Nektar am Mund

Sandra Trojans beeindruckendes Lyrik-Debüt beschwört das sinnliche Sprechen der Poesie und erinnert an die großen Dichter Emily Dickinson und T.S. Eliot

In seltsamer Obsession tanzt die zeitgenössische Dichtung derzeit den Bienentanz. Die biologischen Eigenarten und die symbolischen Attraktionskräfte der Biene und der Wespe bestimmen vielerorts die Ikonographie und das Motiv-Arsenal der Gegenwartslyrik.

Ausgehend von den Bienen-Träumen der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson, die ihre Dichtkunst in völliger Abgeschiedenheit in einem Provinznest in Massachusetts verfasste, sind der vor vier Jahren gestorbene Thomas Kling und sein Weggefährte Marcel Beyer, mithin die bedeutendsten Lyriker des neuen Jahrtausends, zu Bienen- und Wespen-Experten geworden.

Und jetzt taucht aus dem Umfeld des Leipziger Literaturinstituts eine Autorin mit einer hypnotischen Bildsprache auf, die mit Versen von hoher Sinnlichkeit und Suggestivität ebenfalls an diese Bienen-Dichtung anschließt. Die 1980 geborene Sandra Trojan hat in dem derzeit umtriebigsten und innovativsten Lyrik-Verlag Deutschlands, dem Leipziger „Poetenladen“, ein beeindruckendes Debüt vorgelegt.

In einem fast surrealen und zugleich vollkommen der Phänomenalität der Dinge zugewandten Eröffnungsgedicht beschwört Trojan das sinnliche Sprechen der Poesie. Es ist eine sinnliche Rede, die wie selbstverständlich „Unschärfen“ und Mehrdeutigkeiten mit einschließt. „Wenn ich in Bienen spreche“ – das meint ein „polylinguales“ Sprechen in vielen Zungen, ein poetisches Sprechen, das stets dem Bild verpflichtet bleibt und sich nicht an den besserwisserischen Begriff verrät: „Wenn ich in Bienen spreche / meine ich Unschärfe, Murmeln, / Nektar am Mund; Und wenn ich in / Birnen spreche, in Äpfeln, in Zellen / in Kisten von Zungen zerfressen, / in Zungen, in Menschen, meine ich / Menschen: Schwärme gestempelt / innen außen, ein Bienentanz / und damit meine ich: Bienentanz.“ Jedes Wort wirbelt hier eine ganze Armada von Assoziationen und Bildern für das poetische Sprechen auf, die immer wieder zur Kommunikationsform der Bienen, dem Bienentanz zurückführen.

Während in diesem Gedicht Anklänge an Emily Dickinson zu hören sind, wird in anderen Texten Sandra Trojans ein zentrales lyrisches Epos der poetischen Moderne zur Referenzgröße: das Waste Land des englisch-amerikanischen Weltpoeten T. S. Eliot. So ist Trojans vierteiliger Zyklus Bergfreiheit ohne die Inspiration durch die Bildfügungen in "The Waste Land" nicht denkbar. Das lyrische Denken, um ein Diktum des Erzählers Arnold Stadler abzuwandeln, führt hier immer bergauf.

Trojans lyrisches Ich strebt im dritten Teil des Zyklus Bergfreiheit auf einen Berg im Sauerland, wobei die Abfolge der einzelnen Bilder zwischen realistischen Szenen von großer Plastizität und Traum-Sequenzen oszilliert. Da taucht ein „Wiegemeister“ auf, der spiegelverkehrt zur antiken Figur des Charon dem Wanderer den Übertritt ins Gipfel-Reich gewährt.

Im Titelgedicht um uns arm zu machen spricht wiederum eine gescheiterte Liebende, die ihren Samson, den bärenstarken Helden des biblischen Mythos, an die Rivalin Delila verlieren wird. Da die Verführungskünste der Verlassenen gescheitert sind, sinnt sie nun auf Rache – und zieht auch in Betracht, ihrerseits die neue Liebe zu zerstören.

Es ist nicht nur dieser intelligente Umgang mit den mythischen Stoffen, die Sandra Trojan den meisten ihrer jungen Dichterkollegen und -kolleginnen voraus hat. Es ist auch die frappierende Musikalität dieser eminenten poetischen Begabung, die für die Zukunft noch einiges erwarten lässt.

Um uns arm zu machen Sandra Trojan. Gedichte. Poetenladen, Leipzig 2009, 80 S., 14,90

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