konstellation wird es spätestens 2004 nicht mehr geben. Teile der Landespartei sorgen sich nun um das absehbare Machtvakuum und die Fortsetzung der dann 14-jährigen CDU-Alleinherrschaft. Und auch der weitblickende Analytiker Vaatz wird von dieser Sorge umgetrieben. In Thüringen scheint die von Vaatz in die CDU abgeworbene Vera Lengsfeld ähnliche Bedenken zu hegen. Angebliche Aufforderungen zu einer rechtzeitigen Nachfolgediskussion um Ministerpräsident Bernhard Vogel hat sie allerdings offiziell dementiert.
Verschleiß- und Erosionserscheinungen innerhalb der sächsischen CDU-Landtagsfraktion begleiten die Unruhe. Am 14. April dieses Jahres scheiterte unerwartet die designierte Stasi-Landesbeauftragte Angelika Barbe bei der geheimen Wahl im Landtag. Mindestens acht CDU-Abgeordnete, die bis heute niemand namentlich kennen will, mussten gegen den Personalvorschlag der Staatsregierung und der eigenen Fraktion gestimmt haben. Kommentiert wurde dies allgemein als Denkzettel für den führungsschwachen Partei- und Fraktionschef Fritz Hähle und damit indirekt auch für dessen Ziehvater Kurt Biedenkopf.
Hähle will von einer Verschwörung nichts wissen. "Bei einer offenen Abstimmung wäre das nicht passiert!" Vermutet werden Eitelkeiten vom gekränkten Nochnicht- oder Nichtmehr-Minister über unzufriedene Regionalvertreter bis hin zu jungen Rebellen. Man habe sich anschließend gewundert, "dass es so viele waren". Bei 16 Mandaten über der absoluten Mehrheit und kurz nach einer erfolgreichen Wahl glaubte man sich eine Probe wohl leisten zu können. Die wird bei den anstehenden Haushaltberatungen mit Gewissheit noch einmal kommen. Angesichts der im Kabinett beschlossenen Haushaltsdeckelung geht es um neue Prioritäten. Vor allem Schule und Hochschule stehen im Brennpunkt öffentlicher Diskussion und melden Ansprüche an. Kultusminister Matthias Rößler hatte bereits dafür plädiert, den Investitionsbegriff weiter zu fassen und sich dabei auch auf Biedenkopfs Lieblingsbegriff von der Wissensgesellschaft berufen.
Der Ministerpräsident wird kräftig zu schlichten haben. Seine Richtlinienkompetenz hat er jetzt ungewohnt deutlich hervorgehoben. Noch nie erschien das Kabinett vor der traditionellen Haushaltklausur Ende Juni so inhomogen wie in diesem Jahr. Gegen den bisherigen Mustersparer Rößler und den mit Rücktritt drohenden Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer wirkt Finanzminister Georg Milbradt isoliert. Ausgerechnet er aber wird von Teilen der sächsischen CDU und manchen Medien als Kronprinz favorisiert. Wohl wissend, dass ungeachtet aller finanzpolitischen Kompetenz seine Popularitätswerte weit hinter denen Biedenkopfs zurückbleiben. Dessen Erfolgsgeheimnis war vor allem Psychologie. Der eher derb und manchmal ungeschlacht auftretende Milbradt mit dem Image des Kaputtsparers eignet sich nicht zum Volkskönig, wie ihn die Sachsen suchen und wählen würden.
Dem eher bieder-sturen Kernsachsen Hähle fehlt ebenfalls das Charisma. Mit knapper Not im vorigen November noch einmal zum Landesvorsitzenden gewählt, könnte es für ihn bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand der Landtags-CDU spätestens Anfang 2001 ernst werden. Er selbst verweist auf die im Herbst von Biedenkopf ins Kabinett geholten neuen Minister wie Steffen Flath, Stanislaw Tillich oder Thomas de Maizière als Hoffnungsträger. Und dass der im Bundestag und in der Bundes-CDU nicht gerade erfolgreiche Arnold Vaatz sich mit seinen Orakeln selbst ins Gespräch für eine Biedenkopf-Nachfolge bringen wollte, glaubt niemand ernsthaft.
Personelle Weichenstellungen im CDU- Landesverband sind erst auf einem Parteitag im kommenden Jahr möglich. Bis dahin haben Kartenleger und Wünschelrutengänger auf jeden Fall Konjunktur. Denn ein Sachsen ohne Unionskönig ist doch überhaupt nicht vorstellbar. Oder?
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