Leipziger Zeitschleife

Potemkinsche Dörfer Was haben wir gekichert, als zum ersten Mal der Filmprojektor rückwärts lief und der Springer aus dem Wasser zurück aufs Brett schnellte oder das ...

Was haben wir gekichert, als zum ersten Mal der Filmprojektor rückwärts lief und der Springer aus dem Wasser zurück aufs Brett schnellte oder das zerschlagene Geschirr sich auf wundersame Weise wieder zusammenfügte. Vom »Zeitstrahl« hörten wir noch in der Schule. Inzwischen wissen wir, dass der längst in eine Wendeschleife abgebogen ist. Gerade soll Leipzig auf Geheiß der sächsischen Staatsregierung ins Jahr 1968 zurückkehren und die von Ulbricht zersprengte Universitätskirche auferstehen. Dresden ist mit seiner Frauenkirche schon im Jahre 1743 angekommen, Berlin könnte das mit seinem Schloss auch bald schaffen. Leipziger Studenten machten sich einen auf den ersten Blick kaum erkennbaren Jux, als sie der Presse die Gründung eines Bernhardinervereins kundtaten. Dieser wolle das bereits 1543 von Herzog Moritz abgebrochene katholische Bernhardinerkolleg an der Universität wieder aufbauen. Eine Parodie auf den 300 Mitglieder zählenden Leipziger Pauliner-Universitätskirchenverein mit Nobelpreisträger Günter Blobel an der Spitze. Wann also finden wir endlich das Bernsteinzimmer, bauen König Artus´ Burg Camelot wieder auf und legen Vineta trocken?

Wir besiegen die Geschichte! Zeit ist umkehrbar! Am Ende der Geschichte fällt uns eh´ nichts Neues mehr ein, und spinnerte Gegenwartsarchitektur spaltet bloß die Leute. Sagte sich der Hof zu Dresden und schmiss auf Druck der Leipziger Unionsfreunde seine eigenen Vorgaben und einen Gestaltungswettbewerb für den Leipziger Augustusplatz wieder um. Auf dass ein Symbol wiedererstehe, das nur noch wenige als solches ansehen. Dieser nur allzu bekannte zentralistische Durchgriff brachte drei Viertel der Einwohner gegen Wissenschaftsminister Matthias Rößler auf, Ossi-Joker OB Wolfgang Tiefensee in Verlegenheit und Universitätsrektor Volker Bigl wegen des Eingriffs in die Hochschulautonomie zum Rücktritt. Die Gründe des Protestes gegen den Wiederaufbau heute sind paradoxerweise die gleichen wie gegen die Sprengung damals: Äußere Mächte regieren ins bürgerstolze Leipzig hinein.

Die Zeitschleife schließt sich. Gegner der Sprengung von 1968 sind heute Gegner des Wiederaufbaus, andere waren schon immer für alles. Der Hof zu Dresden ist unverändert katholisch, seit 1697 August der Starke wegen der lockenden polnischen Krone in den Schoß der Mutter Kirche zurückfand. Was für eine Gelegenheit, nun wieder das Banner des rechten Glaubens im Herzen einer protestantischen Trutzburg aufzurichten! Ein potemkinsches Dorf für eine Restkirche von vier Prozent. Wie gehabt. Alles war schon einmal da, und die Zukunft existiert nicht.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden