Montag für Montag zeigt Dresden seit Wochen ein Bild, das so gar nicht zu stiller Zeit, Striezelmarkt und sächsischer Gemütlichkeit passen will. Zwischen Rathaus und Hygienemuseum strömen am frühen Abend Tausende Bürger zusammen, inzwischen längst nicht mehr nur aus Dresden. Was man an Gesprächsfetzen aufschnappt, passt ins Dynamo-Stadion nebenan oder an den Stammtisch. „Es sind ja nicht gerade die Intelligentesten, die sich hier versammeln“, raunt ein CDU-Landtagsabgeordneter, der die Szene nachdenklich beobachtet. Manche Demonstranten geben sich als Dynamo-Fans auch zu erkennen, Hooligans sind dabei, Kameradschaftstypen und NPD-Funktionäre. Aber in der Mehrzahl manifestiert sich das Empfinden verunsicherter Bürger, die vor Ort oder per Schmähpost allergisch reagieren, wenn man sie auch nur in die Nähe von Nazis rückt.
Es sind nur wenige Frauen zu sehen und Leute, die jünger als 60 Jahre alt sind. Eifrig werden Deutschlandfahnen geschwenkt. Die Plakate lassen keinen Zweifel, worum es den Demonstranten geht: „Heimatschutz statt Islamisierung“ steht da, ein anderes wütet gegen die angeblich gleichgeschalteten Medien. Mit deutscher Pünktlichkeit ergreift um 18.30 Uhr regelmäßig Lutz Bachmann vom Lautsprecherwagen herab das Wort. Ein selbsterklärter „Ausländerfreund“, der drei Sätze später gegen die „dezentrale Unterbringung mit Vollausstattung“ von Asylbewerbern wettert, während deutsche Mütter ihren Kindern keine Weihnachtsgeschenke kaufen könnten. Frust und Wende-Romantik brechen sich zugleich Bahn in „Wir sind das Volk“-Rufen. „Wie im Jahr 1989“, klopfen sich einige auf die Schulter.
Pegida nennt sich das Phänomen, das spät bemerkt wurde und noch immer einigermaßen fassungslos diskutiert wird. Hinter dem unverdächtig klingenden Kürzel steckt das Wortungetüm „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Die Bewegung begann Ende Oktober mit ein paar Hundert Demonstranten. Vergangenen Montag waren es 10.000 Anhänger. Der zwölfköpfige Organisatorenkreis fand sich über eine Facebookgruppe, die offensichtlich unter dem Einfluss der Anti-Salafisten-Demonstrationen von Hooligans in Köln und Hannover stand. Genährt wird der Zulauf auch von den überall gärenden Problemen der Kommunen mit der Unterbringung von Asylbewerbern, deren Zahl auch in Sachsen steigt.
Mehrfach vorbestraft
Über die Organisatoren wird zumeist spekuliert. Szenekenner wie die Mitarbeiter des Kulturbüros Sachsen können ihnen keine Zugehörigkeit zu organisierten rechtsextremen Kreis nachweisen. Klarheit herrscht inzwischen immerhin über Wortführer Lutz Bachmann. Der 41-Jährige, der vor kriminellen Ausländern warnt, ist nach ausführlichen Recherchen der Sächsischen Zeitung mehrfach vorbestraft. Sein Strafregister ist lang: Auftragseinbrüche für das Rotlichtmilieu, Drogen, Fahren ohne Führerschein, Verletzung der Unterhaltspflicht, Flucht nach Südafrika vor der deutschen Justiz. Derzeit jobbt Bachmann als Werbegrafiker. An diesem Montag trat er nur noch als Ansager in Erscheinung. Dafür bemühte sich seine Frau, eine ehemalige Bartänzerin, um eine Rede.
Erstmals versuchte sich auch ein Holländer namens Ed aus Utrecht als launiger Unterhaltungskünstler für das nicht gerade humorgeplagte Pegida-Volk. Offensichtlich ein Demo-Tourist, der auch schon in Hannover in die Kamera sprach. Im Hintergrund hält sich Siegfried Däbritz, Mitglied der German Rifle Association. In Meißen betreibt er eine Pension, im Internet offenbart er seinen Hass gegen „mohammedanische Kamelwämser“ oder „Schluchtenscheißer“. Überhaupt zeigt sich das wahre Gesicht von Pegida vor allem im Internet. Jeder kann online selbst nachlesen, wie die Bewegung all diejenigen magnetisch anzieht, die ihren primitivsten Hass gegen Fremde und den Islam endlich äußern wollen. Und gegen das „System“ natürlich. Das tun allerdings auch die montäglichen Demonstranten mit einer Wortwahl, die man noch von der ehemaligen NPD-Landtagsfraktion kennt.
Aus dem Lautsprecher verlauten immer die gleichen beiden Formeln: Wir sind nicht gegen den Islam, nur gegen Islamisten, und wir sind nicht gegen politisches Asyl, nur gegen Wirtschaftsflüchtlinge. Zu viel Islamfreundlichkeit stößt trotzdem nicht immer auf Zustimmung. „Nee, ich habe Angst vor den Asiaten“, ruft eine ältere Dame dazwischen. Ob es bei den Organisatoren Verbindungen zur „Neuen Rechten“ gibt, etwa zu Identitären oder Reichsbürgern, bleibt derzeit noch Spekulation. Der Staatsschutz ermittelt angeblich, aber die Staatsanwaltschaft will sich noch nicht äußern.
Politiker in Sachsen wissen noch nicht, wie sie mit dem sehr heterogenen Protestphänomen umgehen sollen. Die AfD eierte lange, ehe sich Landeschefin Frauke Petry zu „Sympathie“ durchrangen und Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) attackierte, weil er eine Gegendemonstration an diesem Montag unterstützte. Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Frank Kupfer, will die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Das sehen nicht nur die Konservativen so. „Es ist besser, mit den Leuten zu reden als mit den Organisatoren“, rät Sachsens Kunst- und Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD). Sie hatte am Montag die Spitzen der Forschung, der Hochschulen und der großen Kulturinstitutionen Dresdens zu Gast. Besonders in der Wissenschafts-Community mit ihrem relativ hohen Ausländeranteil herrscht Sorge, dass die Pegida-Proteste in offenen Ausländerhass umschlagen könnten. Der Ruf Dresdens hat nach Auffassung vieler bereits gelitten. Nebenbei übrigens auch das Geschäft der Weihnachtsmärkte in der Innenstadt, weshalb Pegida am vergangenen Montag auf den sogenannten Abendspaziergang verzichtete und sich nur zur Kundgebung in Elbufernähe versammelte.
Doch ein Dialog findet bislang nicht statt. Wenn die Landeszentrale für politische Bildung zu einem Disput über das angeblich zu rettende Abendland einlädt, sind alle Pegida-Vertreter plötzlich krank. Wer sich aufmerksam unter die Demonstranten mischt, kann deren Dialogfähigkeit auch nur bezweifeln. Die Jüngeren halten sich durchweg an das von der Versammlungsleitung verhängte Redeverbot gegenüber Journalisten. Reifere Semester sind da offener.
„Ich will nicht, dass meine Enkel eine Burka tragen und unter der Scharia leiden müssen“, sagt ein älterer Herr, mit dem man ansonsten ganz vernünftig reden kann. Andere werden sofort laut und geradezu hysterisch. Die Wahrheit über die Ausländer, „die doch alle kriminell sind“, werde verschwiegen, jeder von ihnen koste sieben Mal so viel wie ein Hartz-IV-Empfänger, die sollten besser von den reichen Ölländern aufgenommen werden. Man trifft auf Totalfrustrierte, nicht mehr rational Erreichbare, die hier aus ihrem Gefühlsstau ausbrechen wollen. Sie sehen sich von Feinden umzingelt, wie 1989 einem feindlichen Staat ausgeliefert. Politiker, so hört man, seien sämtlich Volksverräter, das Statistische Landesamt lüge über den geringen Ausländeranteil, um Bürger ruhigzustellen, die komplett linken und gleichgeschalteten Systemmedien verdrehten erst recht die Tatsachen. Mit einem Wort: ebenso unaufgeklärte wie unaufklärbare Menschen, die es wohl in jeder Gesellschaft gibt.
Nicht anschlussfähig
Politik und Bürger Dresdens versuchen nun auf zwei Wegen der ansteigenden Ausländerfeindlichen Wutwelle beizukommen: mit Widerstand und dem Versuch, auf die Demonstranten einzugehen. Nachdem am 1.Dezember der Pegida-Zug bereits vom Bündnis „Dresden nazifrei“ blockiert wurde, hatten für diesen Montag Parteien, Religionsgemeinschaften, die Universität, Ausländerrat und Bürgervereine zu einem Sternlauf für ein weltoffenes Dresden zum Rathausplatz aufgerufen. Mit den erschienenen rund 9.000 Teilnehmern hatte die Polizei nicht gerechnet, und zum Tanzen nach Balkan-Brass-Musik wurde der Platz erst recht knapp. Nur 100 Meter entfernt will Pegida ein paar eigene Demonstranten mehr gezählt haben.
Was bei kommunalen Foren über Asylantenunterkünfte mit Mühe funktioniert, scheint bei Pegida ziemlich ausgeschlossen zu sein. „Die Argumente ließen sich fast alle rational widerlegen“, zuckt auch der Dresdner SPD-Vorsitzende und Oberstaatsanwalt Christian Avenarius die Schultern. Nur: Niemand der Pegida-Leute will sich einer Diskussion stellen. Pegida hat zweifellos eine Ventilfunktion. Anschlussfähig an demokratische Institutionen ist das Bündnis bei weitem nicht.
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