Vergiftung der Zeit

Textgalerie Monika Rinck: tour de trance

"Trance" - das kann eine hypnotische Erfahrung sein, ein prärationales Dahintreiben in ungesicherten Bereichen, ein Vagabundieren im Dämmerzustand. "Trance" - das kann auch die musikalische Stimulation dieses hypnotischen Zustands sein, eine Musik, die den Körper zugleich öffnet und überschwemmt, die ihn selbst fluid macht. Eine tour de trance, wie sie im vorliegenden Gedicht inszeniert wird, ist keine "Tour der Leiden", wie sie etwa der autodestruktive Radsport (auf den wortspielerisch angespielt wird) von den Akteuren einfordert. Es ist vielmehr - zunächst - eine öffnende, wärmende, bewusstseinserweiternde, an den blendenden Bildern des Traums angelagerte Bewegung, ein affektiver Dynamismus, der ins Offene führt.

Monika Rincks tour de trance konzentriert sich auf Verben der Bewegung: drehen, dehnen, treiben, rotieren, schlingern - und immer wieder drehen. Das Gedicht selbst will diese Drehungs-Prozesse in seinem rhythmischen Zeremoniell nachvollziehen. Aber in die glückliche Trance, die sich in der Erfahrung der unendlichen Ausdehnung des Raums andeutet, brechen früh Signale des Zerstörerischen ein: der unendliche Raum hat etwas "Katastrophisches", in ihm treiben auch Trümmer nicht näher bestimmter Objekte. Die Drehbewegung kommt zum Stillstand. So stößt der fluide Aggregatzustand der Trance im Verlauf des Gedichts immer häufiger auf Widerstände, auf Destruktivkräfte, die sich zunächst als "Schläge", dann als toxische Phänomene geltend machen. Die Vergiftung der Zeit wird schon im Motto des Gedichts heraufbeschworen - und das legt sich als Drohung auf die folgenden Verse.

In den Gedichten der 1969 geborenen Monika Rinck geht es meist um eine poetische Bündelung unterschiedlichster Reflexions- und Assoziations-Kräfte, um die Integration disparatester Gedanken und Bilder in eine "mobile Form". In einer poetologischen Notiz, die bislang nur im Internet zugänglich ist (www.metroprolet.de), verweist die Autorin auf das "vertikale Wort", das eine starke Bindekraft hat und spracharchäologisches Instrument sein kann: "das wort, das die schichten aneinanderheftet, oder das sich durch die schichten fräst ... das wort, das zirkuliert, obwohl es seinen platz hat ... diese worte sind der sitz einer dringlichkeit." In ihrer literarischen Arbeit verwickelt sich die Autorin bewusst in ein Spannungsverhältnis von medientechnischen, philosophischen und lyrischen Inspirationen, in dem stets neue, überraschende Lösungen gefunden werden müssen.

Indem es dem "spin der Wahrnehmung" (Ulrike Draesner) folgt, scheint sich das Gedicht zu drehen - in der tour de trance vollzieht es zusätzlich die Verräumlichung von Zeit: "Words that spin". Die tour de trance spricht aber auch von Abgründen: vom gewaltsamen Stillstand und von der "vergifteten Zeit".

Monika Rinck, geboren 1969 in Zweibrücken, lebt in Berlin. Das vorliegende Gedicht ist der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter (Heft 169) entnommen. In diesem Herbst ist der Gedichtband Verzückte Distanzen (ZuKlampen Verlag) erschienen.


Monika Rinck

tour de trance

my task, she said, was poisoning time
wie sich alles drehte, wiederholte, dehnte,
und rotierte, die wärme war a space so vast,
so katastrophisch groß, war sie arena
worin die trümmer von objekten trieben,
wilde schläge in der ferne, keiner hörte,
jeder fühlte, die wellen der erschütterung.
wo etwas fehlte, wurde alles größer,
drehte sich, rotierte, kam ins schlingern
und blieb dann in der mitte liegen.
die müdigkeit war eine kur, das gewicht
der atmosphäre, halluzinogene leere
federte, es drehte sich jetzt weniger
als wären die schläge, in dem was sie sind
gegenstand der verdünnung, als würde
die zeit, der reißende raum, präzise und
zärtlich vergiftet, in ihrem gewebe stiege
die chemische schwäche, es schäumte,
erstickte, das weiße lager der krusten,
das sich formierte, wird reicher und toxisch
verrauschten die schläge, es dreht sich,
dreht sich, unmerklich, und steht.

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